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Anmerkungen zu Franz Apunkt Schneiders notwendigem und überzeugenden Buch „Deutschpop halt’s Maul“

 

Was die Geschichte von Popmusik in Deutschland allgemeinen, Popmusik in deutscher Sprache im Besonderen anbelangt, so gibt es dazu eine identitäre Geschichte, die im Großen, von Magisterarbeiten bis zu BBC-Sendungen, wie im Kleinen, als Irrlicht in Feuilleton und Musikmagazinen weit verbreitet ist und kaum kritisiert wurde. Sie geht in etwa so: Im deutschen Schlager der 50er Jahre waren, zeitgleich mit einer direkten Fortsetzung der Unterhaltungsmusik aus dem „Dritten Reich“ Spurenelemente des Rock’n’Roll aufgenommen, niedlich und brav gemacht. Anschluss an die Pop-Welt wurde durch den Einsatz von dänischen, schwedischen, amerikanischen, französischen und britischen „Interpreten“ mit mehr oder weniger spaßigem Akzent gesucht. Unbestimmte Sehnsucht nach der Ferne, so zwischen Mendocino und Nirgendwo beherrschte die weitere Entwicklung, aber immer noch wurden rote Rosen verschenkt, an Frauen, die Peggy Sue oder Cindy Lou heißen konnten.

Die Beatles änderten auch hier alles. Denn jetzt ging es nicht mehr darum, Musik nur zu hören, sondern vor allem darum, Musik zu machen. Den Mythos vom Kellerklub zum Weltruhm zu wiederholen, auch wenn es meistens beim Kellerklub blieb. Man sang entweder die englischen Texte nach oder in einem lautmalerischen Phantasie-Englisch. Auf die Idee, Beat-Musik in deutscher Sprache zu produzieren, kamen nur verrückte Plattenproduzenten, die allen Ernstes die Beatles „Komm gib mir deine Hand“ singen ließen. Ein definitiv abschreckendes Beispiel für das Verdikt: Popmusik in deutscher Sprache geht nicht.

Musste aber doch gehen. Aus irgendeinem Grund (genauer gesagt es gibt deren mehrere, und in Schneiders Buch werden die deutlichsten Spuren dazu verfolgt) verlangte es die deutsche Musik-Szene nach „Selbständigkeit“ und „Authentizität“. Und damit begann das Elend des Deutschpop. Denn aus dem gezielten Bruch mit der Sprache der Väter und der Täter in einem schwerfälligen, verfremdeten und gerade darin vollkommen Pop-haften Englisch wurde ein „Dialog“ mit Seitenlinien, Sackgassen und Retardierungen, der am Ende aber doch auf nichts anderes hinauslaufen konnte als auf die Nationalisierung des Pop. Und nach der „Wiedervereinigung“ musste, während sich der Nationalismus popularisierte, zum Fanmeilen- und Fähnchen-Nationalismus, Deutschpop weiter in die rechte Mitte wandern, von der Aneignung durch Nazis und Halbnazis ganz zu schweigen.

Im „Krautrock“, wie der Begriff aus England zurückschwappte, in der gerade erwarteten Mischung aus Anerkennung und Erstaunen über das unmögliche Amalgam, war man noch zugleich auf der Flucht vor dem „Teutonischen“ wie vor dem schlichten Übernehmen der angelsächsischen Muster. Lieber verwandelte man die Sprache in ein Instrument und sich selbst in einen „kosmischen Kurier“; zwischen deutschem Kunstanspruch und angelsächsischem Pop blieb für andere der Ausweg zu einer damals noch nicht so genannten „Weltmusik“.

 

Die lange Reise einer Suche nach der endlichen Versöhnung von Pop und Deutschtum

Zur etwa gleichen Zeit „eroberten“ die Liedermacher, sehr rasch vom klassenkämpferischen Elan und der musikalischen Gebrochenheit eines Degenhardt und eines Süverkrüp wechselnd zum Wohlfühl- und Kuschelfolk eines Reinhard Mey, die deutsche Sprache.

Auf den (schauerlichen) Urknall von „Ihre Kinder“ folgten endlich in deutsch: Politrock, Befindlichkeitspop, Deutschpunk, Neue Deutsche Welle, deutscher Stadionrock, Hamburger Schule, Diskurspop (ja, okay, auch Nazirock, teutonische Markigkeit, Mittelaltermusik und rechte „Barden“) um schließlich im alles umarmenden deutschen Indierock der Blumfeld-Transformationen und der Tocotronic-Nachfolge, in deutschem Hiphop, deutscher „Weltmusik“ zu münden, Idiomen, in denen endlich Musik und Text „unverkrampft“ zusammen kommen und wirklich alles oder auch wieder gar nichts gesagt werden kann. Es ist, mit anderen Worten, eine nationale Emanzipationserzählung, die lange Reise einer Suche nach der endlichen Versöhnung von Pop und Deutschtum.

