Wie entgeht man der Authentizitätsfalle des Rock’n’Roll? Zum Beispiel, in dem man aus einem Kunstprodukt ein Kunstprojekt macht. Wie die White Stripes, die es jetzt auch schon über zehn Jahre (und anscheinend nicht mehr lange) gibt.

Zugegeben: Völlig neu ist das nicht, dem mehr oder weniger geschlossenen Konzept Band mit einem mehr oder weniger offenen Duo zu begegnen, bestehend aus einem ruhenden, introvertierten Pol (Meg White, dr, voc) und einem hibbelig-extrovertierten Pol (Jack White, guit, voc, keyb). Bei den White Stripes ist das freilich noch einmal auf die Spitze getrieben, nicht allein durch eine Legende dazu: Sind es Geschwister? Ein Liebes-, ein Ex-Ehepaar?  Jack und Meg haben ein melancholisches Mysterium aus ihrer Beziehung gemacht, eine vergangene Zukunft: Ein Maximum an Romantik mit einem Minimum an Pathos, was mehr ergibt als eine Story zur Band: Es ist die Essenz der White Stripes. Und alles ist möglich, das Künstler-Duo, das Trailerpark Trash-Paar, Postpunks und Neohippies, Orpheus & Eurydike, Hänsel und Gretel im Soundwald. Ungewöhnlich ist vielleicht die Musik, die diesem Konzept entspricht, ein krachender und zugleich irrwitzig verästelter Blues, mit Abstechern zum Rock’n’Roll, dem Kinderlied, dem Gitarrenlärm, immer wieder aber Blues, freilich von der Art eher des Captain Beefheart: Blues als avancierte Kunstmusik, oder doch Kunstmusik als Blues (und tatsächlich sind die White Stripes ja auch eine der wenigen, die es gewagt haben, Beefheart zu covern).

Wie die White Stripes funktionieren kann man nun sehr schön anhand eines Doppelpacks studieren: „Under Great White Northern Lights“ besteht aus dem ersten offiziellen Live-Album der White Stripes und einem Film auf DVD, den Emmett Malloy (Stripes-Fans schon als Regisseur einiger ihrer Videoclips bekannt) auf einer zumindest geographisch ausgedehnten Tour durch Kanada gedreht hat, eine Tour, die ganz bewusst kleine Clubs und schräge Locations suchte.

Es beginnt mit dem „One Tone Concert“: Jack und Meg kommen mit dem Auto angefahren, gehen auf die Bühne und spielen tatsächlich nur „einen Ton“, genau genommen ist es, wenn ich mich nicht irre, ein guitarrentechnisch ziemlich fieser C#-Anschlag mit einem Becken/High Hat-Beat. Danach muss das Publikum für sich selber weitermachen. Und das erste richtige Konzert beginnt dann mit „Let’s Shake Hand“ in einer Version, die Punk, Beefheart und Hendrix zusammenbringt als wär’ das nix, von einem Dudelsack-Intro ganz abgesehen.

Es gibt White Stripes-Version eines alten Vaudeville-Songs, und auch musikalisch ist es immer schwer zu sagen, ob es sehr einfach oder eben doch sehr raffiniert ist. Jedenfalls ist die Basis der Musik Meg Whites anrührendes Kinderzimmer-Schlagzeug, was beinahe völlig ohne Fußarbeit und jedenfalls ohne jeden Anflug von Virtuosität auskommt, dafür aber traumhaft dialogisch und körperlich ist. Jack White setzt dagegen ein rockistisches Rollenspiel, als wäre er ständig jemand anders, nicht nur innerhalb eines Songs, sondern auch mal in einer einzigen Liedzeile. Er benutzt dabei drei Arbeitsplätze, ein Mikro, das zum Publikum hin gerichtet ist, ein zweites, das direkt gegenüber Megs Schlagzeug steht und ein etwas weiter entferntes Keyboard, zu dem er sich den Weg immer irgendwie musikalisch erkämpfen muss. Das ist einerseits eine hübsche mythopoetische Anordnung (drei Arten, eine Liebesgeschichte zu erzählen), es ist andrerseits eine Frage des musikalischen Handwerks, denn wenn man wie die White Stripes ohne Trackliste auftritt, benötigt man schon etwas mehr Kommunikation als die üblichen rockistischen Seitenblicke, und drittens haben die White Stripes so etwas wie eine DOGMA-Form des Rock-Konzerts entwickelt. Verboten sind zum Beispiel alle nicht offenen musikalischen und technischen Tricks, und in jedem Konzert gibt es selbst eingebaute Obstruktionen, die verhindern sollen, dass man das Material bloß reproduziert. Von Dylan haben die White Stripes unter anderem gelernt, dass man die eigenen Lieder, wenn nötig, auch massakrieren muss, um sie am Leben zu erhalten.

Der Film – er übernimmt übrigens insofern das visuelle Konzept der Band, als er entweder die Stripes in ihren Farben Rot, Weiß und Schwarz zeigt oder selbst schwarz/weiß oder rot wird – zeigt zwei Menschen, die es sich nicht immer ganz leicht machen, die aber ziemlich genau wissen, was sie tun. Die White Stripes sind zugleich die echteste und die gefälschteste Rock-Band der Welt, hat ein Kritiker geschrieben, und Jack White zitiert es mit sichtlichem Vergnügen. Und es sind zwei Menschen, die offen zur Welt hin sind. Es ist ein durchaus anrührender Moment, wo Meg und Jack mit alten Inuit zusammen sitzen und erzählen, und dann ein Stück von Blind Willie McTell spielen, und die alten Leutchen einen Squaredance zu Harmonika-Musik als musikalischen Dank bringen. Und am Ende sitzen die beiden am Klavier, und bei einem Song kommen Meg die Tränen, und wir können höchstens ahnen, warum.

Die Live-CD, samt und sonders auf dieser Kanada-Tournee im Jahr 2007 aufgenommen, umfasst, wie man so sagt, die Höhepunkte des gesamten Schaffens der White Stripes, bevor man sich wohl mit einer Studioproduktion verabschieden wird. 16 Stücke über eine Stunde Laufzeit verteilt befinden sich auf der CD, darunter auch die allererste Single „Let’s Shake Hands“. Der Tournee entsprechend sind es raue und energetische Versionen to the bone. Und direkt auch ist das Spiel mit dem Publikum zu hören, das zu einem zusätzlichen Instrument für die White Stripes wird (absurd aber vollkommen nachvollziehbar der Übersprung von Hendrixistisch abhebender Guitarre, intimistischen Momenten zwischen Stimmen und Instrumenten und einer plötzlichen Fußballstadion-Mitgröhlseligkeit im Publikum: „I just don’t know what to do with myself“ als Hymne des entschlossenen Nichtweiterwissens). Und natürlich auch wieder die gespannte Ruhe bei „Jolene“, das zugleich so tückisch und emotional daherkommt, weil Jack White den Song in einer Tonlage beginnt, von der man weiß, dass man in ihr „normal“ das Lied nicht wird durchführen können; so bekommt der Umschlag ins Falsett einen interessanten Nebenaspekt. Überhaupt wäre das vermutlich eine treffende Charakterisierung von White Stripes-Musik: Eine Art, wie man relativ einfaches musikalisches (und dramaturgisches) Material wieder sehr, sehr interessant machen kann, und eine Art, das Publikum an dieser Arbeit teilhaben zu lassen.

Autor: Georg Seeßlen

geschrieben April 2010


The White Stripes – Under Great White Northern Lights

CD + DVD

Label: Xl/Beggars Group (Indigo)


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