warum Hitler kopp-680

Cover: be.bra Verlag

Hitler als Film-Gourmand

Volker Koop versucht Licht in die rätselhafte Filmwelt des Adolf Hitler zu bringen und bringt viele Anekdoten und Zeitzeugnisse zu Tage

„Warum Hitler King-Kong liebte, aber den Deutschen Micky Maus verbot“. Der Titel von Volker Koops Buch ist reißerisch, hält näherer Überprüfung aber nur bedingt stand. Mit seiner Faszination für den US-Fantasyfilm von 1933 stand Adolf Hitler nicht allein. Die Geschichte um den Riesenaffen, der eine hilflose Frau in seine Gewalt bringt und Teile von New York in Trümmer legt, traf auch den Geschmack des deutschen Massenpublikums. Hier waren der Führer und sein Volk einer Meinung. Greinend am Wegrand standen nur die überbesorgten deutschen Filmzensoren, die in „King Kong und die weiße Frau“ einen „Angriff auf die Nervenkraft des deutschen Volkes“ befürchtet hatten – und – wie so häufig – unerhört geblieben waren.

Hitler war der Oberzensor der zwischen 1933 und 1945 in Deutschland hergestellten und zur Aufführung freigegebenen Spielfilme, auch der Wochenschau und der Importfilme. Belege für diese Machtausübung wie auch für die begrenzten Möglichkeiten von Reichspropagandaminister Joseph Goebbels führt Volker Koop reihenweise an. Aber gegenüber Walt Disney und dessen Vorstellungen von Lizenzgebühren musste das chronisch devisenschwache Deutsche Reich finanzielle Grenzen bekennen. Jedenfalls kamen schon früh keine neuen Disney-Produktionen mehr in deutsche Kinos. Was Goebbels nicht hinderte, dem Führer zum Geburtstag 1937 ein Paket von Micky Maus-Filmen zu schenken. Anschließend schwelgte er in Selbstlob: Der Führer „ist ganz glücklich über diesen Schatz.“ Im Februar 1940 rühmt Goebbels Disneys „Schneewittchen“ (1937) als „künstlerischen Hochgenuss“. Mit dieser Meinung stand er nicht allein. Das Reichsfilmarchiv besaß mehrere deutsche Tonfassungen und angeblich wurde kein Film so häufig ausgeliehen für Privatvorstellungen wie dieser erste abendfüllende Disney-Zeichentrickfilm. Der Zugang zu diesem Schatz blieb aber Teilen der NS-Elite vorbehalten. Daraus im Buchtitel ein Hitler-Verbot für Micky Maus zu machen, erscheint sehr gewagt und gewollt. Dem gemeinen Kino-Volk sind die Disney-Produktionen der späten 30er Jahren erst aus ökonomischen Gründen vorenthalten geblieben. Später waren sie Opfer des über Hollywood verhängten Boykotts. Trotz oder gerade wegen ihrer Popularität. Da ging es Micky Maus nicht besser als anderen US-Filmen. Leider wird die unendliche Saga um die letztlich gescheiterte Herausbringung der „Schneewittchen“-Synchronversion von Koop nur sehr unvollständig erzählt.

Das soll aber andere Verdienste dieses Buchs nicht schmälern. Was Koop aus vielen Quellen fußnotenreich zusammenträgt, fügt sich im Fall Hitlers zum Bild eines fanatischen Filmkonsumenten, der in Friedenszeiten kaum einen Abend in der Reichskanzlei oder auf dem Berghof verstreichen ließ, ohne sich mehrere Filme anzusehen. In Gesellschaft seiner politischen Entourage, diversen Adjutanten, sogar dem Hauspersonal und in Berchtesgaden auch im Beisein von Eva Braun, die bekanntlich so filmaffin war, dass sie sich mitten im Krieg eine eigene kleine Kino-Traumwelt zurecht zimmerte.

