Schön´guten Tag, ich bin SIBYLLE!“ So begrüßte die Zeitschrift für Mode und Kultur ihre DDR-Leserschaft zur ersten Ausgabe im Herbst 1956. Titelgebend war Sibylle Boden-Gerstner, Kostümbildnerin der DEFA. Auf ihren Antrag hin wurde die Zeitschrift gegründet. Die Breslauer Jüdin, Exilantin und Studentin der Malerei in Paris, Wien und Berlin, brachte die Weltläufigkeit und Widerständigkeit mit, welche die Zeitschrift prägen sollte. SIBYLLE, das war von Anfang an Eleganz und Stilempfinden, journalistische Raffinesse, vor allem jedoch künstlerisches Können. Die Kreativität und Phantasie in den Bildstrecken der Zeitschrift verhalfen ihr zu dem Kultstatus, den eine westliche Modezeitschrift nie hatte. Von der SIBYLLE als der VOGUE des Ostens zu sprechen ist nicht nur in dieser Hinsicht ein schiefer Vergleich.

Die Ausstellung „SIBYLLE. Frauen und Mode in der DDR“, die in Kooperation mit der Kunsthalle Rostock entstand, und nach einer Tournee durch die Republik nun im Museum für angewandte Kunst in Gera ihren letzten Auftritt hat, zeigt Arbeiten von 13 FotografInnen, die das Erscheinen der SIBYLLE entscheidend beeinflussten. Gezeigt werden Bilder von Sibylle Bergemann, Ute und Werner Mahler und Arno Fischer, die alle 1990 zu den Gründungsmitgliedern von OSTKREUZ gehörten, der bis heute erfolgreichsten von Fotografen selbst geführten Agentur. Internationalen Bekanntheitsgrad hat auch Sven Marquardt, als Fotograf wie als Türsteher des Technoclubs Berghain. Er fotografierte von 1987-1995 für die SIBYLLE.

Neben der Weigerung eine linke Gesinnung mit Piefigkeit gleichzusetzen ging es den Künstlern von Anfang an nicht primär um Mode, sondern um ein Lebensgefühl jenseits politischer Vorgaben. Kleider, Schuhe und Taschen waren nur Vorwand. Dahinter zeigte sich Haltung und Stil der jeweiligen Fotografen. Allen voran Arno Fischer, der in den 1960er Jahren zur SIBYLLE kam, und bis in die 1980er Jahre zusammen mit Günter Rössler schulbildend wirkte. Arno Fischer vertrat einen streng journalistisch-dokumentarischen Ansatz. Die Models, Studentinnen, Frauen von der Straße, wurden in alltagsnahen, dynamischen Inszenierungen fotografiert. Im Bus, beim Einkaufen, vor Gasometern, rauchenden Schloten und in wüster Tagebau-Landschaft – mit Arno Fischer wurde Fotografie zur künstlerischen Interpretation von Welt. Günter Rössler, heute vor allem als Aktfotograf bekannt, experimentierte mit schrägen Kamerawinkeln, seine Bilder sind voller Dynamik und Bildwitz.

Je länger man in der etwas labyrinthisch angeordneten Ausstellung weilt, desto deutlicher erkennt man die einzelnen Handschriften. Eher grafisch abstrakt bzw. künstlich gestellt wirken die Arbeiten von Hans Paefke, architekturbezogen, formal streng mit außergewöhnlich androgyn wirkenden Models die Bilder von Ulrich Wüst. Leider sind nur wenige Fotografien von einem der vielleicht außergewöhnlichsten Fotografen, Wolfgang Wandelt, zu sehen, der ganze Geschichten in seinen Bildern erzählt.

Romantik und Feminität findet sich bei Elisabeth Meinke, authentisch Zartes bei Sibylle Bergemann, und eine schier unglaubliche Modernität bei Ute Mahler. Eines ihrer Star-Fotos wurde nicht umsonst für das Ausstellungsplakat gewählt. Diese von einem Schal umwehte Schönheit hat das Zeug zur Ikone.

Foto: Stadt Gera | David Hoffmann

Der grauen und entbehrungsreichen DDR-Realität ein schöneres Leben entgegen zu setzen, das wollte SIBYLLE. Doch das, was an Mode so kunstvoll abgebildet wurde, war nicht zu erwerben. All die schönen Sachen waren eben nur Bilder. Und so ging es wohl weniger darum Begehrlichkeiten zu wecken, als einfach darum abzutauchen – eine Vorlage für Phantasiereisen zu haben, eine offene Tür für kleine Fluchten aus dem grauen Alltag. Wenn man so will, war SIBYLLE eine Art HOME-Kino im Standby-Modus. Manche Fotografien wirken auch wie Filmstills nie realisierter Filme.

Die überbordende Bilderflut unserer Tage läßt vergessen: In der DDR gab es offiziell nur zwei Fernsehprogramme und eine Handvoll Zeitschriften. Kein Wunder also, dass SIBYLLE leidenschaftlich gesammelt und getauscht wurde. Hier war das zu finden, was es in der offiziellen Bilderwelt nicht gab. Versteckte Hinweise, indirekte Botschaften, Kritik, Witz und Provokation. Mode galt den Parteifunktionären als unpolitisch und so flog die Zeitschrift über viele Jahre unter dem politischen Radar. SIBYLLE hatte Freiheiten, die sie nutzte, sofern der Mangel es zuließ. Denn es fehlte an allem. An der Mode selbst, aber auch an dem, was für die Produktion einer Zeitschrift nötig ist.

So mutet es wie eine Wunder an, was die Ausstellung zeigt: Fotografien, die auch nach über einem halben Jahrhundert nichts von ihrem Esprit und ihrer Frische verloren haben. Selten sah man Mode so erfindungsreich, so vielseitig präsentiert, sah man Frauen so schön und so natürlich! Mangel schien hier auf Kreativität zu stoßen. Zusammenhalt und gegenseitiges Vertrauen ermöglichte die intensiven Momente, die für Bilder mit Tiefe und Atmosphäre unabdingbar sind. Aelrun Goette, eines der damaligen Models, im Katalogbeitrag: „Es ging nicht ums Verkaufen. Wir haben etwas erzählt, über unsere Zeit. Und das hatte etwas mit Kunst zu tun. Das war nicht angepasst, das war von einer weltläufigen, klassischen Ästhetik.“

Mitten im kalten Krieg gegründet überlebte die Zeitschrift, die viermal im Jahr in einer Auflage von 200 000 Stück erschien, zahlreiche Phasen politischer Spannungen und Konflikte. Nach der Wende hielt sie noch bis 1995 unter wechselnden Chefredaktionen durch. Doch die Ostfrauen kauften jetzt die westlichen Modemagazine, die Werbeanzeigen blieben aus, Geld und Sponsoren wurden knapp. SIBYLLE hatte ihren Zauber verloren. Doch die einmalig atmosphärisch dichten Bilder dieser untergegangenen Zeit, sie bleiben, sie berühren und rühren, denn solche Bilder gibt es nicht mehr.

Daniela Kloock

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AUSSTELLUNG

SIBYLLE. Frauen und Mode in der DDR

17.06.-04.10.2020

Museum für Angewandte Kunst Gera
Greizer Straße 37
07545 GeraÖffnungszeiten: Mittwoch bis Sonntag / Feiertage von 12 bis 17 Uhr