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Diese Lippen! Der Körper zugleich athletisch und üppig. Bewegungen voller Geschmeidigkeit, doch gänzlich untänzerisch. Immer haarscharf an der Grenze zwischen Sexy-Sein und Karikatur des Sexy-Seins. Ein Körper, der vor allem Zeichen sein will, Gesten, die mehr Ritus als Empfinden enthalten. Wie kann ein Körper, an dem alles so perfekt wirkt, so falsch sein? Vielleicht ist es eine Sache des Schwerpunkts. „Real“ ist das alles erst einmal nicht.

Ernst Kantorowicz hat in den 1950er Jahren das Modell vom doppelten Körper des Königs, nämlich einem „natürlichen“ und einem „politischen“ Körper, aufgestellt. 2009 hat Kristin Marek dieses Modell erweitert: Man muss, sagt sie, nicht nur von einem doppelten, sondern von einem dreifachen Körper sprechen, nämlich vom natürlichen, vom politischen und vom heiligen Körper. Man könnte das auch so formulieren, dass es neben einem agierenden und empfindenden Körper einen bedeutenden und Sinnstiftenden, und schließlich einen entrückten und mythischen Körper gebe. Im Star, oder in seiner postmodernen Ableitung, der Celebrity, wiederholt sich diese Dopplung oder eben doch Dreiteilung des Körpers offenbar: Neben den agierenden, natürlichen Körper tritt der „darstellende“, bedeutende, Sinn gebende Körper, und über beidem tritt ein „heiliger“ Körper in Erscheinung, in dem alle Widersprüche, Angst und Begehren aufgelöst sind. Der Schauspieler wechselt zwischen dem natürlichen und dem darstellenden Körper; der Star ist immer alles zugleich. Das ist seine Aura: er überträgt Elemente des einen in die Sphären der anderen Körper(-Bilder).

Anders als beim König mit seinem Macht-Anspruch über Territorium und Zeit kommt es beim Star allerdings auf das fluide Wechseln der drei Zustände an. Die drei Körper treffen sich nicht nur in ein und demselben Bild (gelegentlich), sondern bilden auch eine gemeinsame Erzählung. Der Star ist immer eine metaphorische und eine metaphysische Biographie, die in Beziehung zu einem realen Leben stehen (nebst allen Beziehungskatastrophen, Familienverwicklungen, Krankheiten und „politischen“ Auseinandersetzungen). Nennen wir es: Eine magische Biographie, in der die drei Körper ihre verlorene Einheit suchen. Darum können wir nicht genug bekommen von den Erzählungen und den Bildern:

Angelina Jolie gehört nicht nur zu den bestbezahlten amerikanischen Schauspielern, sie ist auch die am meisten auf Zeitschriftentiteln abgebildete Frau der Welt. Zusammen mit ihrem Mann Brad Pitt und ihren sechs Kindern (drei eigene, drei adoptierte) bildet sie eine Familie im Zentrum aller Diskurse. Kein Schritt in der Öffentlichkeit ohne Fotografenscharen. Laut einer Nielsen-Studie aus dem Jahr 2006 sind Angelina Jolie und Brad Pitt die weltweit erfolgreichsten Werbeträger. Nicht einmal ein Viertel aller Menschen auf dieser Welt sind es, die noch nie etwas von Angelina Jolie gehört haben. Es gibt nichts, was man mit dieser Familie nicht verkaufen kann, und es gibt keinen Preis, den sie nicht verlangen kann. Als im Mai 2006 die Tochter von „Angelina und Brad“ geboren wird (in Namibia), bezahlt die Zeitschrift People 4,1 Millionen Dollar für das Recht, die ersten Fotos von Shiloh Nouvel Jolie-Pitt zu veröffentlichen; dieser Rekord kann nur von „Brangela“ selber übertroffen werden: 2008  zahlt das People Magazin  14 Millionen für das Veröffentlichungsrecht von ersten Fotos des Zwillingspaares Knox und Vivienne, das in Nizza geboren wurde.

