Steven Soderberghs vorerst letzter Kinofilm ist ein Thriller über Geld, Mord und Pillen, die das Glück versprechen.
Side Effects – Tödliche Nebenwirkungen (USA, 2013)
© Senator Film Verleih

 

Kino bis zur Erschöpfung

Steven Soderbergh scheint seinen Kampf gegen die Traumfabrik erst einmal aufzugeben

Ein Film-Verrückter, zweifellos. Wie eines seiner Vorbilder, Steven Spielberg, war Steven Soderbergh schon als 13jähriger mit der Super 8-Kamera unterwegs; er lernte Filme wie „Der weiße Hai“ gleichsam auswendig, Einstellung für Einstellung, Schnitt für Schnitt. Daneben erwarb er sich in Animationskursen grundlegende Fertigkeiten und begann, nach eher glücklosen Erfahrungen als Cutter beim Fernsehen, mit dem Verfassen eigener Drehbücher. Sein Entrée in die Filmwelt waren schließlich Konzertfilme für die Bombast-Rocker Yes; „9012Live: The Solos“ brachte ihm 1986 immerhin eine Nominierung als bester langer Musikfilm bei den Grammy-Awards ein.

Drei Jahre später war Soderberghs „Sex, Lies & Videotapes“ eine kleine Sensation bei den Filmfestspielen in Cannes. Da zeigte sich, vielleicht, der Beginn eines neuen US-amerikanischen Kinos zwischen Independent und Mainstream, intelligent aber unterhaltsam, kritisch aber nicht radikal, ein wenig postmodern aber nicht zu sehr. Und ziemlich ehrlich, was das Leben der Generation anbelangte, die nach den viel zitierten Baby-Boomern kam. Soderbergh kehrte mit einer „goldenen Palme“ nach Amerika zurück. Ein neues Wunderkind für die Traumfabrik war geboren. Eine Menge Erwartungsdruck, eine Menge Neider, eine Menge Fallstricke warteten dort.

Soderbergh hat das Kino, seine Zuschauer und seine Kritiker

(und natürlich vor allem sich selbst)

immer an den Rand der Erschöpfung geführt.

„Sex, Lies & Videotapes“ zeigt, eher quer als längs erzählt, eine Gruppe von Menschen in den Netzen ihrer Begierden und ihrer Hemmnisse. Dabei spielt der Film gekonnt mit dem Motiv des Voyeurismus in der Handlung wie dem zwischen Leinwand und Zuschauern. Es war eine Momentaufnahme der sexuellen Ökonomie und der Ratlosigkeit am Ende der achtziger Jahre. Und er machte diese unhierarchische, sich eher über Raum und Zeichen als über Aktion und Reaktion entwickelnde Erzählweise wieder populär, in der vordem Robert Altmans größte Filme geprägt hatte und die Paul Thomas Anderson in „Magnolia“ (1999) zu einer Meisterschaft entwickelte, die Steven Soderbergh nie erreichen sollte. Dessen Stärke liegt woanders.

Es ist die Leichtigkeit, mit der er Dinge zu verknüpfen versteht, die auf den ersten Blick nicht zusammen gehören, das Jonglieren mit verschiedensten Charakteren und Handlungspartikeln, die, einmal in die Luft geworfen, noch ein paar unerwartete Drehungen vollführen, bevor sie vom Drehbuch an unvorhergesehener Stelle wieder aufgefangen werden. Steven Soderbergh hatte von Beginn seiner Arbeit an zwei große Gegner: Die Traumfabrik, die sein Talent zu absorbieren trachtete, und sich selber. Er war stets davor auf der Flucht, einen „ganz normalen Hollywood-Film“ zu machen, oder aber einen „Soderbergh-Film“. Filmemachen auf der Flucht kann sehr kreativ sein, manchmal. Anstrengend ist es aber immer.

OCEAN’S THIRTEEN © Warner Bros.

Seit dem Erfolg von „Sex, Lies & Videotapes“ arbeitet Soderbergh ziemlich rastlos in einem Business, das er zugleich von erzen liebt und verabscheut. Für das Kino, zwischendurch auch für das Fernsehen, als Drehbuchautor, Regisseur und Produzent. Und nicht genug damit: Als Kameramann bei den eigenen und manchen anderen Filmen, unter dem Pseudonym Peter Andrews, und beim Schnitt als Mary Ann Bernard. Und im Jahr 2000 gründete er zusammen mit George Clooney die Section Eight Productions. Ein Versuch, die Unabhängigkeit auch ökonomisch zu fassen. Die freundschaftliche Zusammenarbeit mit Clooney endete 2006; man blieb durch die Erfolgsserie der „Ocean’s“-Filme miteinander verbunden.

