Die Bundeskanzlerin und der französische Staatspräsident wollen eine Finanztransaktionssteuer einführen. In Frankreich soll sie sogar schon ab August 2012 gelten. Für die Euro-Zone denkt man an einen Satz von 0,1 Prozent auf Aktien- und 0,01 v. H. auf Derivatenhandel.

Damit gewinnt eine Idee den Rang offizieller Regierungspolitik, die jahrzehntelang zunächst nur die Überlegung eines Gelehrten und danach Programm einer außerparlamentarischen Bewegung gewesen ist.

1972 schlug der US-amerikanische Ökonom James Tobin vor, Devisentransaktionen mit einer geringen Steuer (0,05 bis 1 Prozent) zu belasten. Damit sollte Währungsspekulation eingedämmt und eine Entkoppelung der Finanzsphäre von der Realwirtschaft erschwert werden.

Hintergrund dieses Vorschlages war die Aufhebung der Goldbindung des Dollars 1971. Zwar galten immer noch die amtlichen Wechselkurse, aber es war abzusehen, dass sie sich nicht auf Dauer halten ließen. Tatsächlich endete am 11. März 1973 auch offiziell das 1944 in Bretton Woods vereinbarte Währungssystem. Damit wurden die Valuten zu Handelswaren an den Börsen.

Tobin hatte die Transaktionssteuer nur für Währungen vorgeschlagen. Für transnationale Investitionen sollten sie nicht gelten. Der von ihm angeregte geringe Steuersatz wäre angesichts der übrigen hohen Kosten, die sie verursachten, unwirksam gewesen.

Während der asiatischen Währungskrise rief 1997 der Journalist Ignacio Ramonet mit einem Leitartikel in „Le Monde diplomatique“ zur „Entwaffnung der (Finanz-)Märkte“ auf. Daraufhin  gründete sich ATTAC. Die Forderung dieser Organisation geht in zwei Punkten über Tobin hinaus:

Erstens soll die Steuer nicht nur auf Währungsgeschäfte, sondern auch auf andere kurzfristige Finanztransaktionen gelegt werden. Zweitens sollten damit die staatlichen Einnahmen erhöht und dann gesellschaftlich nützlichen Zwecken zugeführt werden. Von dem zweiten Ziel hat sich James Tobin distanziert: ihm kam es ausschließlich auf die Eindämmung der Spekulation an.

Es gibt Gegenargumente:

Wer die Steuer nicht zahlen wolle, könne auf Börsen in Länder ausweichen, die sie nicht erheben. Dieses Problem soll dadurch gelöst werden, dass am Firmen- und nicht am Börsensitz zugegriffen wird. Unternehmen könnten dies parieren, indem sie selbst auswandern. Allerdings dürfte das nicht in jedem Einzelfall möglich sein, denn wenn eine Firma in einem bestimmten Land schwerpunktmäßig tätig ist, muss sie immer wieder auch das dortige Rechtssystem und andere Leistungen in Anspruch nehmen, was ihr schwerer fallen dürfte, wenn sie sich zugleich gleichsam exterritorial verhält.

Einige Gegner der Finanztransaktionssteuer behaupten, falls durch der Hochfrequenzhandel tatsächlich eingeschränkt werde, könnten die Kursausschläge sogar heftiger ausfallen, wenn nur wenige Akteure am Markt sind. Aber dann hätte deren Treiben geringere Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft als heute.

Es wird darauf verwiesen, dass die Banken und Fonds die Steuer an die Sparer weiterreichen könnten. Dadurch werde u.a. die kapitalgedeckte Alterssicherung beeinträchtigt. Nun wurde durch die teilweise Aushebelung der umlagefinanzierten gesetzlichen Rente den spekulierenden Fonds ein neues Geschäftsfeld geöffnet. Ein neuerlicher Paradigmenwechsel hin zu einer allgemeinen Bürger(innen)versicherung würde diese neue Profitquelle austrocknen. Die Rente wäre dann tatsächlich sicher.

Man kann fragen, weshalb Regierungspolitiker(innen) denn plötzlich sich für die Finanztransaktionssteuer erwärmen. Es könnte sich um ein Ablenkungsmanöver handeln. Die Banken sind zurzeit unpopulär. Sie wehren sich gegen einen Schnitt für überschuldete Staaten, da sie dann erhebliche Teile ihre Außenstände abschreiben müssten. Die Regierungen wollen dies ebenfalls vermeiden und winken stattdessen mit einer Finanztransaktionssteuer in der Hoffnung, dass sich noch genügend Hindernisse finden, um diese letztlich doch zu vermeiden.

Wirksamer für die Bändigung des Turbo-Handels wäre die Wiedereinführung der Kapitalverkehrskontrollen, die es in den ersten Nachkriegsjahrzehnten gab. Allerdings entfielen dann die erhofften Einnahmen.

Kredite, Aktien und Derivate gelten im BWL-Sprech als „Produkte“. Dann läge es nahe, sie mit einer Mehrwertsteuer (in Deutschland: 19 Prozent) zu belegen. Die Volatilität der Finanzmärkte wäre behoben, und vielleicht käme auch etwas Geld herein.

Georg Fülberth

In: lunapark 21, Heft 17 >2012. S. 72.