Arbeit ist Dienst  

Es geht hier in diesem durchaus polemisierenden Abschnitt vor allem um die therapeutisierte und zugleich therapeutische Arbeit der neuen prekären Mittelklasse, die vielleicht eine Art Extremsport darstellt, und es geht damit weniger um jene krankmachende Verarmungsmaschinerie für Billigarbeitskräfte und Sozialhilfeempfänger, die heute durch den Besuch der „stalinistischen“ Zwangsernährungs-, Bekleidungs- und Ein-Euro-Ketten (Seeßlen) ihr Leben phasisch sichern müssen; also nicht um arbeitende und nichtarbeitende Objekte, bezüglich derer sowohl die Finanzunternehmen, Industriekonzerne als auch die neoliberalen Regierungstechniken des Staates jene Durchführung des Experimentes „coporate identity“ für wenig hilfreich oder aussichtsreich halten – „corparate identity“ im Sinne einer unbedingten Verpflichtung, sich mit den jeweiligen Unternehmenszielen zu identifizieren, als sei das Unternehmen eine überdimensionale Großfamilie (dort, wo es nicht um Identifizierung oder Gegenidentifizierung, sondern nur um Entidentifizierung gehen kann). Sozialhilfeempfänger von heute werden integriert, indem sie an den Staat eine Garantie zur Rückzahlung ihrer Alimente geben, dies allerdings nicht in der Form von Geld, sondern durch die permanente Abgabe von Aktivitätsprotokollen, der kontinuierlichen Anstrengung, die darin besteht, seinem Status als Schuldner zu entkommen, indem man selbst noch die vageste Einsatzbereitschaft zu jeder Art von Beschäftigung affirmiert -, es geht hier um die permanente Bereitschaft zur freien Disponibilität, eine Art Vollzeitaktivität oder verkehrter Autonomie, die ihren Sinn darin findet, alle Zwänge auszuhalten, so zum Beispiel die konstante Beratung durch Coaching, E-Mails der Jobcenter und Fortbildung; Maßnahmen, die im besten Falle so etwas wie die Erfahrung der Sinnlosigkeit hervorbringen. Was Lazzarato bezüglich der Verwendung elektronischer Chips bei Schafherden bemerkt hat, könnte man in Bezug auf die tatsächliche stattgefunden Ausstattung von Hartz 4 Leuten mit Schrittzählern zur Körperertüchtigung dann folgendermaßen formulieren: “Der Schrittzähler verwandelt die Akteure in Fleischströme, deren Zahlen, Verteilung, Gesundheitszustand etc. in Echtzeit bekannt ist. Das industrielle in Bewegung-Halten der Menschenströme (bei so gering wie möglicher Lagerhaltung) transformiert die Akteure in Datenbanken und die Jobcenteraufseher in Kontrolleure technisch ökonomischer Prozesse, die sie im Auftrag des Staates durchführen.” 1)

Je weniger heutzutage die Arbeit noch vorhanden ist, desto stärker soll die Nachfrage nach Arbeit zum ubiquitären Modell gerinnen, wobei man die sog. Produzenten über die diversen Vermittlungsdienste der Jobcenter in die Rolle von Konsumenten von „Arbeit“ versetzt, was der Vernetzung und der Kontrolle von Körper, Sprache, Affekt und Wissen im Dispositiv des (digitalisierten) Dienstes entspricht, der allerdings weder Internierung zwecks Verschleiß und Dressur der Arbeitskraft einschließt, wie dies im Kapitalismus der Fabriken des 19. Jahrhunderts noch der Fall war, noch einer Art Internalisierung von Arbeitsdisziplin bedarf, welche das Subjekt an sich selbst regelt, wie dies durch die ganze Moderne hindurch galt; vielmehr handelt es sich heute um die Installation des Dispositivs eines Dienstes, der im Zuge der Informatisierung des Körpers und seiner kognitiven Fähigkeiten in toto – Sprache, Affekt, Wissen etc. – die Extraktion des Mehrwerts ermöglicht, basierend also auf Dienstleistenden, die im klassischen Sinne nichts mehr produzieren, sondern vielmehr den Dienst als reine Information konsumieren. Dabei brechen heute selbst die weniger fragilen Lebens- und Arbeitsentwürfe an der Allgegenwart der Einschnitte, mit denen das Leben und der Dienst in Intervalle zergliedert, geteilt und verstreut und damit zugleich Kontinuität durch eine Art unbegrenzten Aufschub ersetzt wird -, wahrlich ein anhaltender Schwebezustand, der das Nie-zu-Ende-Kommen „lebenslangen Lernens“ in den Systemen und Institutionen der Bildung und Weiterbildung perpetuiert. Diese Bildungs-, Lebens- und Lernweisen bleiben dabei in Permanenz in die ubiquitären Geld-, Daten- und Informationsströme integriert, von denen sich sowohl die Lohnabhängigen als auch die scheinselbständigen Prekären, als handele es sich da um auf- und abschwellende Wellen, aufnehmen und fort tragen lassen. „Der Mensch der Disziplinierung“, schreibt Deleuze, „war ein diskontinuierlicher Prozess von Energie, während der Mensch der Kontrolle eher wellenhaft ist, in einem kontinuierlichen Strahl, in einer Umlaufbahn. Überall hat das Surfen schon die alten Sportarten abgelöst.“ Und er schreibt weiter: „Die Individuen sind ‚dividuell‘ geworden, und die Massen Stichproben, Daten, Märkte oder Banken.