Der mit Geld aus vier Ländern produzierte Roman-Adaption geht ein Ruf wie Donnerhall voraus – getragen von Erfolgen auf vielen Festivals. Besonders das Schauspiel wird gefeiert.

Und ja. Die Darsteller tragen diese Literaturverfilmung vor allem. Da ist als erster der jetzt 22-jährige New Yorker Timothée Chalamet zu nennen. Er prägt die melancholische Geschichte um die Schwierigkeit zu lieben und sich lieben zu lassen mit seinem feinnervigen Spiel in hohem Maß. Chalamet verkörpert Elio, die Hauptfigur. Der 17-Jährige verbingt die Sommermonate des Jahres 1983 auf dem luxuriösen Landsitz seiner so wohlhabenden wie gebildeten Eltern (Amira Casar und Michael Stuhlbarg) in Norditalien. Gespräche über Musik, Literatur, Geschichte geben den Ton an. Das Hauspersonal sorgt für einen gefälligen Rahmen. Eine Idylle. Dann taucht Oliver (Armie Hammer) aus den USA auf. Elios Vater, ein Archäologe, der in der Nähe forscht, hat den Studenten Oliver eingeladen. Elio verliebt sich in den jungen Mann, der nur wenige Jahre älter ist als er selbst. Werden seine Gefühle erwidert? Zunächst umkreisen die Beiden einander zögerlich, scheu. Doch Elio will es wissen und geht das Objekt seiner Begierde mit jugendlichem Überschwang sehr direkt an. Und ja, er hat Erfolg. Bald aber legt sich ein Schatten über das Glück. Denn immer mehr Zweifel nagen an Elio, immer stärker bedrängt ihn die Frage, ob er für Oliver wirklich mehr ist als ein Spielzeug.

Timothée Chalamet setzt auf mehr als den Reiz der Jugend, viel mehr. Es gelingt ihm, das Publikum Kraft seines mimischen und gestischen Reichtums scheinbar wirklich in Elios Seele blicken zu lassen. Das Zittern und Zagen des innerlich Zerrissenen überträgt sich deshalb scheinbar mühelos auf die Zuschauer. Dieser Film dürfte Chalamets Karriere einen gehörigen Aufwind verleihen. Bisher ist er vor allem durch die TV-Serie „Homeland“, in einer Nebenrolle, und durch Auftritte in der Klatschpresse als kurzzeitiger öffentlicher Begleiter von Lourdes Leon, der Tochter von Pop-Ikone Madonna (noch eine Nebenrolle also) aufgefallen. Das dürfte sich ändern. Neben Timothée Chalamet besteht Armie Hammer („J. Edgar“, „Nocturnal Animals“) bravourös. Auch er setzt auf Sensibilität, verzichtet auf große dramatische Gesten. Damit gelingt es ihm, die Unsicherheiten, Ängste, auch Sehnsüchte Olivers hinter allem äußeren Schein des selbstbewussten, sportlichen Studenten aufleuchten zu lassen, mehr als das Abziehbild eines verwöhnten jungen Mannes zu zeichnen.

Das Leise, das Feinsinnige, prägt auch die Inszenierung des italienischen Regisseurn Luca Guadagnino („I Am Love“). Eine verhaltene Erzählweise, Andeutungen, Geheimnisse dominieren. Dafür fehlen, erfreulicherweise, Dialoge, die das emotionale Chaos erklären. Blicke und Gesten sagen alles. Selbst die oft deutlichen Sex-Szenen haben nichts Sensationsheischendes. Eleganz auf allen Ebenen. Nur der ab und an überbordende Musikeinsatz, von Bach bis Pop, wirkt ein wenig vordergründig. trotzdem kommt das Entscheidende deutlich zum Tragen: Es ist völlig unwichtig, daß es um eine homosexuelle Beziehung geht. Das, worum es geht, ist von allgemeinem Interesse: Wie kann es gelingen, zu sich selbst zu stehen, die eigenen Wünsche, Hoffnungen, Begierden zu verwirklichen, auszuleben, ohne sich aus der Gesellschaft auszugrenzen? Wie ist es möglich, im Einklang mit sich selbst eine Individualität zu leben, die nach wie vor von vielen – und derzeit durch das Gezeter rückwärtsgewandter Demagogen wieder mehr – als abnorm angesehen wird?

Stilistisch wurde der Film wesentlich von James Ivory geprägt, als Autor und Produzent. Kein Wunder also, dass einen der oft berauschend schöne Bilderreigen an die Meisterwerke des Regisseurs Ivory „Zimmer mit Aussicht“, „Maurice“, „Wiedersehen in Howards End“ oder „Was vom Tage übrig blieb“ erinnert. Schade nur ist, dass er der Story einiges an Dramatik geraubt hat, indem er eine wesentliche Veränderung gegenüber dem Roman vornahm: Im Film fehlt eine fünfzehn Jahre später angesiedelte Episode, die zeigt, was aus den beiden Protagonisten geworden ist. So mangelt es ein wenig an Schärfe, wurde der Geschichte einiges an Dramatik genommen. Doch die stilistische Feinheit und die Klasse der Akteure entschädigen dafür.

Peter Claus

Bilder: © Sony

Call me By Your Name, von Luca Guadagnino (Italien / Frankreich / USA / Brasilien 2017)