Die Berlinale 2011 gab sich einerseits als Kampfplatz für die Rechte des im Iran inhaftierten Regisseurs Jafar Panahir, andererseits lud es mit diesem Melodram einen Spielfilm in den Wettbewerb, der Zweifel sät, wie mit uns politisch fragwürdig erscheinenden Systemen, und damit mit der aus diesen Systemen kommenden Kunst, umzugehen ist.

Regisseur Asghar Farhadi erzählt in seinem auch im Iran selbst ausgezeichneten und also wohl von den Machthabern geschätzten Film eine Familiensaga, vor deren Hintergrund Fragen zu Ehre und Moral verhandelt werden. Bös gestimmt, müsste man sagen: Nette Richter, verständnisvolle Polizisten, liebende Ehemänner und Frauen, die vollkommen gleichberechtigt erscheinen – das alles provoziert die Frage, wieso es im Iran überhaupt je Proteste gab und gibt. Es scheint doch alles im Lot zu sein?! – Oder zeigt der Film versteckt anderes? Wer es sehen will, sieht es, oder deutet es doch zumindest hinein. Vielleicht ist es ja so, wie es einst beispielsweise bei DEFA-Gegenwartsfilmen war: Was haben wir da nicht alles zwischen den Bildern gesehen und zwischen den Dialogen gehört! Manchmal war es wirklich drin, sehr oft aber nicht. Freilich war die Wirkung dennoch beachtlich: Selbst wenn gar nicht von den Machern gewollt, haben wir nahezu jeden Gegenwartsspielfilm ab Mitte/Ende der 1960er Jahre als kritisch eingestuft. Die Berlinale-Jury widerfuhr so auch mit diesem Film und gab ihm nicht allein den Goldenen Bären, sondern gleich noch einiges mehr. Hoffen wir mit, dass solches Gutmenschen-Handeln zur Liberalisierung im Iran beitragen kann.

Die erzählte Geschichte hat es in sich: Simin (Leila Hatami) und Nader (Peyman Moaadi) wollen zusammen mit Tochter Termeh (Sarina Farhadi) weg aus dem Iran. Doch Nader kann seinen gebrechlichen Vater (Ali-Asghar Shahbazi) nicht einfach so zurück lassen. Simin ist enttäuscht und will die Scheidung. Sie verlässt die Ihren. Nader stellt die schwangere Razieh (Sareh Bayat) zur Betreuung des Vaters ein. Das hat arge Folgen – für alle Beteiligten. Die Justiz muss anhören, abwägen und entscheiden.

Recht und Moral als Schachfiguren subjektiver Überzeugung und individuellen Handelns – das Problem gilt im Iran, und es gilt auch hierzulande. Spannend ist dabei immer die Frage, wo die Gerechtigkeit bei diesem „Spiel“ am Ende bleibt. Diese Frage wird von fein agierenden Schauspielern mit Nachdruck gestellt. Die Inszenierung vermeidet dabei alles Aufgesetzte. Das ist faszinierend. Doch mit den eingangs geschilderten Zweifeln im Kopf, fällt es schwer, in den Chor jener einzustimmen, die den Film gleich als Meisterwerk apostrophieren. Denn zu sehr viel mehr als dem Stellen von Fragen, der einen insbesondere, kommt es nicht. Andererseits: Es kann schon sehr mutig sein, überhaupt zu fragen…

Peter Claus

Nader und Simin – Eine Trennung, Asghar Farhadi (Iran 2011)

Bilder: Alamode