Letzte Worte zu Frauenfußball, Jack Wolfskin, Deutschland-Fähnchen und Sinnstiftung

Was die Entwicklung dessen, was wir post-feministisch oder prä-demokratisch „Gender Kultur“ nennen könnten (also das, was jenseits der juristischen, politischen und semiotischen „Gleichstellung“ als soziale und ästhetische Praxis in Bezug auf Gender-Konstruktionen und Lebensentwürfe möglich ist), so gibt es eine gute und eine schlechte Nachricht. Seltsamerweise lassen sich beide Nachrichten im selben Satz sagen: „Alles, was Männer können, können Frauen auch“. Fußballspielen zum Beispiel.

Den Aufstieg des Frauenfußball in der Mediengunst begleitete eine Mythe, die sich ungefähr in dem Satz ausdrückte: Frauen spielen den schöneren Fußball. In der Tat war es in den letzten Jahren ja oft eine Freude, jene „Spielfreude“, die „Kombinationskunst“ und den „Ideenreichtum“ am Werk zu sehen, die in der Männerabteilung (mit ihren Millionengehältern und Mafiastrukturen) so schmerzlich vermisst wurden. Frauenfußball, so schien es manchmal, wäre vielleicht der Fußball, der ursprünglich mal gemeint gewesen war. Außerdem haben Frauen weniger gerotzt und gespuckt, was schon einmal ein erheblicher Zivilisationsgewinn auf dem Platz war.

Frauen foulen weniger. Frauen sehen noch mehr das Spiel und weniger den Kampf. Frauen sind weniger verbissen. Frauen dopen nicht. Frauen legen keine „Schwalben“ hin. Frauen drohen den Schiedsrichterinnen keine Gewalt an und kloppen sich auch nicht gegenseitig. Frauen verwechseln Fußball nicht mit Krieg. Frauen denken beim Fußballspielen nicht an Werbeverträge, Transfersummen und Spielergehälter. Frauen beharken sich nicht gegenseitig mit rassistischen und sexistischen Schimpfwörtern. Und Frauenfußballfans jeglichen Geschlechts trinken auch nicht solche Unmengen von Bier, finden nicht zwischen Rülpsern zu Nazi-Sprüchen, behängen nicht ihr Eigenheim und ihren tiefergelegten Wagen mit Deutschlandfahnen. Das alles stimmt doch, oder? Mit ein paar Einschränkungen, vielleicht? Ein klein bisschen wenigstens?

Tut mir leid. Nach ein paar Tagen Frauenfußballweltmeisterschaft im Fernsehen und im Leben ist es klar: Frauenfußball ist wie Fußball, nur eben mit Frauen. Und die dopen, rotzen, rüpeln, foulen, betrügen, und denken an den eigenen Marktwert. Die einen mehr, die anderen weniger. Die Fans sind nationalistisch, rassistisch, besoffen und verblödet, auch mehr oder weniger. Die Medien bauen ihre Soap Operas und Dramen um die Spielerinnen auf, machen sich ihre Helden und ihre Loser, wissen immer bescheid, und weibliche „Experten“ geben den selben selbstgefälligen, nulligen Stuss von sich wie männliche. Und eben: Man weiß nicht recht, ob das alles nun gut oder schlecht ist. Nur sehen, bitteschön, sehen sollte man es schon.

Denn es führt direkt ins finstere Herz der gesellschaftlichen Verständigung, derzeit. Jedenfalls tut sich etwas in einem bemerkenswerten mythischen Dreieck: Fußball, Geschlecht, Nation. Fußball war ja einst möglicherweise mehr als eine „Männersportart“, es war eine Sportart zur Konstruktion von Männlichkeit. Und er war eine Sportart zur Erzeugung einer meta-politischen „Identität“. Das reicht von der durchaus zivilen Treue eines Menschen zu seinem Verein über den Nachkriegsmythos des legendären Sieges der Nationalmannschaft zu einem „Wir sind wieder wer“, bis zum rassistischen Gegröle der Hooligans von heute.