Die überlieferten Zeugnisse dieser Filmabende sind zahlreich. Oft spricht daraus Überdruss und Widerwillen gegen die ewig gleiche Art der Abendgestaltung. Aber vor allen Dingen zeugen diese Zitate von Unfähigkeit zur Differenzierung. Priviligierter Konsum und exklusiver Zugang selbst zu raren cinematographischen Früchten machen nicht zwangsläufig zum Cineasten. Genau dieses Prädikat gesteht Koop Hitler in einem Zwischentitel aber zu. Bei allem Filmenthusiasmus Hitlers: Von einer Karriere im Sinn einer Reifung und Entwicklung lässt sich nicht ernsthaft sprechen. Der Frauenkenner Hitler dozierte nach den Vorführungen im kleinen Kreis über die Leistungen der weiblichen Schauspieler, und Eva Braun – schreibt Koop – durfte die Männer beurteilen.

Film-Diskurse oder auch nur angeregte Kommunikation konnten in dieser Gesellschaft nicht aufkommen. Wie ein durchschnittlicher Kinobesucher schwankte Hitler zwischen Begeisterung, Zustimmung, Kritik oder Ablehnung, die sich in Abbruch der Vorführung, Verlassen des Saals oder Wutausbrüchen äußerten. Er goutierte, was seiner Vorstellung entsprach; er verdammte Filme, die ihm und seinem Weltbild widerstrebten.

Was häufig nicht ohne Konsequenzen blieb. Hitler nutzte – wie auch sein Satrap Goebbels – bedenkenlos seine Macht, um Auszeichnungen, Gratifikationen, Tadel und Verbote zu verteilen. Hitlers Verdikte („ohne Ethik und Moral“ hieß es etwa über Luis Trenkers „Der Kaiser von Kalifornien“) führte zu meist hektischen Schnittorgien, zu neuen Kosten in der Postproduktion und einer verzögerten Herausbringung von Filmen. Kein Wunder, dass in den Kinos permanent Filmknappheit herrschte.

Hitler habe „die simple Unterhaltung bevorzugt“, schreibt Koop. So soll er die 1944 fertiggestellte Rühmann-Komödie „Die Feuerzangenbowle“ in den wenigen Monaten bis zum Kriegsende rund 20 Mal gesehen haben. Ein Fan von Zeichentrickfilmen ist er gewesen und Slapstickfilme von Stan Laurel & Oliver Hardy haben ihm gefallen. Aber warum konnte er dann mit einem Buster Keaton nichts anfangen? Dieser Widerspruch bleibt offen und hier stößt Volker Koops Buch an methodologische Grenzen. Er zitiert eine Menge von Filmen, listet im Detail Hitlers privates Filmarchiv auf, in dem sich übrigens auch Propagandafilme finden, aber in seiner Beschäftigung mit den Filmen selbst geht Koop über eine Reihung von Synopsen, Filmgeschichten und Anekdoten nicht hinaus. Ob Hitler sich stets in Übereinstimmung mit der Gemütsverfassung des deutschen Kinogängers jener Zeit befand, müsste man untersuchen. Ausgangspunkt wären detaillierte Analysen einzelner Filme. So könnte man erkennen, wann und warum der Rezipient Hitler von bestimmten bewegten Bildern angesprochen oder umgekehrt angewidert war. Hitlers Phobie vor Pferden führte zum Beispiel dazu, dass es trotz des Erfolgs von „…reitet für Deutschland“ (1941) mit Willy Birgel keine Fortsetzung in diesem Genre gab. Die vom enttäuschten Regisseur Arthur Maria Rabenalt später geäußerte Vermutung, die „neurotische Pferdescheu“ des Führers sei ein „Indiz für inzestuöse Begierden“ gewesen, zweifelt Koop an. Er verfolgt solche Spuren nicht weiter. Koop gesteht am Ende offen sein Nicht-Verstehen: „Hitlers Filmgeschmack erweist sich als genau so rätselhaft und widersprüchlich wie der Rest seiner Psyche.“

Bleibt als Fazit: Trotz Karsten Witte und seines großen Kompendiums „Lachende Erben, toller Tag“ über die Komödie im Dritten Reich – eine ernsthafte und umfassende Filmgeschichte dieser Schicksalszeit steht immer noch aus.

