Nein, das ist kein subtiles Kammerspiel, nein, hier wird keine feinst ziselierte Erzählung geboten – hier wird guter Kintopp offeriert, holzschnittartig, kraftvoll, effektsicher.

Dieser Begriff, Kintopp, wird von manchen abwertend gemeint. Was höchst unsinnig ist. Guter Kintopp ist massenwirksam, dabei nicht geistlos, sondern, ganz im Gegenteil, bietet über die Unterhaltung hinaus einiges Nachdenkenswerte. Und: Guter Kintopp ist handwerklich perfekt, schauspielerisch oft überragend, im Erzählfluss mitreißend. Damit ist guter Kintopp genau die richtige Marke für den neuen Spielfilm des Autors und Regisseurs Florian Henckel von Donnersmarck.

Inspiriert von Ereignissen aus dem Leben des Malers Gerhard Richter, der derzeit weltweit höchstbezahlte seiner Zunft, erzählt der Film eine Lebensgeschichte von der Mitte der 1930er bis in die Mitte der 60er Jahre. Die Handlung umschließt also etwa drei Jahrzehnte. Beleuchtet wird die Entwicklung eines Künstlers von der Kindheit über die Jugend bis zu ersten Erfolgen als junger Erwachsener. Nazidiktatur, sowjetische Besatzungszone und frühe DDR sowie schließlich die BRD der 1950er und 60er Jahre rücken ins Bild. Alle auftretenden Charaktere haben fiktive Namen. Manches ist stark an wirklichem Geschehen orientiert, manches vollkommen ausgedacht. Das Wesentliche: die unentrinnbare Verstrickung persönlicher Schicksale in die Historie wird deutlich. Und damit wird auch klar: Niemand kann sich hinstellen und sagen, er habe mit den Ereignissen und Entwicklungen in der Gesellschaft, in der er (oder sie) lebt, nichts zu tun. Der Film zielt also auf Allgemeingültiges.

Beim Filmfestival in Venedig, wo der Film uraufgeführt wurde, gab es vom Publikum enormen Beifall, von der Jury keine Ehrung, von der internationalen Kritik viel Zuspruch, aus deutschen Kritikerreihen auffallend viel (und oft sehr heftig formulierte) Ablehnung. Mehrfach stoßen sich Gegner des Films daran, dass in einer Parallelmontage das Feuermeer der Zerstörung Dresdens zu sehen ist und zugleich die Ermordung von Menschen in einer Gaskammer. Argumentation eins: Hier werden Opfer, die aus unterschiedlichen Gründen umgekommen sind, einander gleich gesetzt. Argumentation zwei: Man dürfe keinen Tod in einer Gaskammer zeigen, denn die Toten könnten nicht mehr gefragt werden, ob sie das wollten. Was für ein Unsinn! Machte man dies – Punkt zwei – zur Regel, dürfte es keine Spielfilme geben, die das Sterben auf den Schlachtfeldern welcher Kriege auch immer ins Bild setzen. Wichtig ist dabei natürlich, dass eine solche Szene nicht knallig-voyeuristisch, nicht billig ist. Das ist sie hier nicht. Und zu Punkt eins sei eingeworfen: Die Gleichsetzung der Opfer hat nicht der Regisseur vorgenommen, die hat sich offensichtlich in den Köpfen der Betrachter ergeben. Henckel von Donnersmarck zielt vielmehr darauf ab, die Verbrechen Hitlers – wie eben die Entfesselung des Krieges, der zu Bombardierungen wie in Dresden geführt hat, die Versklavung und Ermordung von Menschen, die nicht in das Wahnbild der Nazis passten – zu geißeln. Ja, diese Montage ist vordergründig. Doch sie kann bewirken, dass Menschen, die sich bisher kaum oder gar nicht mit der Vergangenheit auseinandergesetzt haben, dies tun. Dass sie anfangen, nachzudenken, auch über die Gegenwart. Manchmal ist Vordergründigkeit berechtigt.

Kurz zur Handlung: In deren Zentrum steht Kurt Barnert (Tom Schilling spielt ihn als Jugendlichen und als Erwachsenen). Als Kind erlebt er, dass seine Tante Elisabeth (Saskia Rosendahl) wegen einer psychischen Störung in eine Klinik verschleppt wird. Von dort wird sie schließlich weggebracht und in einer Gaskammer ermordet. Sie war die erste, die Kurt in seinem Wunsch bestärkt hat, Maler zu werden. Wobei er, angetrieben auch durch ihre Aufmunterung, bleibt. Er wird sie nie vergessen. Später dann studiert er in Dresden. Während des Studiums verliebt sich Kurt in die Modestudentin Ellie (Paula Beer). Er ahnt nicht, was die Zuschauer wissen: Ellies Vater (Sebastian Koch) war es, der als Arzt Elisabeths Todesurteil unterschrieben hat.

Nicht wegsehen Kurt, alles, was wahr ist, ist schön.“ Dieser Satz von Elisabeth bestimmt Kurts Leben, durchzieht den Film sozusagen als Leitmotiv. Und man darf diesen Satz auch als Aufforderung an das Publikum deuten. Er hat ja heute, gerade heute wieder, da rechtskonservative Geschichtsklitterung mehr und mehr um sich greift, eine immense Bedeutung. Direktheit ist ja nun mal die Sache von Florian Henckel von Donnersmarck. Da darf es dann auch mal grob werden. Was wirkt. Die Geschichte von Ellies und Kurts Liebe, die sich gegen viele Widerstände durchsetzen muss, wird dadurch zu Folie für ein intelligentes Gesellschaftspanorama. Zeitgeschichte wird über Spannung und Gefühle vermittelt. In der Zeichnung der Künstlerszene der 50er und 60er Jahre – in Ost und in West – erlaubt sich Henckel von Donnersmarck sogar eine gewisse komische Überhöhung, ja, satirische Zuspitzung. Das hat aber nie etwa Abwertendes. Das Ringen Kurts um seine Position als Mensch und als Künstler wird dadurch nicht denunziert.

Paula Beer, Sebastian Koch und Tom Schilling in den Hauptrollen agieren präzise, gefühlvoll, aber nie gefühlsduselig. Ihnen gelingen differenzierte Charakterstudien. Man lässt sich von ihnen gern ins Geschehen hineinziehen. Auch in kleinsten Rollen treten gute Schauspieler auf. Ina Weisse, Jeanette Hain, Ben Becker und Lars Eidinger zum Beispiel. Auch sie: exzellent!

Nein, kunstvolle Originalität bleibt aus. Es geht handfest zu. Fragen zu Mitmenschlichkeit, Toleranz, Fortschritt des Denkens, Ausgrenzung, Fremdenfeindlichkeit, Dogmatismus, Karrieresucht werden deutlich und durchaus schlicht gestellt. Heute, da sich viele schlichte Gemüter nur allzu leicht von billigen Hetzkampagnen einfangen lassen, ist der Wert solch eines Films nicht zu unterschätzen!

Peter Claus