Eine geradlinige success story ist die Karriere des nächsten Wunderkindes in der Traumfabrik nicht geworden. Nach dem Erfolg von „Sex, Lies & Videotapes“ kamen für Steven Soderbergh ein paar deftige Flops. Offensichtlich war es sein Hauptanliegen zuerst einmal, sich auf keinen Fall zu wiederholen oder zum Spezialisten sarkastischer Mehrpersonenstücke zu werden. Das Leben von Franz Kafka in einen Thriller zu verwandeln und die Titelrolle Jeremy Irons zu übertragen, war möglicherweise nur auf dem Papier eine gute Idee, und die Verfilmung von „König der Murmelspieler“ (1993) zeigte durch ein paar allzu schöne, nostalgische Tableaus und ein sonderbares Happy End eine Schwäche dieses Filmemachers. Von den Wunderkinder-Vorgängern Spielberg und George Lucas scheint Soderbergh eine Angst geerbt zu haben, es mit Experiment, Provokation und unangenehmer Wahrheit zu übertreiben.

Soderberghs Filme wollen immer auch gefallen. Man spürt in ihnen den anstrengenden Kampf zwischen dem Autor und dem System, mal gewinnt der eine, mal das andere, und das nicht nur von einem Film zum nächsten, sondern oft genug innerhalb eines einzelnen Films. Denn die Methode der subversiven Kooperation, die Soderbergh entwickeln sollte, ist von einem grundlegenden Zuspruch des Publikums abhängig. Man testet gleichsam gemeinsam aus, wie weit das Kino sich von seinem unterhaltungsindustriellen Zentrum entfernen kann ohne in die Marginalisierung des Arthouse-Programms zu verfallen.

So unterschiedlich Soderberghs Filme auch sein mögen,

sie alle haben immer ein Ziel.

Es sind Reisen in Psychen am Rande der Auflösung.

Richtig in Fahrt kam Soderbergh erst wieder mit „Out of Sight“ (1998). Der Stoff von Elmore Leonhard gab ihm wieder Gelegenheit, die komplexeren narrativen Kompositionen kinogerecht zu formen, und George Clooney in der Rolle des smarten Verlierer-Einbrechers war eine sichere Bank. Vor allem zeigt es einmal mehr Soderberghs einzigartige Begabung, mit vielen Haupt- und Nebenfiguren zu jonglieren, die allesamt mit fulminantem Leben erfüllt sind.

Soderbergh hat auch in seinen Genrefilmen die Kunst entwickelt, Charaktere und Beziehungen zu entformeln. Bei ihm gibt es nicht die Guten und die Bösen, auch und gerade wenn einer für den anderen wirklich das Schrecklichste ist, was ihm widerfahren kann. Bei Soderbergh geht es vielmehr um eine neurotische Struktur der Gesellschaft, um Leute, die es immer wieder schaffen zur richtigen Zeit am falschen Platz zu sein, dieselben Fehler immer zu wiederholen, sich immer wieder in die falschen Leute zu verlieben, immer wieder Ehrgeiz am falschen Ort zu entwickeln, sich zu binden, wo man sich lösen müsste, und sich vor der Bindung zu drücken, wo sie die Lösung wäre.

In der Folgezeit kann man wohl zwei Arten von gelungenen Soderbergh-Filmen unterscheiden: Die einen sind die Filme, die eine einzelne Person im zornigen und verzweifelten Kampf gegen übermächtig erscheinende Systeme zeigen, „The Limey“ (1999), der mehr ist als eine Gangster-Rachegeschichte, „Erin Brockovich“ (2000), die Geschichte vom Kampf einer starken Frau (Julia Roberts, vollkommen gelöst vom Rollenklischee), und, fast schon als Farce „The Informant!“ (2009), wo Matt Damon als Autor einer Verschwörung erscheint, die so viel größer ist als er selbst – der Biedermann, in dem der Brandstifter lauert (in dem wiederum der Biedermann hockt). Und auf der anderen Seite jene Filme, die Strukturen und Beziehungen beschreiben, weltumspannend gar wie in „Traffic“ (2000), der die Macht des Drogenhandels und die Absurdität seiner Bekämpfung illustriert, oder „Full Frontal“ (2006), einer Art späte Fortsetzung von „Sex, Lies & Videotapes“,

