„Das Leben der Anderen“ hat das Thema Stasi & Co ja schon „Oscar“-reif zur Schmonzette verarbeitet. Können wir abhaken. Muss nicht mehr im Kino reflektiert werden. Jedenfalls nicht so, wie in der wabernd-pseudoreligiösen Schnulze. Wenn, wie jetzt, in „Das System – Alles verstehen, heißt, alles verzeihen“, dann allerdings sehr wohl! Denn der Film blickt tatsächlich nicht aufs Gestern, sondern aufs Heute, zeigt dabei freilich sehr genau, was die Gegenwart aus ihren Wurzeln in der Vergangenheit Prägendes zieht.

Mike (Jacob Matschenz), der Anti-Held der Story, ist so um die 20. Ein Kleinkrimineller aus einer Plattenbausiedlung. Zusammen mit Kumpel Dustin (Florian Renner) klaut er hier und da und dort und schlägt sich so durch. Das ändert sich durch die Bekanntschaft mit dem wesentlich älteren Konrad (Bernhard Schütz). Der wird zum Freund und damit zum Ersatz für den Vater, den Mike nie hatte. Konrad mischt erfolgreich in der Baubranche mit und verhilft Mike zu wichtigen Erkenntnissen. Und die führen zu Mikes Erzeuger – und damit ins Geflecht noch heute existierender Stasi-Verbände. Mike will mehr und mehr herausbekommen und bringt sich damit in große Gefahr. Spannungssteigerung ist also garantiert.

Das Autoren-Duo Dörte Franke und Khyana El Bitar hat eine starke Story entwickelt, in der Privates geschickt das Politische spiegelt. Solides Schauspiel und eine gekonnte Bildgestaltung, die kühl alle Leere in den Seelen der Protagonisten spiegelt, packen. Mancher Dialog ist überflüssig, illustriert mehr als dass er erhellt. Aber dies ist ein Debütfilm, da hört man über kleine Stolperer gern hinweg. Beeindruckend ist die Geradlinigkeit und Wahrhaftigkeit, mit der hier deutsch-deutsche Geschichte und Gegenwart erhellt werden – sehr viel ehrlicher und genauer als je zuvor in einem deutschen Kinofilm, der nach 1990 gedreht wurde!

Peter Claus

Das System – Alles verstehen heißt alles verzeihen, von Marc Bauder (Deutschland 2011)

Bilder: Filmlichter