“ 2) Dividuell hier im Sinne von Getrenntheit, Teilbarkeit und das ist entscheidend, einer informatorisch regulierten Zerstreuung und Verteilung des Dividuums mittels der Dispositive der Demoskopie und Datenerhebung, mittels Maschinerien, die nicht nur die weltbewegenden, alltäglichen Fragen stellen, sondern auch quasi-tautologisch noch die entsprechenden Antworten liefern oder vorgeben. (Anders spricht hier vom Divisum, einem seriellen Individuum, das dividiert und in eine Mehrzahl von Funktionen zerlegt wird. Und er führt den Begriff des Dividuums noch eine Stufe tiefer, nämlich auf die Arbeitsteilung selbst zurück: „Die Verteilung von Arbeit auf mehrere zerteilt die stets so arbeitenden Individuen. Die „division of labour“ macht aus Individuen „Dividuen.“ 3) Und dass die Unternehmen eine Seele haben, sei wirklich die größte Schreckens-Meldung der Welt, moniert Deleuze schließlich und bezeichnet in gleichem Atemzug das Marketing als ein hässliches Instrument der sozialen Kontrolle (im Rahmen der demoskopischen Sozialspionage sollte man hinzufügen.) Eine ganze Reihe von Autoren verstehen heutzutage den Begriff der Kontrolle/Macht als einen wesentlichen Begriff der Politischen Ökonomie, und dies nicht nur hinsichtlich der Kontrolle des Körpers, sondern auch der Formierung der Kognition und der Affekte, des Wissens und der Information, was in der durchaus diversifizierenden Überwachung und Administration durch und von Netzwerken, der Implementierung der Software in alles und jedes, der Entwicklung technischer Gedächtnisse bis hin zur neuronal konstituierten Aufmerksamkeit seine Ausdrucks- als auch Inhaltsform findet. 4) In diesem Zusammenhang wäre Kontrolle als Bedingung der Möglichkeit der kapitalistischen Produktion schlechthin aufzufassen sowie als deren Horizont, und dies in der Art und Weise, wie Deleuze den Sinn als den Horizont der Möglichkeit jeder Aussage dargestellt hat, und insofern erscheint Kontrolle auch als das ideelle Ereignis des Immateriellen selbst, das permanent der Versuchung unterliegt, den Un-Sinn auszuschließen, den freien Fluss des Werdens. Darin entspricht Kontrolle nicht mehr unbedingt nur einer bestimmten Form oder einem spezifischen Typ von Information, vielmehr handelt es sich hier um das Indiz, dass die gesellschaftliche Form oder Formation im Kapitalismus einen Zustand der Information erreicht hat, eine Art Reinheit, die der allgemeinen Austauschbarkeit und Kapitalisierung entspricht, insofern die Information als Ware nicht ohne Inhalt, sondern mit beliebig austauschbarem Inhalt gehandelt wird. Gegen diesen Komplex hatte Derrida noch die (horizontale) Singularität gestellt, als das, was kein Äquivalent aber durchaus eine Ähnlichkeit besitzt, was nicht in die preisbestimmte Zirkulation des Kapitals eingeht, „das Preislose“, die Würde, das Nicht-identische oder das Vielförmige. 5)

An die Stelle der Produzenten, die sich im Laufe der kapitalistischen Historie zeitweilig nicht nur von ihrer fabrikmäßigen Internierung, sondern auch von der kompletten Rechtlosigkeit in Sachen Freiheit emanzipiert hatten, die also immerhin die Freiheit besaßen, ohne wenn und aber ihre Arbeitsvermögen an Märkten anzubieten, tritt heutzutage – mit dem permanent stattfindenden Vollzug oder Nichtvollzug von Dienst – der Informationswert des Konsumenten. Und je weniger der Dienst noch Dienst an der Arbeit ist, desto mehr wird er zum biotechnisch erhöhten Dienst an der Information mittels des Aufsaugens, Bearbeitens, Speicherns und Inkorporierens derselben. Dabei wandert die Information im und durch den Dienst in den Körper und seine kognitiven Vermögen hinein – Sprache, Wissen, Affekte – und wird mit der Dienst(leistung) tendenziell identisch. Die Nachfrage nach Arbeit, die auf ewig fehlt, wird zur Nachfrage nach dem, was an ihre Stelle tritt, sie wird zur Nachfrage nach dem, was die Arbeit ersetzt: Information, Automation und Digitalisierung. 6) Und immer leistungsfähigere Software steht bereit, um den Informationswert der Dividuen mit deren Körper, Affekt und Hirn zu verschalten, wobei die Bediensteten durch in die Programme eincodierten Steuerungs- und rekursiven Regelungs- und Feedbackprozesse regelrecht in Haft genommen werden, und dies wird recht eigenartig mittels der perfiden Blendwerke der Enhancement-Industrien verstärkt, die es schließlich ermöglichen, sämtliche Kräfte der Selbststeigerung wie eine Dienstleistung in Anspruch zu nehmen, durch deren Kauf der eigene Fitness- und Wellness-Status wie „systemisches Doping“, das allerdings von Placebo-Effekten kaum noch zu unterscheiden ist, konsumiert und genossen werden kann.7 Nur dann, wenn der neue Konsument, tendenziell arbeitslos, sein Arbeitslos hemmungslos und freudvoll als Vollzug der Dienstleistung erwartet, eignet er sich sein Angeeignet-Werden fortlaufend und friedfertig selbst an, und bisweilen eignet er sich diese Art der Selbstkonfiguration durch den Kauf von Enhancement-Programmen sogar mit höchstem Genuss an, und so gerät er selbst als Objekt zum sich selbst informierenden Netzwerk, das mit anderen Objekten und anderen Netzwerken interagiert. Dass im Lohnverhältnis im Gegensatz zur Annahme von Kant nicht ein anderer die Kräfte des Bediensteten gebraucht, sondern dieser seine Kräfte „bloß an des anderen Stelle und im Namen eines anderen“ gebraucht, hatten wir schon angemerkt, aber was, wenn der andere selbst bloß noch ein informationelles Netzwerk ist … 8)

