in-only-lovers-left-alive-680

Biss zum Morgengrauen: Tilda Swinton und Tom Hiddleston in «Only Lovers Left Alive».
© Pandora Film Verleih

Adam und Eve dürsten nach Blut

Jim Jarmusch hat mit «Only Lovers Left Alive» einen Leckerbissen von einem Vampirfilm gedreht

Es sind ein paar prickelnde Momente, die das letzte halbe Jahrhundert unserer Film- und Fernsehgeschichte den Vampiren verdankt: Roman Polanskis Winterkomödie «Tanz der Vampire»; die wundervolle Teenie-TV-Serie «Buffy the Vampire Slayer»; die an sich vollkommen verzichtbare «Twilight»-Kino-Serie, die aber immerhin für bumsvolle Säle sorgte; der ambitionierte SchwedenSchocker «Let the Right One In» von Tomas Alfredson, eine ganz lakonische Neuinterpretation des Vampir-Genres; «True Blood», die Beisser-Fantasy-Serie von HBO, auch dies wie «Twilight» ein Geldquell sondergleichen, eine der Blutreserven des Senders, der sonst erlesenstes Qualitätsfernsehen macht. Und das sind nur die Eckzähne aus dem Riesengebiss der Vampirunterhaltung.
 Es nährt sich da der Vampir vom Menschen, und es nährt sich die Kulturindustrie vom Vampir, und da wären wir auch endlich beim jüngsten Vampirfilm, nämlich bei «Only Lovers Left Alive» von Jim Jarmusch. Denn Jarmusch führt den Beweis, dass einige der grössten Kulturdenkmäler von Vampiren erschaffen wurden. Dass diese hyperintelligenten Geschöpfe, die mühelos das Wissen von Jahrhunderten aufsaugen konnten, quasi als Ghostwriter hinter den schnell verblichenen Menschenkindern stehen, die wir heute als grosse Klassiker hochhalten. Hinter Shakespeare etwa. Oder Schubert. Und dass manche Kulturschaffenden selbst immer schon Vampire waren. Zum Beispiel der britische Schriftsteller Christopher Marlowe (John Hurt), der bei Jarmusch nicht nur von 1564 bis 1593 gelebt, sondern quasi nach seinem offiziell bekannten Tod weiterhin für Shakespeare geschrieben hat und heute in Tanger als schwer drogensüchtiger Vampirgreis dahinsiecht.

Beschaffungskriminalität

Denn Vampire sind nichts anderes als Abhängige, die ihren Stoff brauchen. Und weil so ein Vampir heutzutage nicht mehr einfach losgehen und zubeissen kann wie in alten Zeiten, gibt es eine weitverbreitete Beschaffungskriminalität: Die erfolgreichsten Dealer sind Ärzte in Spitälern, aber leider ist der Stoff wie jede Droge nicht überall gleich gut, es wird gepanscht und gestreckt, und auch der erfahrenste Vampir kann sich eine Blutvergiftung holen.

 Es ist ein überspanntes Tier, so ein Vampir, und zwei besonders überspannte Exemplare sind Adam (Tom Hiddleston) und Eve (Tilda Swinton): Er ist ein depressiver, genialer Musiker mit einem Gitarrenfetisch, der schon für Schubert komponierte und mit den britischen Romantikern abhing; sie ist ein paar Tausend Jahre älter als er, eine hedonistische Bohemiens, wahrscheinlich adelig, auf jeden Fall sehr reich; sie reist und ist mit Marlowe befreundet, er ist in einer Ruine in Detroit stationiert, denn schliesslich ist Detroit das MusikerMekka unserer Epoche. 

Adam und Eve lieben sich total, anders lässt sich das nicht ausdrücken, nach allen Regeln der vielhunderjährigen Liebeskunst, immer zugleich altmodisch und avantgardistisch. Adam kleidet sich schwarz, Eve ist dagegen ganz weiss, zusammen sind sie so dermaßen versnobt und stylish, so sehr zwei Oscar Wildes unserer Zeit, dass man ihnen mit wachsendem Amüsement zuschaut und zuhört. Außer bei den Coen Brothers («Burn After Reading») war Tilda Swinton noch nie so lustig, dabei muss sie als Eve nicht viel mehr tun, als eine überzeichnete Version ihrer selbst – die adelige Schottin mit dem Stammschloss – zu spielen. Und natürlich hilft ihr leicht außerirdisches Aussehen sehr bei der Darstellung einer entrückten Vampirin.

Jim Jarmuschs grosse Liebe

Hiddleston ist ganz Mann-in-der-Krise, ein Kulturpessimist dazu, der die Menschen von heute nur noch verzweifelt «Zombies» nennt: hirnlose Rotten, die sich mit Trivialitäten vollstopfen. Hinzu kommen noch Eves kleine Schwester Ava (Mia Wasikowska), eine auf ewig renitente Teenie-Vampirin, ein paar seltsame Menschen-Zombies, viele komische Alltagsprobleme und das Gestern, Vorgestern und Vorvorgestern, die mit dem Heute zu einer höchst originellen Melange verschmelzen.
 Tiefgründiger und liebevoller als Jarmusch, so scheint es, hat sich seit vielen Jahren keiner mit den blutrünstigen Nachtschattenkreaturen befasst. Herausgekommen ist ein wahrer Leckerbissen. Und weil er Adam, Eve und Christopher Marlowe so sehr liebt, packt Jarmusch sie in jenes dem Vampir genehme Element, in dem auch der Kinozuschauer zu Hause ist: in Dunkelheit. In eine schwülstige, schwarzromantische, Monster gebärende Dunkelheit, der man sich noch so gerne hingibt.

Simone Meier, Tages-Anzeiger 18.12.2013