© Wolfgang Morscher

Notizen nach einem Gang durchs örtliche Gartencenter

Wenn man es, ein bisschen wenigstens, „geschafft“ hat, wenn man noch nicht abgestiegen, abgeschoben, abgestorben ist, dann hat man einen Garten. Der Garten, mag er noch so klein sein, ist der Schutzraum, der das Innere vom Äußeren, die Familie (der nicht zu trauen ist) von der Gesellschaft (der noch weniger zu trauen ist) trennt und beides semantisch miteinander verbindet. Im Garten soll sich erfüllen, was uns versprochen war (und was noch keiner erreicht hat): ein reiches und erfülltes Leben, Harmonie, die Verständigung von Kultur und Natur. Kurzum: Im Garten soll geglückt sein, was ansonsten schief gelaufen ist, politisch und sexuell.

Dieser Garten darf natürlich keine Wildnis sein, sich aber auch nicht in der Produktion von Nahrung erschöpfen. Der Kleinbürger will kein Kleingärtner sein. Im Gartencenter lernt man groß denken auf kleinstem Raum. Man stellt sich im Garten die Welt vor, und man stellt sich der Welt durch seinen Garten vor. So zeugt, neben dem kleinen Reichtum und der Sorgfalt, der Arbeit und der kleinen Schönheit, der Garten davon, wie jemand das Leben im Griff hat. Er ist Abbild der Kontrolle und Selbstkontrolle. Der Blick über den Gartenzaun ist einer in den Spiegel. Diese Weltordnung gedeiht nur in Serie. Man trifft sich im Gartencenter.

Wenn man sich hier umsieht, wird diese Ordnung erstens erzeugt durch eine Gliederung des Gartens durch Absperrungen, Begrenzungen, Beton. In einem Gartencenter gibt es beinahe so viel Steine wie Pflanzen zu kaufen. Zweitens durch Pflanzen, die das Ordentliche schon in sich haben, kerzengrade, vorsortiert und winterhart. Und drittens benötigt die schöne Gartenwelt sehr, sehr viele, nennen wir es einmal: Sachen.

Man muss, während die Pflanzen selber immer „perfekter“ werden (im Katalog könnte man nicht sagen, wo das Gewachsene aufhört und die Plastik-Imitation beginnt), den Garten mit Objekten verschönern. Je kleiner der Garten, desto mehr muss er dabei offensichtlich aushalten. Man muss ja ein vollständiges System ausbilden, und sei’s auf einem handtuchgroßen Areal. Nutzpflanzen und Zierpflanzen, Organisches und Kristallines, Gewachsenes und Gebautes, Wege und Rasen, all das sind Aufgaben und Herausforderungen für einen kleinen Weltenschöpfer. Für den Schöpfer der symbolischen Kleinbürgerwelt zwischen Hausgefängnis und Karrierekampf.

Je kleiner der Garten, desto größer der Widerspruch zwischen Sinn- und Zeichensystem: gekieste Wege, die nirgendwo hinführen (dies aber in schöner Windung machen), Brunnen, in deren Innerem Wasser unentwegt im Kreis gepumpt wird, Einfassungen, geriffelte Pflanzhilfen, Rosentorbögen, Jägerzäune – das alles erinnert noch an Dinge, die einst, als Gärten noch Lebenssysteme waren, einen Sinn hatten, mochte er auch damals schon zweifelhaft gewesen sein: Ordnung in die Natur bringen. Im Kleinbürgergarten ist so viel Ordnung, dass für Natur gar kein Platz mehr ist. Noch mehr, weil neben die Dinge, die aus dem „alten“ Garten übernommen wurden, nun offenkundig Bedarf an Dingen besteht, die nicht mehr erahnen lassen, wozu man sie einst benötigt haben hätte können.

Der Gartenzwerg von einst (mutiges Bekenntnis zur Kleinheit der eigenen Bedürfnisse und Träume und daher trotzig klassenstolz) hat sich in endlose Zeichen-Ketten aufgelöst, das großspurige und das duckmäuserischere sampelnd, mit denen der Garten „beseelt“ wird: Tönerne Buddhastatuen, Wasserspeiende Frösche, Portal-Löwen aus Waschbeton, polierte Keramik-Kugeln an Metallstäben, Windräder, „antike“ Gipsfiguren, massengefertigte „Schrottplastiken“, Wasserspiele aus Bambusstangen, „umweltfreundliche Solarleuchten“, batteriebetriebene Feuchtigkeitsmesser, der ebenso batteriebetriebene „Wühlmausschreck Avanti“, gewundene Pflanzstäbe; richtig ins Geld geht es, wenn man dann einen auch schon beinahe obligatorischen Gartenteich anlegen will, (zumal, wenn man so etwas Fortschrittliches wie die Environmental Function Control (by OASE), schützt bei Trockenlauf und Blockierung, benötigt). Aus einem Gespräch im Gartencenter kann man entnehmen, dass ein Gartenteich zur Lebensaufgabe am steten Rand des Nervenzusammenbruchs werden kann: Trotz immer mehr Technik ist hier am Ende der Kampf gegen die Natur nicht zu gewinnen. Umgekippte Amphoren (billiger und pflegeleichter als umgekippte Gartenteiche) geben das „mediterrane Flair für ihren Garten“, glasierte Pflanzgewächse „Bavaria“ sorgen für eher volkstümlichen Touch, Obeliske, Laternen, „Pflanztassen“ (ehrlich jetzt), der Pflanzkorb „Willkommen“, ja Geräte, mit denen man Gurken in Herzformen wachsen lassen kann. Am Ende benötigt man Gasheizstrahler für den schönen Garten-Abend (ab 119,95 EUR), direkt neben den Energiesparleuchten. Unser Garten ist eine widersprüchliche Welterzählung.