Dass man sich „ganz“ verkaufen soll, um eben nicht nur eine im Lohnvertrag fixierte Arbeitszeit das eigene Arbeitsvermögen zur Extraktion des Werts phasenweise zur Verfügung zu stellen, sondern um potenziell seine Lebenszeit und die damit verbundenen technischen, informationellen, affektiven oder juristischen Fähigkeiten für sich und andere zu vermarkten, ist so neu nicht. So wurden den biopolitischen Steuermechanismen der lebendigen Arbeit schon seit längerem Second-Hand-Lebensstile und -formen beigemischt, deren chemische, biotechnische und neurologische Modellierung sich auf der Basis von Regeln, Codes, Imperativen und sozialen Kompetenzen vollzieht, die sich wiederum in individuellen Leistungsprofilen kondensieren, welche man durch den Kauf von Fitness- und Wellnessprogrammen der ubiquitären Lebensberater- und Schönheitsindustrie taxieren und zusammenkleistern kann, und dies vor allem, um mit der ständigen Potenzierung und Effektivierung des eigenen Profils „ganz“ in den Unternehmen zu funktionieren, womit die Lebenszeit zwar nicht Teil der Arbeitszeit wird (die immer noch das geltende Maß ist, aber irgendwie nicht mehr als das richtige Maß erscheint, wie Virno schreibt 9), aber heute als selten konstitutiv für die Quantifizierung und Ausgestaltung der Arbeitszeit selbst zu gelten hat. Indem das Kapital sich ausgerechnet der Lebenszeit von Dividuen zu bemächtigen versucht, bilden Arbeit und Leben potenziell eine, wenn auch zerrissene Einheit, die durch den kontinuierlichen Kauf von Beratungsprogrammen jedweder Art sowie der Konsumtion der allgegenwärtigen Fortbildungsmaßnahmen, Castingevents und Coachingprogramme garantiert wird, andererseits wird diese Art der Vollzeitaktivität für weite Teile der Bevölkerung durch eine Verschuldung auf Lebenszeit im doppelten Sinne des Wortes erkauft. Diese schrecklich neue, potenzielle Einheit war in der von Adorno gegeißelten Trennung der Lebenszeit in Arbeit und Freizeit im fordistischen Kapitalismus längst schon angelegt, und zwar unter der eindeutigen Dominanz der kapitalistischen Arbeit (und ihrem Vernichtungspotenzial): „Der starr prüfende, bannende und gebannte Blick, der allen Führern des Entsetzens eigen ist, hat sein Modell im abschätzenden des Managers, der den Stellenbewerber Platz nehmen heißt und sein Gesicht so beleuchtet, daß es ins Helle der Verwendbarkeit und ins Dunkle, Anrüchige des Unqualifizierten erbarmungslos zerfällt. Das Ende ist die medizinische Untersuchung nach der Alternative: Arbeitseinsatz oder Liquidation.“ 10) Und wenn es schließlich dazu käme, dass die Zeit der Arbeit und die der Nichtarbeit durch keine wohldefinierte Grenze mehr getrennt wären, dann bestünde auch zwischen Beschäftigung und Nichtbeschäftigung kein wesentlicher Unterschied mehr. Deswegen kann Virno auch mit aller rhetorischen Überspitztheit formulieren: „Die Arbeitslosigkeit ist unbezahlte Arbeit; die Arbeit ist dann ihrerseits bezahlte Arbeitslosigkeit. Mit gutem Grund lässt sich also genauso gut behaupten, dass man nie zu arbeiten aufhört, wie man sagen kann, dass immer weniger gearbeitet wird.“ 11) (Ähnlich hatte das Jahrzehnte zuvor Anders schon in seinem Buch „Die Antiquiertheit des Menschen“ geschrieben: „ … weil die Arbeitslosigkeit, von der hier die Rede ist, eine ganz neuartige ist: sie ist nämlich eine, deren Dauer sich mit der Dauer des Arbeitens deckt; oder sagen wir ruhig: die sich mit der Arbeit deckt.“ 12) Anders spielt hier auf drei negative Aspekte des Wartens an, die er der reinen Konsumtion von Arbeit zuspricht, das Warten in seiner Transitivform des „etwas Wartens“, das im digitalisierten Arbeitsprozess von einem Warten auf eine Störung und der andauernden Asozialität des Wartens von vereinzelten Arbeitssubjekten begleitet ist.) Virno weist damit auf den Sachverhalt hin, dass der Kunde der „Modernen Dienstleistung am Arbeitsmarkt“ längst schon dem von Baudrillard beschriebenen „Arbeitsmannequin“ oder dem von Anders als „Automationsdiener“ titulierten Subjekt entspricht, das die nicht mehr vorhandene Arbeit simuliert, als ob sie vorhanden wäre, oder umgekehrt die zu viel vorhandene Arbeit simuliert, als ob sie nicht vorhanden wäre. (Anders schreibt: “Wahrhaftig, angst und bange kann einem werden, wenn man sich klarmacht, daß auch jetzt, in diesem Moment, Hunderte von Millionen sogar noch dankbar dafür sind, daß es ihnen, im Unterschied zu Millionen weniger Glücklichen: den Arbeitslosen, noch vergönnt ist, diese Gymnastik zu treiben; und daß sie verbissen das Recht auf Gymnastik als politisches Grundrecht proklamieren, in der Tat proklamieren müssen, weil sie ohne derart nichtige Gymnastik im Nichts stehen, oder – aber dieses “Tun” ist nur eine Verbrämung von Nichtstun – vor dem Bildschirm sitzen würden; und weil sie gezwungen wären sich täglich durch den sich immer neu vor ihnen aufstauenden Zeitbrei durchzufressen.” 