Wenn es wahr ist, dass jeder Mythos aus Widersprüchen zusammengesetzt ist, dann ist Angelina Jolie weiß der Himmel ein Mythos. Sie ist einerseits die Tochter des Schauspielers Jon Voight, und deswegen schon overdressed über rote Teppiche gelaufen, bevor sie lesen und schreiben konnte. Andererseits ist das Scheidungskind mitnichten klassischer Spross einer Schauspielerfamilie. Eher ein leidendes Mädchen, das mit Trotz und Selbstverletzung auf eine bösartige Umwelt reagierte. So nah an der dunklen Seite des amerikanischen Traums, weibliche Abteilung. Dazu passt übrigens, in welchen Berufen sie scheiterte, bevor es etwas mit der Schauspielerei wurde: Model für Fitness-Produkte, und Bestattungsunternehmerin. Drogen und Depressionen begleiten sie bis in die ersten Jahre des Erfolgs.

Zu Beginn der 1990er Jahre begann die Karriere vergleichsweise bescheiden mit Auftritten in Musik-Clips und Studentenfilmen; der erste richtige Film war  1993 „CYBORG 2“, ein absolut schräges B-Movie, das vom Trash-Genius allenfalls gestreift wurde, auf der einen Seite. Aber auf der anderen schon einer der besten Angelina Jolie-Filme, die je gedreht wurden. Als Essay über einen weiblichen Körper, der nur zum Teil real ist, zum kleineren Teil. Man versteht hier sehr gut, warum es mit dem Fitness-Model nichts wurde. Dieser Körper drückt nicht „Gesundheit“ und „Leistung“ aus, sondern Verletzung und Trotz. Er kann gar nicht anders, er muss „erfunden“ werden.

Wie kann ein Körper (vor der Kamera) so etwas ausdrücken? Es ist natürlich erst einmal eine Kontext-Frage. Es ist aber auch die Biographie eines Menschen, der in seinem Körper nie wirklich „zuhause“ war. Später wird es, nach den Messerstichen in die eigene Haut, nach den Sublimationen in den Tätowierungen auch das öffentliche Bekenntnis von Angelina Jolie zur Bisexualität geben. Dieser Körper ist mehr als ein Männertraum, eher eine Frage als eine Antwort. Dazu gehören auch ihre Erinnerungen an eine ziemlich furchtbare Kindheit und Jugend unter lauter hyperangepassten, reichen Kids. Das hässliche junge Entlein wird zum Schwan erst als es entdeckt, wie es fauchen kann.

Ihre Sexyness ist immer reine Oberfläche, und anders als, sagen wir, bei Marilyn Monroe, lässt sie sich nicht ohne weiteres in eine klassische, psychologisch grundierte Menschlichkeit aufheben. Sie ist immer Abbild, das drauf und dran ist, das Original zu vergessen. Als Cyborg eben, oder aber als eine junge Frau, die ihre Sexyness taktisch einsetzt, und die nicht zufällig Eleanor Rigby heißt, von der es bei den Beatles hieß, dass sie in einem Traum lebe, in „Desert Affairs“ (1996), eine sehr sonderbare Reise in den white trash der amerikanischen Wüsten, bei der nie klar wird, wie wirklich ihre Geschichte eigentlich ist. (Und wie heißt es noch im Song? „No-one was saved“.)

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In HACKERS (1995) ist Angelina Jolie vor den Bildschirmen und in den Netzen noch verschlossener. Sie ist ein Geheimnis, gewiss, aber es beginnt eine neue Phase der Liebes- und Weltgeschichte. Niemand macht sich die Mühe, es zu lösen. Spielen ist besser. Und so wird Angelina Jolie zum Weltstar in zwei Filmen zur lebenden Spielfigur Lara Croft.

lara-croft-350Die Filme  (2001 und 2003 entstanden) sind aufgedrehte Mischungen aus JAMES BOND und INDIANA JONES mit einer bizarren Vater / Tochter-Beziehung: Den Vater spielt der wirkliche Vater Jon Voight. Aber was ist das für ein Geschöpf? Natürlich sah sie in LARA CROFT so aus, wie es in einer Game-Verfilmung und wie im Comic aussieht, nämlich dass Heldendress und Heldenkörper eine Einheit bilden. Angelina Jolies Körper steckt nicht in einem Dress, er ist ein Dress. Man kann und sollte sich recht eigentlich nichts drunter vorstellen, genau so wenig wie bei Wonderwomen oder Sailor Moon; mit der Oberfläche ist alles gesagt. Eine solche Botschaft musste auf der Diskurs-Ebene erst einmal enorm reaktionär wirken. „Dicke Brüste, enge Shorts und eine Knarre in der Hand“, so charakterisiert sie die Kollegin Sigourney Weaver, die sich, gewiss sehr zu recht, unter weiblicher Emanzipation in männer-dominierten Genres etwas ganz anderes vorstellte.