Gina Carano in HAYWIRE

Der Trick von Soderberghs Art des Filmemachens besteht darin, die Traumfabrik mit den eigenen Mitteln zu schlagen. Soderbergh bezieht sich auf gängige Genres, um ihre Regeln zu brechen oder ironisch zu überhöhen, er setzt die Stars ein, nur um sie im Ensemble-Spiel wieder zu richtigen Schauspielern zu machen, und er setzt in Filmen wie „Solaris“ (2002) die Produktionsmittel von Blockbustern ein, um am Ende doch wieder ein eher intimes Spiel zwischen Subjekt und Gesellschaft zu entfalten. Denn so unterschiedlich Soderberghs Filme auch sein mögen, sie alle haben immer ein Ziel. Es sind Reisen in Psychen am Rande der Auflösung. Auch sein Ernesto Guevarra in dem Zweiteiler „Che“ (2008) ist weniger die historisch-ideologische Gestalt als der Mann, dessen Welt-Vorstellung sich auflöst. Darum fällt es Soderbergh nicht schwer, für diesmal wirklich ziemlich weit entfernt von der Traumfabrik, seine Sympathie, nennen wir’s gar Zärtlichkeit, zu zeigen. Aber umgekehrt hat Soderbergh auch immer wieder kontroverse Themen mit einer freundlichen Maske versehen; selbst „Traffic“, gewiss einer seiner besten Filme, blieb von dem Vorwurf nicht verschont, die große Hässlichkeit von Droge und Verbrechen hinter einem Schleier der Kino-Konventionen wenigstens halb zu verbergen. Steven Soderbergh also hat das Kino, seine Zuschauer und seine Kritiker (und natürlich vor allem sich selbst) immer an den Rand der Erschöpfung geführt. Immer tritt er zugleich als Schmuggler und als Verräter auf. Immer balancierte er auf einem Seil zwischen Kunst und Kommerz, und immer warteten die einen oder die anderen nur darauf, dass er abstürzte. Immer wieder folgten auf allzu eigensinnige Filme, mit vorhersehbar schlechten Einspielergebnissen, die Versuche, der Traumfabrik zu geben was der Traumfabrik ist. Vollständig gelungen ist das Amalgam wohl nur in den Gaunerkomödien der „Ocean’s“-Filme, wo die ungeheure Drehbuch- und Inszenierungseleganz und das so großartig entspannte Spiel der Stars zu nichts anderem führt als zu einer wunderbaren cineastischen Seifenblase. Sogar ihr Platzen zeugt noch von Raffinesse und Talent. Und nach jedem erfolgreichen „Ocean’s“-Film nahm Steven Soderbergh erneut ein ästhetisches oder politisches Wagnis bei Stoffwahl und Gestaltung auf sich. Aber mit jedem dieser Befreiungsversuche wuchs die Erschöpfung, der Kampf gegen die Traumfabrik war in Wirklichkeit nicht zu gewinnen.

Steven Soderbergh wollte mit Fantasie und Ambition der Kinomaschine ein Schnippchen schlagen. Das gelang mal großartig, mal so eben gerade noch und manchmal auch gar nicht. Filme der letzten Jahren, zum Beispiel „Haywire“ (2012), die so aussehen, als wollte er nur beweisen, dass der Regisseur jedes Register dieser Maschine beherrscht und noch aus den trivialsten Formeln von Agententhriller oder Katastrophenfilm Funken zu schlagen versteht, schadeten diesem Projekt der subversiven Koexistenz eher als das sie ihm nutzten.

Jetzt könnte Steven Soderbergh nur noch entweder Steven Soderbergh- oder Hollywood-Filme drehen. Er hat sich, ehrbar genug, entschlossen, sich dieser Falle durch Rückzug zu entziehen. Vorerst! Und möglicherweise ist auch dieser taktische Rückzug nur ein weiteres Kapital in der Kriegs- und Liebesgeschichte zwischen einem Filmemacher und (s)einer Traumfabrik.

Georg Seeßlen, der Freitag

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