13) Diese Art von Grundlosigkeit der Beschäftigungen bedarf seltsamerweise einer ganzen Reihe von Bedingungen hinsichtlich ihrer Entlohnung, sei es die individuelle Führung von Zeitkonten, die Protokollierung der Länge von Telefonaten, die penible Aufzeichnung von Meetings in den Unternehmen oder das ausführliche Studium von Compliance-, Sustainability- und Controll-Kompendien. Nicht dass man mit der Simulation die Arbeit imitieren würde, wie es wohl auf den ersten Blick naheliegt, sondern etwas ganz anderes ist der Fall, man simuliert sie vermittels der Erzeugung ihres Anscheins, und schließlich gerinnt heutzutage der soziale Sinn dieser Art von Semiosen bzw. Simulationen von Arbeit zu derselben wie ihre Definition: Die durch Verträge fixierte circa 40 Stunden-Ausführung der operationalen Simulation, welche im Endeffekt wiederum diese Simulation selbst ist (Implosion), und das in mehr oder weniger rigider Verbindung zu der permanent praktizierten Optimierung im Zuge der Modi der Selbststeigerung durch den gleichzeitig ermüdenden, nihilistischen Gebrauch von Beratungs-, Fitness-, Lifestyle- und Sinnstiftungs-Programmen (die unter Umständen auf Pump gekauft werden) sowie der ständigen Kontrolle dieser Operationen durch soziale und staatliche Institutionen und Organisationen im Rahmen einer Anwesenheitspflicht. Im Arbeitsprozess wird heute vielfach rein abstrakte Zeit konsumiert, was eben die schlichte Anwesenheit auf einer Position unter Abwesenheit der Arbeit einschließt, oder eben den an- und ausdauernden ADHS erzeugenden Konsum der abstrakten Zeit, zu deren „armseligem Residuum“ die Arbeit tatsächlich gerinnt, besonders, wenn die moderne Arbeit nur noch eine residuale Untereinheit der digitalen Maschinenarbeit selbst darstellt. Angesichts der (digitalen) Maschinenarbeit erscheint die menschliche Arbeit tendenziell als ein Nichts. Besser gesagt: Die Arbeit des »Nichts«, als – zumindest ihrer Tendenz nach – spezifische Form der postmodernen menschlichen Arbeit, korrespondiert der „Arbeit“ des maschinellen Feedbacks: der Druck auf einen Knopf als Funktion eines anderswo programmierten Ablaufs -, und damit ist die menschliche Arbeit tatsächlich nichts anderes mehr als das berühmte, von der Maschinerie/Automation integrierte Residuum. Gleichzeitig erscheint die residuale menschliche Geste nur noch als eine rein fragmentarische Geste, als das sog. Anhängsel einer Subjektivierung, die von den Diagrammen der Maschinen gesteuert, integriert und ausgeschieden wird. Es scheint, als wäre die (technologische) Maschine selbst noch ins Herz des Wunsches eingedrungen, womit die residuale menschliche Geste rein als der Fleck der Markierung durch die Maschine inmitten der imaginären Totalität des Individuums aufscheint (das heißt der Funktion des [i – a] bei Lacan), und womit, so lässt sich folgerichtig mit Baudrillard schließen, Arbeit nur noch „bekundet wird, so wie man Untertänigkeit bekundet“. 14) Das die Arbeit bekundende Arbeitsmannequin gibt Kunde von einer weitgehend automatisierten und damit vernichteten menschlichen Arbeit, und das am effizientesten, wenn es heutzutage wie in der Finanzindustrie Eigentumstitel und Finanzderivate als Ware bewirtschaftet, wozu das Internet wiederum entscheidend beigetragen hat, und so wird der Bildschirm/Interface zum ständigen Begleiter des Brokers, dessen Körper und Hirn selbst zum 24 Stunden Monitor gerinnt, der Informationen, Marktgerüchte und Nachrichten in der Form pulsierender Datenpakete absorbiert oder wahlweise verbreitet, um hierin mit dem Hyperpuls der trotz des permanenten Einsatzes der Wahrscheinlichkeitskalküle weiterhin unvorhersehbaren Marktbewegungen verschaltet zu bleiben, bis schließlich der Broker zu dem wird, was er in beschleunigter und getakteter Permanenz bearbeitet und studiert: zu einem „pulsierenden und fibrillierenden Leuchtpunkt des Geldes.“ 15) Und wirklich seltsam korrespondiert das Baudrillardsche Arbeitsmannequin mit der sog. Industriesklavin eines Pierre Klossowski, der darin einen neuen Typus von Arbeitskraft sah, der u.a. Prostituierte, Models, Film- und Popstars umfasst, und der den Verkauf der heute häufig mittels plastischer Chirurgie hergestellten eigenen Reize zu einer neuen Lebens- und Daseinsform macht.

