Das Volk hat schlechte Laune

Das Demokratische an der Bundesrepublik ist, dass da andauernd gewählt wird, wenn nicht zum Bundestag, dann doch zu den Landtagen und in den Kommunen oder zum Europa-Parlament. Von einem ständigen Plebiszit ist die Rede. Nimmt man das ernst, dann könnte nach jeder Wahl in Ländern, Gemeinden oder für Straßburg auch gleich die Bundesregierung umgebildet werden, damit dem Volkswillen jeweils just in time Genüge geschieht. Aber das wäre auch schon wieder von gestern: noch aktueller sind die Umfragen. Das Volk äußert sich, folgt man diesen, fast täglich.

Bleiben wir bei den Ländern und Stadtstaaten, dann war 2011 ein Superwahljahr mit eindeutiger Tendenz: wer regiert, verliert. Das Volk hat schlechte Laune. In Baden-Württemberg flog die CDU nach 58 Jahren aus der Regierung. Auch in Hamburg wurde sie abgewählt. In Sachsen-Anhalt stellt sie zwar weiter den Ministerpräsidenten, verlor aber Stimmen und Mandate. Gleiches passierte der SPD in Berlin und in Rheinland-Pfalz: zwar hat sie da weiter den Regierungschef, dessen eigene Fraktion ist aber kleiner geworden. In Bremen und Mecklenburg-Vorpommern allerdings gewannen die schon regierenden Sozialdemokraten dazu. In Schwerin traf der Volkszorn den Juniorpartner, die CDU.

Die hat es 2011 überhaupt schlimm erwischt. Ausnahmen: In Rheinland-Pfalz hat sie zugelegt, aber zu einem Machtwechsel reichte es da bei weitem nicht. Auch in Berlin gewann sie hinzu und darf in den Senat.

Viel ärger traf es die FDP. Als sie im Februar in Hamburg nach Abwesenheit in die Bürgerschaft einzog, jubelte sie noch: jetzt sei sie wieder in allen Landtagen. Denkste. Danach kam das Desaster landauf, landab: raus in Berlin, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, halbiert in Baden-Württemberg. Dieser Partei wird seit über fünfzig Jahren immer wieder der Untergang prophezeit, nie ist daraus etwas geworden. Irgendein Wunder wird es vielleicht auch diesmal wieder geben. Man fragt sich jetzt aber erst einmal: welches?

Die Sozialdemokraten meinen vor Kraft kaum laufen zu können. In einem Fall kommt die Angeberei von der Bescheidenheit: in Baden-Württemberg landeten sie bei ihrem schlechtesten Ergebnis seit Olims Zeiten, aber weil da CDU/FDP vorerst abgewirtschaftet hatten und die Grünen enorm zugewannen, konnte die geschrumpfte SPD als kleinere Partnerin in die Regierung. Richtig einbilden darf sie sich allerdings etwas auf Hamburg: plus 14,3 Prozent und absolute Mehrheit. Ihr erfolgreicher Spitzenkandidat, Olaf Scholz, gilt als Mann des rechten Flügels, und dorthin – Steinbrück & Steinmeier rauf, Nahles runter – dürften sich die innerparteilichen Gewichte jetzt verschieben.

Bei den Grünen ist die Lage mittlerweile besser als die Stimmung. Was die FDP am Jahresanfang noch für sich beanspruchte, haben sie am Ende geschafft: in allen Landtagen drin, ein grüner Ministerpräsident in Stuttgart, satter Zugewinn in Berlin. Aber gerade das Ergebnis in der Bundeshauptstadt hat die gute Laune schon wieder ein bisschen verdorben: die Umfragewerte hatten Monate vorher die Grünen so weit vorn gezeigt, dass Renate Künast als Kandidatin für das Amt der Regierenden Bürgermeisterin antrat. Jetzt reichte es noch nicht einmal für den Senat. Schlimmer noch: mit den Piraten zog eine Partei ins Abgeordnetenhaus ein, die an den Grünen ebenso nagt wie die Linkspartei an der SPD.

Sie sind die Gewinner des Jahres, nach Hamburg schnellten ihre Umfrage-Ergebnisse in die Höhe.

Die Linke fuhr in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz voll an die Wand, behauptete sich in Hamburg und ist froh, dass sie in Bremen trotz Einbußen noch in der Bürgerschaft ist. In Sachsen-Anhalt verlor sie leicht, auch in Mecklenburg-Vorpommern büßte sie Stimmen ein, wegen der gesunkenen Wahlbeteiligung nahm sie aber prozentual zu. Dies hätte zu einer Verlagerung des innerparteilichen Kräfteverhältnisses Anlass geben können, wäre da nicht Berlin: noch einmal Absturz nach dem ohnehin schon schlechten Ergebnis von 2006, von niemandem (außer vielleicht vom davon betroffenen Personal) bedauertes Ausscheiden aus dem Senat. Und auch in Mecklenburg-Vorpommern wurde das proklamierte Ziel: Koalition, verfehlt. Die jetzt von Dietmar Bartsch angemeldete Kandidatur für den Parteivorsitz wirkt da nicht mehr so recht wie ein Fanal, sondern wie eine frühe, dann nicht mehr rückholbare Computer-Order an der Börse: sie läuft noch, während sich inzwischen die Rahmen-Daten etwas geändert haben.

Was lehrt uns das alles? Nicht viel. Wo wir schon gerade bei der Börse sind: auch Politik funktioniert mittlerweile so. Was 2013 sein wird, weiß kein Mensch. Unverwandt ist die Union in Umfragen die stärkste Partei. Zusammen mit der FDP wird es, wären heute Wahlen, richt reichen. Ob Rotgrün zumindest numerisch eine Mehrheit hätte, hängt davon ab, ob es ihnen gelingt, die Piraten draußen zu halten. Guckt man aufs Inhaltliche, ist Große Koalition wahrscheinlicher als Schwarzgrün und all dies weniger als das, was einen ernsthaften Menschen interessieren wird.

 

Georg Fülberth in junge Welt Nr. 296. 21. Dezember 2011

Bild/Ausschnitt: CC BY-Alexander Hauk (Original uploader was Bayernnachrichten.de at de.wikipedia)