Als Heldin von Blockbuster-Actionfilmen hätte es von da an für Angelina Jolie reichen können. Aber es gab eben auch diese ganz andere Angelina Jolie, die durch die schauspielerische Auseinandersetzung etwas ergründen wollte, und sie fand im übrigen bessere Gelegenheiten in etwas ambitionierteren Fernsehprojekten als in Kino. In einem intimeren (Bilder-) Rahmen etwa entwickelte sie 1998 die Biographie von Gia Carangi, dem „lesbischen Supermodel“, das die für diese Jahre exemplarische Geschichte von großem Feuer und elendem Verglühen durchlebte. Hier sehen wir etwas sonderbares, nämlich wie der Körper von Jolie (die vermutlich auch ihre eigene Biographie spielt) dem inneren Zerfall nur indirekt Ausdruck verleiht. Die Rückkehr vom künstlichen Körper zur Menschlichkeit kann nur noch (wie man eigentlich schon in den Trash Movies ahnen kann) im Tod geschehen. Es ist ein menschliches Wrack, was immer noch in einem Körper lebt, der hauptsächlich Dress ist, bis auch dieser unter der Krankheit (AIDS im Fall von Gia Carangi) zerfällt.

Richtig erfolgreich aber waren nur die sexy body action-Filme wie WANTED (2008) von Timur Bekmambetow, nach dem Comic von Mark Millar, eine rasante Variante der Auftragskiller-Geschichte von MR. UND MRS. SMITH , und zugleich purer Traum von einem Körper, der nicht wirklich existiert, Trugbild eines Mannes, der dringend vom „Schwächling“ zum Kämpfer werden muss. Man hat diesem Film seine „Frauenfeindlichkeit“ vorgeworfen; möglicherweise gälte dies für nahezu alle Angelina Jolie-Filme der Action-Art. Sie entzieht sich jedenfalls dem „Emanzipationsdiskurs“ den andere weibliche Stars wie eben Sigourney Weaver im Actiongenre vollziehen. Angelina Jolies Problem liegt einfach woanders. Bild, Erfahrung und Bewegung des Körpers sind so weit auseinander, dass sie nur im irrealis, durch Täuschungen und Verdoppelungen zueinander in Beziehung gesetzt werden können.

Und wieder, in ORIGINAL SIN (2001) ist sie als „Katalogbraut“ eine irreale, eine eingebildete Frau, und dass in ihrer Darstellung die Geschichte, die Francois Truffaut als LA SIRÈNE DE MISSISSIPPI verfilmt hatte – die „falsche Braut“, im deutschen Titel – Bild und Abbild sich so umkreisen, führt dazu, dass auch zum Ende offen bleibt, wer eigentlich Betrüger und wer Betrogener ist. Nicht nur in der Geschichte, sondern auch zwischen Leinwand und Zuschauern. Die Leute, die Angelina Jolie für diesen Film mit der goldenen Himbeere für die schlechteste Schauspielerische Leistung auszeichnen wollten, haben vielleicht nicht recht verstanden, wie eben dies Nicht-dasein, die körperliche Präsenz ohne „dramatischen“ Inhalt, Wesen des Jolie-Mythos ist. Leider hat es der Regisseur, Michael Cristoffer, auch nicht verstanden.