Privates haftet dem heutigen postmodernen Betriebsalltag in ganz seltsamer Weise an, insofern man in den ubiquitären Unternehmen der Marketing-, Beratungs-, Finanz- und Coachingindustrie einen neu zusammengesetzten Raum vermuten kann, der die Rückkehr eines allerdings längst schon kulturindustriell durchdeklinierten Politischen ermöglicht, welches gerade den öffentlichen Raum weitestgehend außer Kraft gesetzt hat. „Die Kulturindustrie im weitesten Umfang jedoch, all das, was der Jargon der Massenmedien bestätigend einordnet, verewigt jenen Zustand, indem sie ihn ausbeutet, eingestandenermaßen Kultur für jene, welche die Kultur von sich stieß, Integration des gleichwohl weiter Nichtintegrierten. Die bestialischen Witze über Emporkömmlinge, welche Fremdwörter verwechseln, sind darum so zählebig, weil sie mit dem Ausdruck jenes Mechanismus all die, welche darüber lachen, im Glauben bestärken, die Identifikation wäre ihnen geglückt. Ihr Mißlingen ist aber so unvermeidlich, wie der Versuch dazu. Denn die einmal erreichte Aufklärung, die wie sehr auch unbewußt in allen Individuen der durchkapitalisierten Länder wirksame Vorstellung, sie seien Freie, sich selbst Bestimmende, die sich nichts vormachen zu lassen brauchen, nötigt sie dazu, sich wenigstens so zu verhalten, als wären sie es wirklich.“16 Dies schrieb Adorno in seiner „Theorie der Halbbildung“, wobei man – an Deleuze/Guattari anschließend – ohne weiteres hinzufügen könnte, dass es heute tatsächlich die zynische Selbstbehauptung der neuen Büroangestellten ist, die gerade in der unaufhörlichen Sorge um sich selbst jenes von Adorno angesprochene paradoxale Freiheitsprogramm mit all seiner Absurdität verwirklichen, ein Programm, das selbst noch jede Art von säkularisiertem Glauben an die Heilsideen der unsichtbaren Hand zugunsten eines rein taktisch orientierten und operierenden Zynismus und Opportunismus suspendiert, denn der Kapitalismus ist nichts, und dies selbst als hell erleuchtetes spektrales Objekt nicht, woran man vielleicht noch glauben könnte und nicht einmal die Neoliberalen glauben an den Kapitalismus, ansonsten würden sie nicht von Zeit zu Zeit seine umfassende Regulierung durch den Staat einfordern. Es gilt, dass diese Art gezügelt sozialdarwinistisch auftretender Zynismus in diesem Kontext komplett vom Begriff der Ideologie differiert, insofern man unter Ideologie einen falschen Glauben an und über die Welt und seine sozialen Systeme versteht, im Gegenteil besitzt der Zyniker durchaus ein wahres Wissen über soziale Relationen, Macht und Ausbeutung etc., aber er hört eben trotz besseren Wissens nicht auf, an diesen ungeheuer monströsen Formen der Unterwerfung unter soziale Strukturen zu partizipieren.