Solch ein gemauerter Grill, wie oben im Bild ist schon eine Kleinarchitektur, die ein Blickfang im Garten sein kann. Bauanleitungen zu solchen Grills habe ich noch nicht, aber eines ist beim Bau eines gemauerten Gartengrill wichtig, wie bei jedem Bauwerk. Das Wichtigste ist erst mal ein gutes, waagerechtes Fundament. Dann macht sich der Rest fast von allein. (Text und Bild: pictokon.net)

Am Ende ist der kleine Garten so voller Sachen, dass für Menschen und Pflanzen kaum noch Platz bleibt. Die Pflanze muss daher auf eine der Schrumpfnatur des Kleinbürgergartens angemessene Form und Größe herunter gezüchtet werden, Apfelbäume, die nur noch aus einem kerzengeraden Ast bestehen (der aber übervoll ist), Erdbeeren die entgegen ihrer namentlichen Bestimmung in die Höhe wachsen. Aber auch der Welt-Reichtum will erzeugt werden: Exotische Pflanzen (für den aufgeschlossenen Gärtner), die auf die heimischen Witterungsverhältnisse hin gezüchtet sind (winterharte Bananen), und (für die völkisch Gesinnteren) „altdeutsches“ Pflanzgut. Wir sind in unserem Garten Teil der schönen neuen Hybridwelt, erleben das „Fruchtwunder Winter-Kaki“ oder aber die „Miracose“ („Die perfekte Verbindung aus Mirabelle und Aprikose in einer köstlichen Frucht“), aber zur gleichen Zeit ist ein Garten, da steht es doch, das „wahre Daheim“.

Nicht nur unser Garten, die Natur selbst soll „kompakt“ sein. Vielfalt auf engstem Raum, „all-in-one“, von allem etwas (wie im Fernsehen): Es ist ein semiotisches System, das wachsen muss und absehbar zusammenbrechen wird. Um sich der Welt und die Welt sich vorzustellen muss der Garten mit immer mehr Dingen, mit immer mehr Ordnungen, mit immer mehr Zeichen bedeckt werden, deren Bedeutungsverfall nur als rapide zu bezeichnen ist. Die Arbeit im Garten (vielleicht macht wenigstens sie glücklich?) führt zu nichts als zu einem ästhetischen Objekt-System, das den Arbeitenden selber ausschließt.

Natürlich hat auch der grünbuntsteinerne Kleinbürgertraum seine Metaphysik. So wie in der Kleinbürgerküche (kurz vor dem Convenience-Mahl) medial von Spitzenköchen und Gourmet-Reisen geträumt wird, so träumt man in Kleinbürger-Gärten von der „Landlust“ (Einzelpreis 3,80 EUR), von der Okkupation von Bauerngärten und Barockparks, wo das Klein gemachte ins Groß gedachte erweitert wäre (und erst bei näherem Hinsehen offenbarte, dass es sich doch nur um das endlos ausgedehnte und ökonomisch aufgepimpte Kleine handelt): „Landlust“ handelt davon, dass das davongekommene Kleinbürgertum in und nach der Krise die Welt in Inselbeete, Töpferwerkstätten, „Nostalgie-Terrassen“, Erlebnisgärten und andere „Oasen“ verwandelt. (Auch „Stickblümchen“ dürfen nicht vergessen werden.) Hier ist alles aus Holz und gediegen wie in „der guten alten Zeit“, und so gibt es auch einen praktischen Halter für ein Keramik-Blumenväschen am Fahrradlenker (14,90 EUR): Die „Landlust“ macht, zweimonatlich, die Große so klein, wie der Kleinbürgergarten der Kleine groß machen will. Und anders als im wahren Daheim scheint auf diesen Bildern die wahre Natur immer gleich hinter dem Garten unendlich groß und frei und glücklich zu locken.