Körper erzeugen Fußball, und Fußball erzeugt Körper. Aus dem „Alle Fußballspielerinnen sind Lesben“-Status sind wir heraus, der sicherte noch einmal, kurz vor knapp, die Männlichkeitskonstruktion des Sportes ebenso wie das offensichtlich strukturelle Verbot, an die Möglichkeit schwuler Fußballer auch nur zu denken. Aber alles ändert sich, am Ende sogar der Fußball. Und fast alle freuen sich: Frauenfußball wird jetzt immer „normaler“. (Und irgendwann werden wir auch schwule Fußballer so akzeptieren, wie wir schwule Politiker akzeptieren.) Der Motor für diese Konstruktion ist vor allem: Frauenfußball hat Erfolg, nicht nur sportlich, sondern auch medial. Und wenn das so ist, kommt man auch als gewöhnlicher Reaktionär einigermaßen in die Klemme. Denn mag nun Frauenfußball auch der Konstruktion der Männlichkeit in gewohnter Weise widersprechen, so wird er gleichzeitig enorm bedeutsam für die Konstruktion des Nationalismus. Eine „Überlegenheit“ muss mit der anderen kompensiert werden. Das betrifft ja nicht nur jene, die auch eine Weltmeisterschaft im Kirschkernweitspucken für Unter-Dreijährige  als willkommenen Anlass ansehen würden, die Deutschlandfähnchen wieder im Wind flattern zu lassen. In den Zeiten solcher sportlichen Events entdecken ja auch die denkenden und skeptischen Zeitgenossinnen und –genossen ihren nationalen Nerv. Natürlich ironisch, natürlich dezent.

Gelegentlich wirft diese neue Verbindung von Sport, Gender und Nationalismus so ihre Blasen. Im Sexshop um die Ecke tragen die Schaufensterpuppen „Reizwäsche“ in Nationalfarben und haben einen Fußball vor sich liegen. Deutschlandfahnen gibt es auch im Süßwarenladen. Sprachlich haben wir uns offensichtlich darauf geeinigt, dass auch Frauen als Fußballerinnen eine „Mannschaft“ bilden, vor allem wenn es um die „deutsche Mannschaft“ geht. Über den Umweg der Nation konstruieren tatsächlich offensichtlich auch Frauen im Fußball „Männlichkeit“ – oder eben „Mannschaftlichkeit“. Oder anders gesagt, und dem DFB sei dank: Es wurde uns gezeigt, dass sich am Fußball nichts, wirklich gar nichts ändert, wenn er von Frauen betrieben wird.

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Im Sexshop um die Ecke tragen die Schaufensterpuppen

„Reizwäsche“ in Nationalfarben und haben einen Fußball vor sich liegen.

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Es ist also möglicherweise ein Umbau der Kern-Mythologie unserer Gesellschaft im Gange, nach der Tancredi-Art: Es muss sich einiges ändern, damit alles so bleiben kann, wie es ist. Die Frage ist: wie nachhaltig ist diese Umgestaltung der Sinnstiftung durch Fußball? War das nun nur ein weibliches sportives Sommermärchen der Nation, und danach kehrt man zur alten Ordnung zurück? Oder ist der Frauenfußball endgültig Teil der nationalen Mythologie?

Die Antwort auf Verwerfungen zwischen den unterschiedlichen Aspekten des Körpers – der Körper soll eine Leistung bringen (und zeigen), der Körper soll ein Geschlecht haben, und der Körper soll „zugehörig“ und politisch codiert sein – ist ein Modelabel. Derzeit lautet die Antwort in Deutschland auf die Verwerfungen der Welt-, Klassen- und Fußballlage: Jack Wolfskin.

Jack Wolfskin scheint genau jenes Label zu sein, das all die neuen Fragen an den Körper beantwortet. Der Konsens, den man am Körper trägt. Wenn man sich für den volkstümlichen Event, nicht nur im Süden der Republik, gern in Dirndl und Lederhosen zeigt, dann ist der Alltag, insofern er mit „Freizeit“ verschmilzt, durch Jack Wolfskin perfekt bezeichnet. Wer nicht entweder Folklore oder Jack Wolfskin trägt, gehört aller Wahrscheinlichkeit nicht zu uns.