Da die neuen Managementmethoden mit ihrer wuchernden Semantik und Semiotik (die sowohl zur begrifflichen Kennzeichnung, zur operativen Gestaltung jedes Teilbereichs der Arbeit innerhalb eines Unternehmens als auch zur permanenten Kontrolle der Selbstdarstellungsszenarien der Mitarbeiter dienen) ständig das Wort Performance in den Mittelpunkt rücken, scheint für die Dienstleistenden der Unterschied zwischen Leistung und purer Angeberei, die ja durchaus auch eine Maßnahme zur Selbstmodifikation sein kann, tendenziell aufgehoben. Gerade dies führt aber zu dem allseits gefürchteten Karrierestress, der von der Angst lebt, dass der eigenen Leistung, die ja wie „Kapital“ behandelt wird, nicht die entsprechende Performance entsprechen könnte, so dass man letzten Endes gezwungen ist, die eigene Leistung tatsächlich mit der Performance gleichzuschalten, was durchaus der von Baudrillard konstatierten Tendenz zur reinen Simulation von Arbeit entspricht, nur dass hier die reine Anwesenheit in grauer Zeit durch die permanente Leistung als Performance ersetzt oder mit der Performance kombiniert wird, was wiederum nichts anderes heißt, als dass zur Erledigung der Aufgaben noch die Darstellung der Aufgaben hinzutritt 17), wahrlich eine seltsame Form der freien Kultivierung des passiven Operierens mit sich selbst plus des Operieren-Lassens durch die anderen, in diesem Fall der Unternehmensangehörigen, wie dies z.B. Sloterdijk in seinem Buch „Du mußt dein Leben ändern“ implizit als neue Virtuosität einfordert. Und dass die neuen Konsumenten von Arbeit zusätzlich noch damit beschäftigt sind, sich mit den ready mades neobuddistischer Coachingdiskurse und anderen soft skills zu trainieren, um so etwas wie eine Partial-Gemeinschaft der sozial Kompetenten und zugleich der merkwürdigst Eigentätigkeit und Eigenverantwortung einfordernden Aktanten gerade im Bürobetrieb herzustellen, wo jenseits der Gängelungen des überholten Fabriksystems die Parameter Lohnarbeit und Konkurrenz auch weiterhin das bestimmende Prinzip darstellen, das lässt einen wirklich aufhorchen, denn längst reicht ein höflich kooperativer Ton oder ein kurzes taktisches Gespräch, dem jede Tendenz zur Überkommunikation zuwider ist, nicht mehr aus, um die gesellschaftliche Zusammenarbeit im Büro unter Bedingungen, die man sich wahrlich nicht selbst ausgesucht hat, zu erleichtern, vielmehr wird damit ausgerechnet im Bürobetrieb die Monadologie, die Horkheimer in seinen Notizen 1950 bis 1969 als aktives Prinzip sozialen Lebens im Kapitalismus diagnostiziert hatte, als bloße Illusion seltsam schräg dekonstruiert: Der Niedergang des öffentlichen Lebens als Resultat der kybernetischen Konsensfabrikation erscheint heute gerade im Bürobetrieb seltsam virulent zurückgenommen, ja er findet sozusagen eine aktive Kompensation, und dies als die statuserzeugende Gestaltung kollektiven Ressentiments und gleichzeitig als statusbezeugende, verallgemeinerte Bestialität eines durch und durch possessiven und privatisierten Individuums, das ständig sein Dividuum loszuwerden versucht, und das sich sehr gerne durch alle Fitness-, Medienmanagements und Datenspionagen hindurch massieren, heilen und beraten lässt, um sich dann optimal am Los der durch sozialdarwinistische Konkurrenz Ausgeschlossenen und Minderwertigen zu laben. Es regieren im Medium des Operierens und Operieren-Lassens Widerstandslosigkeit, Flexibilität und Relaxing, ja Wellness, Gesundheit und Fitness wird zum hart erarbeiteten Restposten, an den sich die Reminiszenz eines „anderen Lebens“ allein noch halten kann. (”Noch die neurotischen Absonderlichkeiten und Mißbildungen der alten Erwachsenen repräsentieren den Charakter, das menschlich Gelungene, verglichen mit der pathischen Gesundheit, dem zur Norm erhobenen Infantilismus.”18 Adorno). Oder Jünger hier in bemerkenswerter Weise die organische Zusammensetzung des Menschen (Adorno) voraussehend und gleichzeitig zusammenfassend: „Er wird wach, intelligent, tätig, misstrauisch sein, amusisch, ein instinktiver Erniedriger höherer Typen und Ideen, bedacht auf seinen Vorteil, erpicht auf Versicherung, leicht lenkbar durch die Schlagworte der Propaganda, deren oft abrupten Wechsel er kaum bemerkt, erfüllt von menschenfreundlichen Theorien, doch ebenso geneigt, zur furchtbaren, weder durch Recht, noch Völkerrecht begrenzten Gewalt zu greifen, wo Nächste und Nachbarn nicht in sein System passen.