Die Dummköpfe machen weiter

Die Krise, Europa, Deutschland, Markus Söder – da wird der Hund ja in der Pfanne verrückt! Und auch andere Tiere verstehen die Welt nicht mehr. Eine Fabel.

Eines Tages wurde es den Tieren zu dumm. Der Affe Alois, der sich mit Kevin, dem Schwälberich, und der Ratte Lea wie immer freitags zum Abendschoppen am Felsen von Gibraltar traf, sagte grimmig: »Oh diese Europäer! Wenn sie mich nicht dauernd füttern würden, dann gingen sie mir am Arsch vorbei.« »Arsch sagt man nicht!« schrie Andrea, die Tochter von Alois und M’bebe, die um keinen Preis zu Hause hatte bleiben wollen.

Die Ratte Lea meinte: »Sie könnten’s so hübsch haben! Zahlen alle mit den gleichen Münzen, haben mehr Automarken als der Rest der Welt und jede Menge Klimazonen und Abfallberge. Und was bringen sie zustande?« »Bürokratie, Bankenkrisen, Sozialabbau, Kulturverfall. Und am Ende wieder Bürgerkrieg und Krieg.« Kevin kam von einem Kurzflug zurück, Rosario und Ali waren ihm gefolgt. »Wenn sie mich nicht füttern würden, dann würden sie mir …«, begann Alois. »Am Arsch vorbeigehen«, vollendete Lea. »Arsch sagt man nicht!« schrie Andrea.

»Mir tun bloß die Kinder leid«, meinte Alois. »Die sind arm, schlecht ernährt und haben nicht einmal einen anständigen Affenfelsen.« »Kita heißt das bei denen«, krähte Andrea. »Woher hat das Kind bloß diese Besserwisserei?« fragte sich M’bebe. »Von den Europäern«, brummte Alois. »Arsch sagt man nicht«, sagte Andrea prophylaktisch.

»Ein Kollege«, erzählte Lea, »war während der letzten Krise als Pausenclown für die Pressekonferenzen der deutschen ›Wirtschaftsweisen‹ angestellt. Hassumal Neuro, das war sein Künstlername. Der hat was zu erzählen.« »Was denn?« fragte Ali. »Also, es ist so: Europa ist gar nicht schuld an Europa. Sondern es sind die sogenannten Finanzmärkte«, sagte Lea. »Und was machen die Finanzmärkte?« fragte Kevin. Lea erklärte: »Die bestrafen die Regierungen, die Verbraucher, die Touristen.« »Die Touristen auch?« fragte Alois erschrocken. »Also, wenn die mich nicht so gut füttern würden!« Streng sah er zu seiner Tochter Andrea hin.

Lea fuhr fort: »Jetzt müssen die Europäer sparen. Das heißt, sie müssen das Geld den Menschen wegnehmen, damit es die Finanzmärkte kriegen. Aber die bekommen nie genug davon. Die Regierungen nehmen es den Menschen weg, um die Banken zu retten. Und dann erhöhen die Regierungen die Steuern, und die Finanzmärkte erhöhen die Mieten, und die Häuser muss man denen wegnehmen, die kein Geld mehr haben.« Alois nickte.

»Und die Leute protestieren dagegen, und dann kommen Polizisten mit Schlagstöcken«, berichtete Lea. »Und was machen die Europäer dann?« fragte Rosario. »Ganz unterschiedlich«, sagte Lea. »Manche tun, als wäre nichts. Am schlimmsten sind die, die sich Sündenböcke suchen wie die Faulpelze, die Flüchtlinge, die Ausländer.« »Mal wieder typisch«, meinte Ali.

»Diese Dummköpfe!« brüllte Alois. »Und wenn wieder alles kaputt ist, raufen sie sich die Haare. Und jammern. Und machen gleich wieder weiter und kaufen Aktien für den Finanzmarkt und verkaufen sich gegenseitig Maschinen zum Totschießen. Da können sie mich füttern, wie sie wollen.« »Die Ärsche«, murmelte Andrea beleidigt.

»Wisst ihr, was der Markus Söder gesagt hat, die Wildsau aus Bayern?« fragte Alois. »Wildsau sagt man nicht«, sagte Andrea. »Arsch! Arsch! Arsch!« trotzte Alois. Und Lea fiel ein: »Ich habe es auch gelesen. Er hat gesagt, man muss Griechenland fallen lassen, weil auch ein Bergsteiger einen Kameraden vom Seil abschneiden müsste, wenn der ihn in den Abgrund ziehen würde.« »Was? Der würde einfach einen anderen Menschen in den Abgrund fallen lassen, damit er sich selber rettet?« fragte M’bebe konsterniert. »Nicht nur er. Drei Viertel der Deutschen wollen die Griechen loshaben, stand in der Financial Times Deutschland«, sagte Alois, der stolz darauf war, dass er jeden Tag Zeitung las. »Wir müssen was unternehmen. Schon wegen der Kinder. Aber was?« fragte Lea. Da ihnen nichts einfiel, trotteten die Tiere betrübt heim.