Es wäre vermessen, diese Leistung von dem hier vorliegenden Buch zu erwarten. Koop will unterhaltsam sein, arbeitet mit vielen Bebilderungen und trägt auch interessante Materialien zusammen. Auf der personalen Ebene bietet sich das für den Nationalsozialismus typische Bild einer dysfunktionalen Ordnung. Beim Thema Film fühlte sich offenbar jeder NS-Hierarch berufen mitzuquaken. Einsprüche, Widersprüche, Bedenken, Verbotsanträge, banale Geschmacksurteile häufen sich. Oder man entfaltete gleich eigene Aspirationen wie NS-Chefideologe Alfred Rosenberg, der über seinen NS-Kulturgemeinde eigene Filme jenseits des Ufa-Monopols realisieren ließ. Und damit scheiterte, sehr zur Tagebuch-Freude seines Konkurrenten Joseph Goebbels.

Die Schilderungen des künstlerischen Personals sind nicht minder bizarr. Hitler, der von einer kapriziösen südamerikanischen Leinwand-Schönheit namens Imperio Argentina entzückt war, Goebbels, der aus Liebe zur tschechischen Schauspielerin Lida Baarová Karriere und Ehe aufs Spiel setzte: Beide waren sie ganz offensichtlich vom fremden Anderen angetan. Das Verlangen nach Exotik war in diesen Momenten hier stärker als alle Ideologie. Das Bild von der blonden arischen Rassefrau, die Kamerad und Mutter sein sollte, verblasste angesichts dieser Fleisch gewordenen Träume von Weiblichkeit.

Einer von Hitlers „Paradefrauen“, der Filmregisseurin Leni Riefenstahl, ist ein eigenes Kapitel gewidmet. Zu recht. Riefenstahl verstand es raffiniert, sich der Kontrolle und dem Einfluss des Joseph Goebbels zu entziehen. Sie hielt sich stattdessen gleich an den Führer. Und wenn der oberste Feldherr im Zweiten Weltkrieg nicht greifbar war, dann versuchte sie, für ihr Großprojekt „Tiefland“ Zeit und Devisen für Drehs in Italien und Spanien über Martin Bormann loszueisen. In einer Mischung aus ohnmächtiger Wut und stiller Genugtuung verfolgte Tagebuch-Schreiber Goebbels diese unendliche Geschichte: „Schon über fünf Millionen Mark verpulvert“, heißt es in einer Notiz.

Wie bei verschiedenen anderen Filme aus der Agonie-Phase des Dritten Reichs kam Hitler auch bei „Tiefland“ nicht mehr dazu, den Obergutachter zu spielen. Um die Premiere dieses frühen „Autoren“-Films mit Riefenstahl als Regisseurin, Drehbuch-schreiberin, Produzentin und Hauptdarstellerin in Personalunion zu erleben, hätte er zehn Jahre älter werden müssen. Ob „Tiefland“ mit seinem hölzernen Pathos und seiner zeitentrückten Geschichte ihm zugesagt hätte? Erstaunlich ist jedenfalls, dass dieses Projekt mitten im Krieg überhaupt in Angriff genommen werden könnte. Eine der vielen Verrücktheiten des NS-Films, dessen Anführer aber für sich in Anspruch nehmen konnte, die Wichtigkeit und Macht des neuen Bildermediums erkannt und genutzt zu haben. Und bei den Prestigeprojekten galt: Koste es, was es wolle.

Michael André

 

warum Hitler kopp-680

Cover: be.bra Verlag

Volker Koop:

Warum Hitler King Kong liebte,

aber den Deutschen Micky Maus verbot

Die geheimen Lieblingsfilme der Nazi-Elite

240 Seiten, 40 Abb., 14 x 22 mm, Gebunden

be.bra Verlag

September 2015, 19,95 €

ISBN 978-3-89809-125-1