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Für den Mann darf natürlich schweres Gerät nicht fehlen. Ein Rasenmäher, zum Beispiel, wird erst dann als angemessen angesehen, wenn er nicht unter einem Zehntel der zu mähenden Fläche ausmacht. Dem Unkraut darf mit Feuer und Gift zuleibe gerückt werden, das ist, es steht ja drauf, ganz natürlich; Spezialisierung allüberall bis zum elektrisch verstärkten Rosenstrauchzwicker. Einen Gartenschlauch kann man nicht ohne einen formschönen Gartenschlauch-Umleiter (Frosch-Motiv, schon wieder) umleiten. Es gibt stets das Areal, in dem Gartencenter und Baumarkt ineinander übergehen (und andere, in denen das Möbelhaus angrenzt).

Wenn man Kinder hat, muss der Garten zu etwa einem Viertel in einen Spielplatz verwandelt werden. Sandkasten (in Form eines hölzernen Segelschiffes, oder, für den kleineren Geldbeutel, als Plastikmuschel), Trampolingerät, Fertig-Baumhaus oder aufblasbares Schwimmbecken gehören zur Grundausstattung. Eine Schaukel jedenfalls genügt schon lange nicht mehr. Dort hinten, ja, in der Tat, lesen wir die Worte „Abenteuer“ und „Erlebnis“.

Wenn auch der Grill seinen Platz gefunden hat, geht es darum, die geschaffene Welt vor der Haustür mit einem weiteren Zentrum zu besetzen: das „andere Haus“. Man mag dabei mit einem hölzernen oder metallenen Gerätehäuschen beginnen, gefolgt von einem „Partyzelt“ oder gar einem „Pavillon“ (Tuchumwundenes Metallgitter), aber früher oder später soll es ein kleines Häuschen mit Veranda und Fensterchen sein. So wie der Garten eine ganze Naturwelt darstellen muss, so ist dieses Holzhäuschen das Pendant einer Jagd- oder Almhütte. Ein Nonplusultra von in Besitz genommener Gemütlichkeit und Einfachkeit (aber wie die Vielzahl der notwendigen Sachen die Natur aus dem Garten vertreibt, so vertreibt der Einzug des Elektrogrills und des Fernsehens die Einfachkeit aus dem Gartenhaus, während das Gartenhaus, schon einfach topgrafisch, das letzte Stückchen Wiese gefressen hat). Was bleibt, sind Zeichen. Zeichen die das Bezeichnete ein für allemal ruiniert haben.

Der Kleinbürgergarten ist ein sich selbst auffressendes System, das perfekte Abbild des späten Kapitalismus. Hat man alle Vorgaben der entsprechenden Garten-Kultur erfüllt, Geld und Arbeit bis an den Rand der eigenen Fähigkeiten und in stetem Konkurrenzkampf mit anderen investiert, so hat man sein kleines Stückchen Land zwischen unerträglichem Innen und unerträglichem Außen in ein sowohl von der Natur als auch von der Kultur her unbewohnbares Areal verwandelt. Nicht nur, dass man vor lauter Dingen und Ordnungen keinen Platz mehr hat, dass man sich in diesem Natur-Imitat nicht mehr bewegen kann, das ganze System bricht auch semiotisch zusammen: Eine Aussage aus lauter Zeichen, die ihr genaues Gegenteil aussagen. Ein Glücksversprechen aus lauter Dingen, die ihr Unglück herausschreien. (Und hören wir hier nicht förmlich auch die Pflanzen selber schreien, unter dem Einfluss von Schnitt und Wurzelhormon, Dünger und Züchtung? Unter dem Anspruch, zugleich Natur und Besitz, Leben und Ordnung auszudrücken?) Ein Grenzstreifen (mit Hilfe von Hecken und Hunden bekommt er Anmutungen des Todesstreifens); neben vielem anderen ist die Gartengestaltung auch ein System von Zeigen und Verbergen, Einladen und Fortweisen. Das Spiel mit Sichtbarkeit und „Verblendung“ (so sagt man im Gartencenter, wirklich) vermag im übrigen auch über die wahren Dimensionen des Gartens hinwegzutäuschen: Liegen hinter dieser Hecke (oder gar der „Doppelhecke aus stahlblauen und goldgelben Zypressen“) noch weitere verborgene paradiesische Areale, ein eigentlicher Garten hinter dem Garten, oder doch nur der Schnellkompostierer?

Nur als Labyrinth kann der Kleinbürgergarten überleben. Ansonsten muss er ständig aus seinen Ruinen wieder errichtet werden. Und dann ist aus der großen Welterzählung Garten, die schon immer Aspekte der Tragödie und das Satyrspiels hatte, endgültig die Soap Opera der Krisenzyklen geworden. Am Rand des „Außenbereichs“ meines Gartencenters wachsen ein paar Brennnesseln durch den Maschendrahtzaun. Wie kriegt man so was weg?, fragt einer die Fachkraft in der grünen Schürze. Niemand lacht.

Autor: Georg Seeßlen