Angelina Jolie spielt nicht zufällig immer wieder Frauen mit Doppelexistenzen, in Masken und Dresses. (Man kann sie sich nicht „schmutzig“ vorstellen, sie ist das nicht einmal in ihrem TV-Western von Karen Arthur aus dem Jahr 1997, der ausgerechnet True Women hieß und ein Versuch war, Patriotismus und Feminismus miteinander zu versöhnen – am falschen Körper, sozusagen.) Sie ist die verdoppelte Frau, und sie spielt, anders als ihre Vorgängerinnen, nicht das Original, sondern das Double, anfänglich sogar in den ersten Mutterrollen wie in Oliver Stones ALEXANDER (2004), als Olympias, Mutter des Helden, die ihn zum Gottgleichen aufbauen will. Männer und Frauen in den Angelina Jolie-Filmen verhalten sich nicht nur insgesamt, sondern auch zueinander wie ferngesteuert. MR. UND MRS. SMITH, der Brad Pitt / Angelina Jolie Film, handelt von einem Paar, die beide die gleiche Doppelexistenz führen, Middle Class-Bürger und Auftragskiller, und die schließlich auf einander angesetzt werden. Das globale Meta-Paar am Beginn des 21. Jahrhunderts entsteht aus einer wechselseitigen Mordphantasie. Und Liebe ist: einander nicht umzubringen.

In den Nebenrollen, die sie in den folgenden Jahren spielt, geht es eigentlich immer darum, die verlorene Menschlichkeit wieder zu (er)finden. Aus der Welt der Comics, der Action, der Mythen und der Masken will Angelina Jolie in die Wirklichkeit zurückkehren, das Medium dazu ist Geschichte:  In Robert De Neros THE GOOD SHEPARD  (2006) als leidende Frau eines der Mitbegründer der CIA; in EIN MUTIGER WEG (2007) von Michael Winterbottom als Ehefrau des in Pakistan entführten und ermordeten Journalisten Daniel Pearl (hier besteht der Masken-Wechsel gar darin, dass eine weiße Schauspielerin die Rolle einer schwarzen Frau spielt); in Clint Eastwood DER VREMDE SOHN (2008) nach einem wahren Fall aus den zwanziger Jahren, als Mutter, deren Kind entführt wird, und der von der Polizei eines zurück gebracht wird, von dem sie nicht glaubt, dass es ihres sein kann. In allen diesen Filmen versucht Angelina Jolie, „zurückgenommen“ zu spielen, selten besetzt sie die Mitte der Bilder, man kann sagen, sie habe gleichsam die eigene Präsenz „künstlich“ beschränkt. Das beweist womöglich, dass Angelina Jolie das kann, sonst aber nicht viel. In Florian Henkels TE TOURIST (2010) ist sie dann wieder knallig genug eine Agentin, und wieder geht es, im Remake des eleganteren französischen Films ANTHONY ZIMMER, um ein Verwirr- und Maskenspiel, das Trügerische der körperlichen Erscheinung. Ganz direkt geht es dabei um den Janus als Leitfigur: „Das ist der römische Gott Janus. Meine Mutter hat es mir vor vielen Jahren geschenkt. Sie wollte, dass ich daran erkenne, dass Menschen zwei Seiten haben, eine gute und eine schlechte, eine Vergangenheit, eine Zukunft. Und dass wir beides akzeptieren müssen, in dem, den wir lieben.“ Küchenpsychologie, Holzhammer-Symbolik, aber gewiss doch. Und doch Teil der magischen Biographie von Angelina Jolie.

Niemand hat so richtig verstanden, warum ihr Vater irgendwann damit begann, öffentlich wegen ihrer „ernsten emotionalen Probleme“ über sie herzuziehen, und dass dann das offensichtlich unterdrückte Familiendrama mit einer endgültigen Namensänderung und einem vollständigen Bruch der Beziehungen beendet wurde. Aber es war Teil der Konstruktion der öffentlichen Welt-Familie Pitt / Jolie, die es real, „politisch“ und heilig gibt.

