Der Fall Strauss-Kahn zeigt einmal mehr, dass Macht sich nicht mehr gut über Sex symbolisieren lässt. Über Geld allerdings schon.

Die Reihe der hochkarätigen Anklagen wegen sexueller Übergriffe in diesem Jahr hat fast schon etwas von einem Menetekel. Julian Assange, Mosche Katzav, Silvio Berlusconi, Jörg Kachelmann und zuletzt Dominique Strauss-Kahn, reihenweise stolpern die prominenten Vertreter des starken Geschlechts über eine empfindliche Schwäche, die vor zehn oder auch vor fünf Jahren noch keine so große Sache gewesen wäre. Man mag die mediale Berichterstattung – gerade im Fall Jörg Kachelmanns und Strauss-Kahns – als voyeuristisch und vorverurteilend kritisieren, doch in ihr wird exemplarisch auch ein Wertewandel verhandelt, der besagt, dass das alte Herrenreiter-Modell – zumindest offiziell – ausgedient hat. Es geht dabei nicht nur ums Juristische, sondern um die öffentliche Bewertung. Kleine Rubys schmieren oder sich mal eben nach dem Duschen am Zimmermädchen bedienen genießt auch symbolisch nicht mehr unbedingt den besten Kredit. Offenbar hat sich in den letzten Jahren etwas Wesentliches im Verhältnis von Macht und Sexualität verändert. Bislang peinlich Verschwiegenes wird öffentlich, die „Opfer“ bekommen eine andere, gewichtigere Stimme, wie auch die Debatte über sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche im letzten Jahr zeigte. Die Scham liegt jetzt auch auf der männlichen Seite. Vielleicht hat der britische Philosoph Kwame Anthony Appiah ja Recht, wenn er behauptet, moralische Revolutionen würden nicht über Argumente ausgelöst, sondern dadurch, dass Ehrbegriffe sich ändern.

Dummerweise zeigen sich die beteiligten Damen im Spiel nicht gerade als lupenreine Protagonistinnen der moralischen Revolution. Es ist ein verkehrte Welt, denn jetzt, wo die alte feministische Forderung, bei Vergewaltigungsfällen dem Opfer Glauben zu schenken, endlich in der Mitte der Gesellschaft angekommen zu sein scheint, entlarven sich die Frauen als Lügnerinnen. Im Fall Kachelmann führte die fehlende Glaubwürdigkeit der Klägerin zu einem in dubio pro reo-Freispruch, und Strauss-Kahn darf seine Edel-Papardelle nun wieder ohne Fußfessel essen. „Das Zimmermädchen hat gelogen“, titelte die Bild-Zeitung so schön.

So scheint sich ironischerweise mit den prominenten Gerichtsprozessen zugleich das alte Klischee zu bestätigen, dass die Frauen reizen, verführen, lügen und als gerissene Biester große Männer über den Vorwurf sexueller Gewalt in bodenlose Abgründe stürzen. Doch die öffentliche Diskussion ist in den meisten Fällen auch über den misogynen Affekt längst hinausgewachsen. Die Wendungen, die der Fall Strauss-Kahn ständig nimmt, von der Anklage der Vergewaltigung der Hotelangestellten über ihre Entkräftung und nun neuerliche Anklagen aus Frankreich durch die Autorin Tristane Banon, holen die Dinge nämlich auf den unordentlichen, weil immer widersprüchlichen Boden der Wirklichkeit zurück. Ein einfaches Täter-Opfer oder Lüge-Wahrheit Schema hilft hier sowieso nicht weiter. Ob es nun Vergewaltigung war oder nicht, Erpressung oder nicht, eine Verletzung hat in jedem Fall stattgefunden, denn im Gegensatz zur Wahrheit waren die Machtverhältnisse in der New-Yorker Hotelsuite sehr klar. Wenn ein 62-jähriger superreicher IWF-Chef mal eben ein 32-jähriges migrantisches Zimmer“mädchen“ (werden Putzfrauen nicht erwachsen?) beschläft, muss man nicht lange darüber nachdenken, was mit der Formulierung „einvernehmlicher Sex“ gemeint sein könnte. Sex ist ein Tauschmittel in bestehenden Klassen- und Rassenhierarchien. Dass die Frau „lügt“ gehört ebenso zum Spiel wie die Tatsache, dass die Regeln des Spiels von anderen gemacht werden.

Egal, wie der Fall ausgehen wird und was er für Strauss-Kahns künftige Karriere bedeutet, die Diskussion darüber spiegelt die, wenn auch ambivalente, gesellschaftliche Abwertung eines längst überfälligen Modells von Maskulinität. Das ist gut so, lässt aber auch vermuten, dass die List der Macht schon längst woanders ist. Sexueller Machismo ist kein Kavaliersdelikt mehr, weil die Kavaliere von heute zum Teil Frauen sind, und weil die männlichen Newcomer ihre Macht anders demonstrieren. Das Protzen mit sexueller Potenz wird man über kurz oder lang den Proleten überlassen und einer alten Generation von Berlusconis. Das heißt nicht, dass real sexuelle Übergriffe weniger werden, sie gehören nur nicht mehr unbedingt zum bevorzugten symbolischen Kapital der neuen Männlichkeit.

Das neue symbolische Kapital ist, wen wundert’s, ein altes. Interessant an der Berichterstattung zu Strauss-Kahn war die geradezu unterwürfige Faszination, in der selbst seriöse Medien die Einzelheiten seines luxuriösen Hausarrests auswalzten. Dachterrasse, Privatkino und Wasserfall-Dusche des Gefangenen beeindruckten so dermaßen, dass unschwer zu erraten ist, worin sich immer noch und fast ungebrochen männliche Macht demonstrieren kann: im Geld. Dass Ehefrau Anne Sinclair die Zeche zahlt, tut kaum etwas zur Sache, denn er, Strauss-Kahn, weiß den Reichtum phallisch zu inszenieren, und die Medien inszenieren mit. Mag der „König Sex“ auch schwächeln, von Geld und Börsendotierungen als Symbolen viriler Macht werden wir uns noch lange nicht verabschieden können.

Andrea Roedig