Alles Freunde

Wie er denn den Feuerbach fände, fragte Andreas Platthaus zum Auftakt der Veranstaltung mit Werner Spies im Feuerbachsaal der Kunsthalle Karlsruhe. „Das Verhältnis wird besser“, entgegnete der mit Texten über Picasso und Max Ernst bekanntgewordene Kunstschriftsteller diplomatisch und verriet, dass er gerade die Kunst des 19. Jahrhunderts für sich entdecken würde. Platthaus, Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, moderierte das Gespräch mit „seinem Freund“, und überhaupt schien der durch die Beltracchi-Affäre beschädigte Kunsthistoriker an diesem Abend umgeben von Freunden. Robert Walter vom Centre Culturel hatte mit Peter Weibel, Vorstand des Zentrums für Kunst und Medientechnologie (ZKM), die Vorstellung der 2012 erschienenen Lebenserinnerungen „Mein Glück“ in Karlsruhe angeregt. Pia Müller-Tamm, die Direktorin der Kunsthalle hatte den Vorschlag dankbar aufgegriffen. Und Erwin Teufel, ehemaliger Ministerpräsident von Baden-Württemberg, entpuppte sich in der Laudatio als Schulkamerad des prominenten Wahlfranzosen.

Ganz neue Seiten machten den lange über alle Kritik erhabenen Autor, ehemaligen Professor der Kunstakademie Düsseldorf  und Leiter des Centre Pompidou, sympathisch. So absolvierte der junge Mann, der im schwäbischen Rottenburg aufgewachsen ist, zunächst ein Volontariat beim „Schwarzwälder Volksfreund“, ehe er über die „Stuttgarter Zeitung“ zur „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ gelangte. Aber diese Karriere als Kunstkritiker ist nur ein Strang im Leben eines Menschen, der früh von der französischen Sprache fasziniert war. Bereits als Junge versuchte der kleine Werner mit den Besatzern über ein paar Brocken Französisch in Kontakt zu treten. Ermutigt von seinem Erfolg vertiefte sich der ohne Mutter aufgewachsene Jugendliche in die französische Literatur und studierte nicht nur Kunstgeschichte und Philosophie, sondern auch Romanistik.

Die Literatur bildete für ihn zudem in den sechziger Jahren eine Brücke zur zeitgenössischen gegenstandslosen Kunst der 1950er und 1960er-Jahre, für die dem Geisteswissenschaftler „die Untertitel“ fehlten. Über die Werke des „nouveau roman“, Bücher von Claude Simon, Michel Butor, Alain Robbe-Grillet und Natalie Sarraute näherte er sich einem geistigen Universum, das ihn zum Franzosen machte. Diese Autoren beschrieben die Welt aus einer möglichst neutralen Position, eine Perspektive, die Spies auch selbst immer wieder einzunehmen versuchte.

Wie eine ferne Vergangenheit erschien gestern die von Erwin Teufel beschworene Nachkriegszeit, die er auch als Zeit der Euphorie, des Aufbruchs beschrieb. Damals jedenfalls schickten Hörfunk-Abteilungsleiter des Süddeutschen Rundfunks in Stuttgart den jungen Spies als Scout nach Paris, um Autoren für den Sender zu gewinnen. Und der Verleger Gerd Hatje beauftragte Spies – allerdings etwas später – mit einem Buch über die Skulpturen Picassos. So kam eines zum anderen. Seit 1960 lebt Spies in Paris.

Er habe sich berühmten Künstlern wie etwa Samuel Beckett, der auch sein Freund wurde, immer mit der Idee für ein Projekt genähert, betonte der Autor. Sein Buch ist voll mit Anekdoten solcher Begegnungen. Wenn der noch immer jungenhaft wirkende „Homme de Lettres“ selbst von ihnen erzählt, scheint die eigentliche Gabe des produktiven Kunstschriftstellers auf, nämlich sich offen in eine neue Situation zu begeben, gewappnet mit der humanistischen Bildung des Rottweiler Albertus-Magnus-Gymnasiums und einer tiefen Kenntnis der – und großen Liebe zur – französischen Kunst und Kultur.

Carmela Thiele (erschienen am 25. April 2013 in: Badische Neueste Nachrichten)

 

Werner Spies
Mein Glück, Erinnerungen
Carl Hanser Verlag
Hardcover, gebunden, 608 Seiten, 26 Euro

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