Schon während der Dreharbeiten zum ersten Lara Croft-Film in Kambodscha begann ihr Engagement für soziale und politische Probleme. Das hing mit der Erfahrung zusammen, zum ersten Mal die USA verlassen und die Grenzen einer beschränkten (Selbst-)Wahrnehmung überschritten zu haben. „Die Kultur des Landes und das katastrophale Elend der Flüchtlinge haben mein Leben völlig verändert. Seither bin ich weniger selbstbezogen und kann meine Gefühlslagen besser relativieren“. Dieses politische Erwachen war zweifellos auch eine persönliche Befreiung, Teil einer Gesundung, ein Schlüssel für die Beziehung von magischer und realer Biographie, und selbst die belangloseren Angelina Jolie-Filme werden ab da anders gelesen. In den Jahren darauf war sie UN-Sonderbotschafterin für das Hochkommissariat für Flüchtlinge und Sondergesandte des Flüchtlingshochkommissars, worunter man sich natürlich vor allem PR-Arbeit vorstellen kann. Unermüdlich bereiste sie die Flüchtlingslager, und ihre Präsenz sorgte gewiss für entsprechende Presseinteressen und Spendenbereitschaft. Und nicht zuletzt dient diese Botschafterin auch der Organisation selber: „Ich glaube an das, wofür die UN stehen – Gleichheit und Schutz der Menschenrechte für alle“. Die B-Movie und Comic-Strip-Figur, die sich auf der Leinwand unentwegt mit ihrer Künstlichkeit, mit ihrer Fremdbestimmung und mit ihrer „Uneigentlichkeit“ herumzuschlagen hatte, fand im realen Leben ein Gegengewicht, das immer stärker wurde. Und so sehr die Filmschauspielerin eben den Diskurs der „Künstlichkeit“ bediente (und manchmal sogar vertiefte), so sehr war nun die politische Botschafterin auf das Authentische bedacht. Sie lehnte vor Ort jeden Promi-Bonus ab, setzte sich den Gefahren aus, und ein Hauptaugenmerk richtete sich dabei stets auf die Situation der Kinder. Zunehmend „politisierte“ sich diese Arbeit, es war klar, dass es mit Spenden und PR-Touren nicht getan war, und so versuchte sie auch aktiv auf Gesetzesvorlagen Einfluss zu nehmen; seit 2006 arbeitet eine von ihr und Brad Pitt gegründete Stiftung unter anderem für Ärzte ohne Grenzen, die Lobby-Arbeit für jene betreibt, die keine Lobby haben.

Und dann geschieht etwas drittes. Plötzlich überkommt (nicht nur) die amerikanische Öffentlichkeit ein ungeheures Interesse an diesem Körper. Jede Geburt, jede Krise wird sorgfältig beobachtet. 2012 gab sie die „prophylaktische Mastektomie“ wegen einer Mutation bekannt, die ihr Risiko der Brustkrebs-Erkrankung auf über 80 Prozent erhöhte. Das ist nicht nur persönliches Leid, es ist zugleich medizinpolitisches Signal: Überall wächst die Zahl der Vorsorgeuntersuchungen. Die Welt adoptierte diese Frau und ihren realen, leidenden Körper noch mehr als sie den künstlichen Cyborg- und Lara Croft-Körper im Kino adoptiert hatte. Angelina war der bedeutendste öffentliche Frauenkörper der Welt geworden. Der Wandel von der sich selbst zerstörenden Außenseiterin, die fremd im eigenen Körper war, über die technisch-ästhetische Verdoppelung und Erfindung eines im Wesentlichen „unempfindlichen“ zweiten Körpers, zwischen Cyborg und Agenten / Killerin-Maskerade, zu einer Mutter, die durch ihre Adoptionen und durch den Bruch mit dem Vater klar machte, dass Familie ein sich selbst generierendes System und Mutter eine soziale mehr denn eine biologische Funktion ist (was die manische Neugier auf den Körper dieser Über- und Neben-Mutter natürlich konterkariert) eine weibliche Welterzählung, die vielleicht am Ende wirksamer scheinen mochte als die lineare Emanzipationserzählung, die Sigourney Weaver einforderte.

Und was ist sie nun? Die schöne, böse Hexe aus dem Märchen, die in Wirklichkeit gar nicht böse ist. Sie ist nun, in MALEFICENT, aus dem Cartoon entsprungen, eine Kreation des Maskenbildners (der auch Regie führte) Robert Stromberg, und zugleich ist es die Geschichte einer Wandlung, die Geschichte einer Frau, die am Ende die wirklich Gute ist, auch wenn man ihr so vieles Böses zutrauen durfte, nein, es geht um mehr, darum, dass aus einer „kalten“ eine „warme“ Figur wird, aus einer verletzten eine mütterliche Frau (deren Herz gerade durch das Kind berührt wird, das zum Gegenstand der Rache werden sollte). Es geht darum, dass nicht nur Prinzen schlafende Prinzessinnen wachküssen können. Wer außer Angelina Jolie, hätte diese Wandlung spielen können? Es sind hier nicht nur die zwei Seiten eines Wesens, die kalte und die warme, sondern auch die zwei Seiten der Repräsentation, der Körper und der Zeichen zu sehen. Die „Animation“ verläuft über die Realisierung, die Seele kann sich nur in Masken und Spiegeln erkennen.