Als Lea nach Hause kam, wollten die Rattenkinder nicht ins Bett, und das Kleinste rief: »Lies uns, bitte, noch was vor!« Da griff die Mutter zur Frankfurter Allgemeinen Zeitung und las: »Anlagenotstand stützt deutschen Aktienmarkt: Trotz eingetrübter Konjunktur und Angst um den Euro steigen in Deutschland die Aktienkurse. Es fehlen ganz einfach die Alternativen, sagen die Marktteilnehmer. Viele Konjunkturzahlen trüben sich ein. Anlegerumfragen signalisieren tendenziell eine äußerst schlechte Stimmung – die Aktienkurse deutscher Unternehmer steigen. … Dass der deutsche Aktienmarkt die übrigen europäischen Aktienmärkte, aber auch den amerikanischen Markt in diesem Jahr bisher ausgestochen hat, wird vielfach mit der weltweiten Präsenz deutscher Unternehmen begründet. Auch kleine börsennotierte deutsche Unternehmen verdienen viel Geld in Regionen mit jüngeren Bevölkerungen und höheren Wirtschaftswachstumsraten als das in einer Konjunkturflaute steckende Europa.« (FAZ, 8. August)

 

»Hör auf«, sagte Leo, Leas Lebensabschnittspartner, »das ist nichts für kleine Ratten.« Aber die waren zum Glück schon eingeschlafen.

Als Ali heimkam, wollten die kleinen Schwalben noch nicht schlafen, und die jüngste rief: »Bitte, Papa, lies uns was vor!« Da griff der Vater zur Frankfurter Allgemeinen Zeitung und las: »Polens Bauwirtschaft ist der EM-Verlierer: Auf das rauschende Fest der Fußball-EM folgt der Kater: Nach Einschätzung des Kreditversicherers Atradius hat die Europameisterschaft in der polnischen Baubranche eine erhebliche Insolvenzwelle nach sich gezogen. ›Die Aussicht auf lukrative Großaufträge verleitet die Unternehmen dazu, zu günstig anzubieten‹, erklärte Michael Karrenberg, zuständiger Risikochef von Atradius für Deutschland und Osteuropa, am Mittwoch in Köln. ›Gleichzeitig gehen die Betriebe durch hohe Investitionen weit in Vorleistung. Zahlt der Auftraggeber dann später als erwartet oder gar nicht, kommen besonders Mittelständler schnell ins Straucheln.‹« (München, Reuters, 8. August)

»Hör auf«, sagten Rosario und Kevin in der Schwalben-WG, »Das ist nichts für kleine Vögel.« Aber die waren zum Glück schon eingeschlafen.

Als Alois ins Schlafzimmer trat, riefen alle seine Kinder: »Bitte, bitte, lies uns noch was vor!« Da griff der Vater zur Frankfurter Allgemeinen Zeitung und las: »Transformatorin: In Österreich saßen Rechtspopulisten einmal im Kabinett; in anderen ›alten‹ EU-Ländern standen sie eine Zeitlang im Rampenlicht, etwa die ›Wahren Finnen‹. Besonders groß ist ihr Einfluss im vergangenen Jahrzehnt in Dänemark gewesen – so ist es folgerichtig, dass nach der Ankündigung der Vorsitzenden der Volkspartei, Pia Kjaersgaard, die Parteiführung abzugeben, daran erinnert wird. Im Rückblick mischen sich Ablehnung und Bewunderung: Ablehnung, weil sie das Land auf einen harten Kurs in der Einwanderungspolitik gebracht hat, Bewunderung – aus demselben Grund. Die bürgerlichen Parteien brauchten die Volkspartei zur Mehrheit, Frau Kjaersgaard wusste das auszunutzen.« (FAZ, 9. August) »Hör sofort auf, Alois!« rief da seine Frau. »Das ist nichts für kleine Affen!« Aber die waren schon eingeschlafen. Nur Andrea murmelte noch selig: »Rechtspopulismus sagt man nicht.« Dann waren die erwachsenen Tiere von Gibraltar mit ihren Sorgen um Europa allein.

Georg Seeßlen, Jungle World # 37, 13.09.2012