Die Geschlechterfrage ist durch Jack Wolfskin dahingehend gelöst, dass es mehr oder weniger keinen Unterschied mehr gibt. Man soll nur keine „übertriebenen“ Formen haben, aber ein bisschen zu viel Busen oder ein bisschen zu viel Bauch (von deutschen Ärschen wollen wir in diesem Zusammenhang gar nicht reden) werden durch Jack Wolfskin-Klamotten perfekt kaschiert. Denn Jack Wolfskin-Klamotten schaffen die mythische Vereinigung zweier Diskurse, nämlich des Sportiven, Aktiven, des sich bewegenden und fordernden Körpers, und des „Lässigen“ und Bequemen, der Passivität des Sich-Gehen-Lassens. Hecheln und Rülpsen, die zwei Seiten der Fußballproduktion, designvereint. Die beiden Extreme, zu viel vom eigenen Körper zu verlangen oder zu wenig, kommen hier semantisch zu einem „genau richtig“ zusammen. Jack Wolfskin trägt man, weil man sich gerade bewegt, in die Natur und in den öffentlichen Raum hinein, und weil man es damit nicht übertreibt und mit einem Teil seiner selbst auch schon wieder zuhause ist. Hinter Jack Wolfskin-Klamotten kann sich ebenso ein gesundheitsbewusster Freizeitsportler wie eine hoffnungslos lasche Couch Potatoe verbergen. Begehren, Angst, Phantasie, Neugier – alles weg. Als wäre die Synthese zwischen dem „Sportswear“ des Yuppie und dem Trainingsanzug des Frührentners gelungen, und als wäre der Körper so hinreichend positiv bezeichnet, dass man ihn guten Gewissens verschwinden lassen kann. Es gibt Zeiten und Orte in Deutschland, in Fußgängerzonen, Parks und Freizeitattraktionen, an denen sich Menschen versammeln, die so mehrheitlich und so indiskret Jack Wolfskin-Klamotten tragen, als wäre es beinahe so etwas wie eine Pflichtkleidung, als Ausdruck gediegener Normalität zum Beispiel. Das Zeug ist ja nicht billig: Wer Jack Wolfskin trägt, zeigt damit sehr deutlich – denn das Zeichen ist ja überall gut sichtbar angebracht – dass man weder den Billigheimer von kik noch den textilen Zeichenbrei von C & A braucht. Zugleich mit der Distinktion nach unten ist die Marke freilich auch Abgrenzung gegen „Modischkeit“ und Glamour nach oben; man trägt keineswegs „irgendwas“, und nichts „Ausgefallenes“. Jack Wolfskin-Träger sind vernünftig, bescheiden, selbstbewusst und positiv.

Nun also die letzte Frage: Was haben Jack Wolfskin-Klamotten und eine Frauenfußballweltmeisterschaft miteinander zu tun?  Abgesehen davon dass die Affinität bei jedem Public Viewing und bei jeder Biergarten-Übertragung evident ist: In beiden Fällen geht es um eine Neukonstruktion des Körpers, der seine traditionellen Unterscheidungsmerkmale von weiblich/männlich bis zu einem gewissen Grad ablegt. Es handelt sich sozusagen um die geduldete, ja erlaubte und möglicherweise nun auch geforderte Queerness des deutschen Kleinbürgers, die im übrigen eine vollkommen pragmatische ist. Je weniger „Männlich“ und „Weiblich“ sinn- und identitätsstiftend wirken soll, desto wichtiger werden andere Distinktionswerte. So wird der Frauenfußball nationalisiert und Jack Wolfskin zur Klassen-Klamotte. Man richtet sich in neuen Sprachen ein; weniger aus Überzeugung, mehr aus Bequemlichkeit, aber das macht ja nichts.

Frauen können alles, was Männer können. Das muss Eingang finden in die Dresscodes und die Sport-Events, in die nationale Mythologie und die Körper-Konstruktionen. Der Fußball und das textile Design schaffen einen für den mittleren deutschen Mittelstand bewohnbare Trans-Gender-Zone, Lebensbereiche, in denen man offensichtlich weder Frau noch Mann sein muss, wenn man sich nur an sehr genaue Vorgaben hält. Das Geschlecht ist hier suspendiert, auch, weil es sonst an allen Ecken und Enden als ungelöstes Problem auftaucht. Entgeschlechtlichung durch emotionale Recodierung – im Dienste der wirtschaftlichen Effizienz und der reibungslos funktionierenden Eventkultur. Ein Fußball, ein Deutschland-Fähnchen und ein Jack Wolfskin-Anorak können da nie schaden.

© Georg Seeßlen

taz, 13.07.2011

Bild: FIFA Women’s World Cup (Quelle WOGERCAN10, unter der Creative Commons-Lizenz Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 2.5 US-amerikanisch (nicht portiert) lizenziert)