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Das Mädchen, das mit der Selbstverletzung des eigenen Körpers als Mittel, sich „wirklich“ zu spüren, begann, das es zu einer Weltkarriere brachte, indem es, zur Frau geworden, die Künstlichkeit des Körpers zur Disposition stellte, die diesen Körper in eine entrückte Region des reinen Zitats, des reinen Zeichens brachte, schließlich öffentlich (wenn auch jenseits der Leinwand) die Rückkehr zum natürlichen Körper zelebrierte, (auch unter Schmerzen), die ihre Widersprüchlichkeit in der Mutter-Rolle bearbeitete, ohne eine Einheit aus alledem erzeugen zu können: Aus diesen Widersprüchen befreit sich die Maleficent. Die Suche nach dem „richtigen“ Körper ist damit (vielleicht) beendet. Und dabei übermalt Angelina Jolie auch die „falschen“ Mütter, die sie gespielt hat, so oder so, in ALEXANDER oder in THE CHANGELING. Wie heißt es doch in der Inhaltsangabe von MALEFICENT von ihrer Figur? Dass sie „ihren Frieden gefunden“ habe. Und das scheint auch für die Schauspielerin zu gelten: „Ich hatte eine wundervolle Karriere“, erklärte sie bei der Pressekonferenz zu diesem Film. „Ich bin sicher, dass es noch mehr Filme gibt, aber ich möchte mich aufs Schreiben und die Regiearbeit konzentrieren und vor allem auf meine UN-Arbeit.“ Fast ein kleiner Abschied. Jedenfalls einer von einem falschen Körper. Oder mindestens von einem von ihnen.

Nachdem sie 2007 bereits mit einem Dokumentarfilm die Seiten beim Filmemachen gewechselt hatte, hatte Angelina Jolie  mit IN THE LAND OF BLOOD AND HONEY 2010 ihr Regie-Debüt präsentiert. Es war ein waghalsiges Unterfangen, einen Film über den Bürgerkrieg in Bosnien mit den Mitteln zu drehen, die zwischen Hollywood und europäischem Kino offenstanden. Der Stoff, in dem es um eine gefangene bosnische Frau und ihren serbischen Wächter geht, die eine komplizierte backstory und Psychologie miteinander verbindet, führte schon während der Dreharbeiten zu Differenzen, sogar zum Drehverbot in Sarajewo. Aber der fertige Film entsprach den Befürchtungen nicht, er ist ein zweifellos ehrbarer Versuch, sich mit der sexuellen Gewalt im Krieg jenseits der Hollywood-Konventionen auseinander zu setzen, eine fiktive Erweiterung des Diskurses, den Angelina Jolie auch in ihrer politischen Aktivität zu einem Schwerpunkt gemacht hat: „Es ist ein Mythos, dass Vergewaltigung ein unausweichlicher Teil von Konflikten ist; es ist eine Kriegswaffe gegen Zivilisten, die nichts mit Sex zu tun hat, sondern nur mit Macht. Gedacht, um Unschuldige und oft junge Kinder zu foltern und zu demütigen. Wir müssen eine Botschaft um die Welt schicken, dass es keine Schande ist sexuelle Gewalt zu überleben, sondern dass die Schande allein beim Täter liegt.“

So erklärte sie beim Gipfel gegen sexuelle Gewalt, den sie und der britische Außenminister William Hague in London initiierten. Und wenn Angelina Jolies Film etwas zeigt, dann dies, dass es immer eine Wahl gibt.

Das Drama in MALEFICENT beginnt vielleicht nicht zufällig mit einer Szene, die man leicht auch als Vergewaltigung deuten kann: Der Prinz, den die Fee doch so liebte, hat sie betäubt und ihr Gewalt angetan, weil er nur das eine von ihr wollte, ihre Flügel. In das Böse wird diese Frau durch die Männer gestürzt, davon befreien kann sie sich nur allein. Der natürliche, der politische und der heilige, der lebende, der metaphorische und der imaginierte Körper, sie kommen in solchen Bildern zu einander.

Georg Seeßlen, der Freitag 30-06-2014