tze im Wind |

          Dass er nirgendwo hingehört, kein Bleiberecht hat, keine Heimat: sagt das nicht schon sein Name. Wer nennt, wenn er im angelsächsischen Raum lebt, seinen Sohn auch Hugo: ruf ihn, in englischer Zunge, und du schickst ihn fort, heißt ihn: zu gehen.

          Nicht einmal wer, sondern was ist dieses Ich, das nicht umhin kann, sich dennoch zu spüren. Nicht Person: eher der Zustand, in dem ein Bürotisch sich befindet, nachdem jemand, der den Raum längst wieder verlassen hat, Papiere und Akten abgelegt hat auf seiner Arbeitsfläche.

          Ein Drangsal von Mensch, verwundet, verstört, die Schmerzen der Seele wie Meteoriteneinschläge im Körper, die Taschen voller Ängste, Befürchtungen, schrecklicher Bilder.

          Er, der im Schweigen wurzelt, oder das Schweigen in ihm, beginnt mit Worten zu handeln, um aus diesem Schweigen ein Brennglas zu fertigen. Einen Bannspruch, ein farbechtes Wunder.

          Die Sätze mit Heftzwecken angepinnt, gemacht zu tanzen, sobald die Luft sich kräuselt: der Wind hat leichtes Spiel mit ihnen. So wird jede Tatsache vorläufig. Und jede Krankheit: vorübergehend: mit Hoffnung auf Heilung.

          Und was wieder einmal alles blau ist in diesem Roman: ein Zimmer in Kanada mit Möbeln aus Birmingham. Ein Halstuch. Eine Schüssel „gefüllt mit Keksen in Form von Sternen und Monden“. Der Kittel eines Schlachters. Ein Rock aus Crêpe de Chine. Die Weite über dem Ozean. Die Ausbildungsuniform einer Krankenschwester. Das teilweise Flackern eines künstlichen Gasfeuers. Hummer im Hafen. Lederschuhe, die auf Kies knirschen. Handschuhe, seitlich geknöpft. Schritte zurück zum Auto. Eine Bucht bei Dublin. Der abgenutzte Teppich eines Chiropraktikers. Das Hautmal auf der Wange eines blonden Sängers. Die Krawatte eines Onkels. Teile eines Sperrholz-Brettes auf einem Container. Ein Tweedmantel. Eine zu große Strickjacke. Rufe aus einem Swimmingpool. Die Krawatte eines Schülers. Schaufensterlicht. Eine Decke im Krankenhaus nach der Diagnose. Eine Tür, die in Connemara offen steht.

          Aber kein einziger Satz, in dem eine Elf vorkommt.

          Die Palmen in Dublin, in Galway, die irischen Palmen, unverwüstlich: sie scheinen für Hamilton eine ähnliche Metapher zu sein wie die Aspidistra für den mittellosen Dichter bei Orwell.

          Wenn er von Künstlern redet, knapp nur, von Schriftsteller, Musikern, Philosophen: weiß man, obwohl ihre Namen nicht fallen, wen man vor Augen hat. Zwei, drei bezeichnende Dinge genügen.

          Zähne und Knochen, im Text vergraben: sie arbeiten sich durch die Schichten nach oben, durch Träume und Schlaf, beinerne Relikte im Bewusstsein, wer war man, bevor man wurde, wer man ist.

          “Die Welt ist voller Dinge, die nie passiert sind.” Aber in Büchern geschehen sie: es sind die Bücher, mit denen man lebt.

 

© 2020 ingrid mylo

 

Cover © Verlag

Hugo Hamilton: Palmen in Dublin

Roman aus dem Englischen von Henning Ahrens

Luchterhand 2020

286 Seiten | € 22,-

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