“ 19) Um also die Kohärenz und monetär messbare Attraktivität der eigenen Person her- und sicherzustellen, werden an sich selbst die verschiedensten Regeln, Vorschriften und Dispositive des Lifestyle-Entertainments installiert, für das die fein justierten Trainingseinheiten in den ubiquitären Psycho- und Fitnessstudios sowie die strenge Einhaltung jener minutiös genormten Psycho-, Gesundheits- und Wellnessprogramme denn auch sprechen, womit die körperlichen, affektiven und mentalen Kontrollmechanismen von institutionellen Apparaturen im Kapitalismus durch Prozesse der Selbstoptimierung und der Schlagkraft komplementiert werden. Denn selbst das Surfen verlangt ja nach Ausdauer und Geschmeidigkeit im Modus auto-operativer Wendigkeit, um etwa überraschende Optionen im Job augenblicklich wahrnehmen und unvermittelt neue Aufgaben ausführen zu können, es verlangt den Opportunismus als allgemeine Handlungsmaxime, durch die man sich stets gegenüber einer Vielzahl von Möglichkeiten verfügbar hält, um die nächstbeste, die sich gerade anbietet, dann auch zu ergreifen, oder, um eine Option, ohne zu zögern, zugunsten einer anderen Gelegenheit fallen zulassen (vgl. Virno), und diese perverse oder perfide Art des Surfens verlangt auch die Ausformulierung eines zynischen Egointeresses, das Aussonderungen (der anderen) als bedauernswerte, aber doch unvermeidliche Deformationen begreift: Bernhard Stiegler 20) kritisiert an diesem Punkt äußerst scharf eine heute vorherrschende Haltung/Mentalität, die er mitI-don’t-give-a-fuckism“ umschreibt, eine generelle Attitude der organisierten Verantwortungslosigkeit, die die gegenwärtigen Gesellschaftssysteme durch und durch durchdringt -, und dies geschieht komplementär zum Aufstieg der „stupidity, sillyness, crazyness“ von Dividuen, was Stiegler auch als “the destruction of attention, an irresponsibility, an incivility, ‘the degree zero of thought`“ beschreibt. Und je mehr die Mitarbeiter eines Unternehmens sich aufgrund eines zeitweiligen, aber zugleich uneingeschränkten Einverständnisses den betrieblichen Regeln, Programmen und Dispositiven aussetzen und sich derer zugleich bedienen – inklusive der kybernetischen Feedbackmechanismen, die kein dummer Gesinnungsstaat mit seinen Organen und Apparaturen der Ausforschung und Kontrolle je erfinden könnte, auch weil eben kein aktueller Bedarf nach ultraharter meinetwegen archaischer Bespitzelung, Überwachung und Inhaftnahme von Agenten der Unzufriedenheit besteht -, desto stärker schillert erst die Variationsbreite der Optionen im betrieblichen Feld auf. (Hier könnte man nun folgendes einwerfen: Wenn Verwirklichen bedeutet, Mögliches zu variieren und auszuschöpfen, indem man opportunistisch diese oder jene Option im Sinne ihrer effizienten Realisierung ergreift, so betreibt Deleuzes Invention eine entscheidende Umkehrung: Eine Singularisierung in Hinsicht auf die Praktizierung einer voluntaristischen Mikropolitik hieße da wohl eher, das Mögliche zu erschöpfen, indem man gerade auf die Aktivierung herrschender Vorlieben, Ideale und Zielsetzungen verzichtet, ja den anstehenden Optionen geradezu standhält. Diese Art der inklusiven Disjunktion verwirklicht nicht die proletarische Politik, sondern subtrahiert sie von jeglichen Arten und Formen von therapeutisch inspirierten, strategisch und zugleich dezionistisch operierenden Makro-Politiken, indem sie einen freien und zugleich passiven Aufstand gegen Kontrolle, Disziplin und Moral durchführt. Und Schritt für Schritt geht aus dieser Politik der Non-Politik eine Pragmatik des Positiven hervor, die unter Umständen eine eigensinnige und transversale Aktivität zuallerest erzeugen kann, und zwar nicht im Sinne der etwa von Sartre oder Trotzki eingeforderten wahren Sittlichkeit, sondern einer molekularen Zersetzung, ja einer zunehmenden Ver-rücktheit, welche die Normalität ganz weit verschiebt und dann auch außer Kraft setzt, beispielsweise wie im Falle eines Bartleby, der mit der Formel I prefer not to im Büro seines Anwalts solange standhält, bis dieser Anwalt weichen muss, und eben er nicht.) So bleiben heutzutage die Büroangestellten dem halbherzigen und doch pflichtbewussten Sich-Einbringen in den Büroalltag gerade aufgrund ihres quälenden Opportunismus, der noch den geringsten Vorteil auszunutzen versucht, jederzeit verpflichtet, ohne dass da eine exakte therapeutisierende Arbeitsanweisung zu bestehen scheint, und dies geschieht gerade im Rahmen einer operativen Steuerung und Optimierung der eigenen Person, was im besten Falle die 100%tige Identifikation mit den Unternehmenszielen voraussetzt oder gar verlangt. Hierin übernimmt die doch eher raunende Gemeinschaft der Betriebsangehörigen das Geschäft einer therapeutischen, sekundären Kontrolle, welche die primäre Kontrolle des Lohnarbeiters flankiert und vervollständigt, mittels derer die Mitarbeiter der Unternehmen qua Mikrotechnologien, Laptops und Handys mit den inner- und außerbetrieblichen Informationsströmen verschaltet bleiben, deren Teil sie zugleich sind. Nicht länger unterliegen die Mitarbeiter also dem beständigen Kommando einer Zentrale oder gar der Kontrolle einer Führung, stattdessen sind sie in die technologischen Systeme und Dispositive eingelassen, die ihre eigene Effektivität, ihren Status, ihre taktischen Bedingungen und operativen Aufgaben auf den Bildschirmen jederzeit abrufbar halten. Das Politische hat also in Form der sekundären, durch Interaktion und Interpenetration gesteuerten Kontrolle des Gemeinschaftlichen Einzug in die Unternehmen gehalten, in eine postfordistische Unternehmenswelt –; und hierin gerinnt das Politische zu einer Politik, von der man einst glaubte, dass das private Interesse in Form organisierter Vertretung die einzige Möglichkeit der kollektiven Äußerung sei. (Das sekundäre Politische stellt sich hier eben als keine Frage des Nichtaneignens dar, im Sinne des Riskierens eines Verlustes, der Verausgabung, die sich in keinem Telos, Sinn oder Vernunft wiederfindet: das Politische als Disjunktion. Ausdruck als der Wille zur Revolution bleibt stets ein condividueller Wille – diesseits aller Zielsetzungen, Ideale und Vorlieben. Wille konzentriert z.B. Spinoza im Begriff des Conatus, wobei das Streben sich eben nicht auf ein Ideal, auf eine Idee oder auf einen Zweck hin konzentriert, sondern sich ganz am eigenen Prozess orientiert. Spinoza schreibt: „Dass wir etwas weder erstreben noch wollen, weder nach ihm verlangen noch es begehren, weil wir es für gut halten, im Gegenteil wir halten es für gut, weil ihr es erstreben, nach ihm verlangen und es begehren.“ 21)

Im Rahmen der technowissenschaftlichen und psychologistischen Dispositive, Programmierungen und Konstruktionsprinzipien gibt es heute kaum noch einen Arbeitsplatz, der nicht permanent auf Evaluierung gestellt und nicht auf das kreative Potenzial von Dividuen/Individuen und Projektgruppen hinterfragt würde, um dann abermals evaluiert, das heißt auf neue Performancepotenziale hin untersucht zu werden, aber dies eben weniger aufgrund des harten und totalitären Druckes eines Leaders, sondern die Evaluation bleibt meistens eingebunden in das Team -; und kein Team, das nicht nach Aussprachen, Ansprachen und Absprachen sowie pseudomachosistischen oder pseudosadistischen Kommunikationen qua anglizierter Sprachspiele verlangt, von denen Wittgenstein nicht die Bohne geträumt hätte, Interpenetrationen, die u.U. dann zusätzlich doch noch eine entsprechende Fundierung durch einen Coach, Quasi-Guru oder Supervisor erfordern. Und immer öfters wird der sog. Büroalltag von spontanen Meetings über sektenhafte Teamtage bis hin zu mantraähnlichen Seminarwochenenden auf einsamen Hütten mit Handyverbot durchstrukturiert -, und zur anonymen Macht des allgemeinen Kapitalprozesses ist das Spiel um Anerkennung, Missgunst oder Wohlwollen seiner Dividuen hinzugetreten. Und längst ist es nicht mehr so, wie Pohrt noch in den frühen 1980er Jahren konstatierten konnte, dass nämlich die Gruppe hauptsächlich von den Marotten ihrer Führerpersönlichkeit zusammengehalten wird, wenn auch die Rolle des Unternehmensberaters als spiritueller Wanderprediger im heutigen Betriebsalltag ganz und gar nicht zu unterschätzen ist, dennoch gerinnt immer häufiger die groteske Artikulation des Unternehmensziels durch die Mitarbeiter selbst zum Selbstzweck, welcher die Angestellten streckenweise das Seelendoktorspiel (und das Unternehmen will ja an die Seele des Mitarbeiters heran) wie „herumpurzelnde kleine Kinder im Laufstall“ spielen lässt, wie Pohrt auch schreibt 22), Kinder „die man mit Rasiermesser bewaffnet hat, damit sie einander den Blinddarm und die Mandeln entfernen“, alles in allem eine lustlose Sado-Maso Orgie, für die Wallace, Palahniuk oder Houellebecq noch lange hätten oder würden trainieren müssen, um die ganze Trostlosigkeit dieser Art von Orgien auch nur halbwegs zu erfassen. Das homogene Ethos aus Opportunismus, verantwortungsvoller Paarbeziehung und sozialem Engagement, das sich ganz heideggerianisch als Gerede oder systemdeutsch als Interaktion oder Kommunikation artikuliert, ein Ethos, über das jedes Bewerbungsschreiben heute hinlänglich Auskunft gibt, wird beständig neu verhandelt bzw. austariert, ohne dass der Coach oder Guru, der wie gesagt in seiner Funktion als Unternehmensberater einem Wanderprediger gleicht, es noch eigens zu empfehlen hätte. Im Rahmen der geforderten und bereitwillig vollzogenen und vor allem sehr operativ-gesprächigen Zwangsharmonisierung wird gerade mit Hilfe eines politisierten Pseudo-Sadismus, das heißt insgeheim gegenseitiger Verachtung sowie dem paradoxen Interesse an operativer Passivität ein Kampf aller gegen alle geführt, der die Intensivierung des Ressentiments sowie der Listigkeit, die ja im Gerede keinerlei Referenz mehr kennt, im Prozess des öffentlichen Absonderns von Meinung zur Folge hat. „Clever ist“, schreibt Pohrt, “wer es versteht, sie (die anderen) für sich einzunehmen oder sie hereinzulegen. Wer es nicht versteht, ist der Dumme.“ 23) Der Kriegsschauplatz Unternehmen, der seit dem Einzug der soft skills und der therapeutischen Trainingsmethoden ein unübersehbar horizontal orientierter Tummelplatz für Intriganten geworden ist, auf dem man sich (anpassend) konformistisch/privatistisch ausbooten und zugleich gemeinschaftlich zusammenhalten kann –, er hat das sektenhaft Politische auf bislang unbekanntes Niveau gehoben. Immerwährende, im Stuhlkreis regredierende Aktanten kondolieren sich gegenseitig mit Handzeichen und kollektiven Litaneien, und sind dabei stets halbherzig vom Vorsatz geleitet, in der Selbstinszenierung als Protestierende die Erinnerung ans je eigene Interesse neu zu formulieren. Wer auf solchen Meetings aber zu heftig seinen eigenen Standpunkt vertritt, also dem Mainstream zu widersprechen wagt, wird anständig ritualisiert zum Schweigen gebracht. Das gemeinsame Ziel scheint letztlich organisch und pragmatisch bestimmt, es anzurufen genügt eine den Befehl inkludierende Formel: Sprechen Sie sich aus.

Achim Szepanski