Dieser National-Erzählung des Deutschpop, die es in einer rechten, einer linken und in einer „unpolitischen“ Version gibt, muss entschieden widersprochen werden, und Schneider tut es: „Die identitäre Erzählung vom deutschen Pop ist heute so hegemonial, dass ihre Halbwahrheiten, Ungenauigkeiten, ja sogar die frechen und anmaßenden Lügen immer weiter verarbeitet werden: zu Waschzetteln, Promotionen, Ausstellungen und einer Kolonialpolitik, die Techno und HipHop (über den nie wirklich bestimmten Kraftwerk-Input) zum deutschen Einflussbereich erklärt. UNSER befreites Selbstbewusstsein muss eben auch auf den Straßen von New York und Detroit verteidigt werden.“

Ebenso gut kann man auch eine Geschichte der Fremdheiten schreiben (wenn man denn überhaupt eine konsistente und kontinuierliche Deutschpop-Geschichte schreiben zu müssen glaubt). Das Sprechen in einem unvollkommen adaptierten Englisch zu Beginn war in all seiner Unbeholfenheit dem Gestus des Pop am nächsten. Denn diese Musik ist stets eine Mischform aus Glücksversprechen und Warenform, geschaffen von freiwilligen und mehr noch unfreiwilligen Migranten und für diese Schmelztiegelmusik der praktizierten Fremdheit. Pop ist von Beginn an eine Musik der Fremden, der Entrechteten, der Heimatlosen, der Verschleppten, Flüchtenden, Exilierten, und damit verspricht „amerikanische“ Pop-Musik eben nicht eine andere Heimat, sondern eine Gemeinschaft der Heimatlosen, einen gelebten und lebenden Gegensatz zum faschistischen Blut und Boden. Popmusik vereinte die drei Elemente einer unbestimmten Sehnsucht nach der verlassenen Heimat, eine nicht minder unbestimmte Sehnsucht nach einer besseren und vor allem freieren Zukunft und schließlich ein offenes, rabiates Scheitern an der Gegenwart. Immer spiegelt sich in Pop-Musik zugleich Klassenkampf und ein freches individuelles Überschreiten der Klassenschranken. Sie war und ist also auch in den USA und in England alles andere als „national“ und auch nicht wirklich „identitär“ sondern eher transformativ.

 

Die Flucht aus der Sprache der Väter und Täter

Dem deutschen Denken war und ist Pop höchst verdächtig, auch diesseits von „Negermusik“ und „Amigeschrei“. Daher begann Pop in Deutschland als Fluchtbewegung vor dem Nationalismus in ein Traumreich, in dem die Begriffe „authentisch“ und „künstlich“ allenfalls Unterschiede gewisser Posen bezeichnen, und die nicht erst in der Wirtschaftswunderzeit begann, sondern etwa bei den Swing Kids in der Nazizeit Vorläufer hätte. Die Hinwendung zu einer „eigenständigen“ deutschen Popmusik bedeutete in Deutschland Ost wie West immer auch den Verlust eines Fluchtweges. Die Sprache macht den Pop kontrollierbar, weshalb er immer wieder dazu tendiert, die Sprachgrenzen zu überschreiten, Über- oder Untercodierungen vorzunehmen, ambivalent und diskontinuierlich zu werden.

Nun war es ja nicht so, dass kein deutscher Popmusiker jemals diese Sprachfalle erkannt hätte. Viele der interessanteren Gruppen, die nicht einer „eigenständigen“ nationalen Popszene angehören, wohl aber eigenwillige Musik machen wollten, reflektierten auch nach dem Verlassen des Pop-Englisch die Flucht aus der Sprache der Väter und Täter.

Can, zuerst mit einem amerikanischen, dann mit einem japanischen Sänger, in deren Klangkunst sich nur unlesbare Texte verbargen, die Düsseldorfer Elektronike, die gerade das Sloganhafte, Abgehackte, Maschinelle der Sprache betonten, die Bands, denen man das NDW-Etikett aufklebte, und denen an lustvoller Sprachzerstörung gelegen war. Umgekehrt versuchten die Vertreter des linken Politrock den „richtigen“ Text mit einer Musik zu unterlegen, die bei den Jugendlichen ankam, was sehr häufig nicht viel anders peinlich war als die Texte der DDR-Singebewegung oder der „christliche Rock“. Da wurden dann allen Ernstes „Karl der Käfer“ oder „die kleine Löterin“ besungen. Den großen Übersprung zwischen Pop und sozialer Bewegung schafften nur Ton, Steine, Scherben. Sie benutzten nicht Pop, sie waren Pop (auch wenn sie das nicht zugegeben hätten).

Weder der deutschen Sprache, deren Erbe in sich nur „verklemmt“ sein konnte, noch der englischen Sprache, in der schwerfälligen oder rein äußerlichen Adaption, konnte es gelingen, die Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit eines angelsächsischen Popsongs zu generieren. So gebar diese Verkrampfung eine eigene Ästhetik. Selbst die Lockerheit von Country Songs konnte von erfolgreichen Gruppen wie Truck Stop nur imitiert, nicht erzeugt werden. (Kein Wunder dass der größte Hit der Gruppe die eigene Ermächtigung als „Cowboys von der Waterkant“ zum Inhalt hatte). Der „König“ der künstlichen Lockerheit wurde Udo Lindenberg, der sich dazu gleich ein eigenes Idiom schuf, ein Kunst-Reeperbahnisch, wie es Rainer Werner Fassbinder in seinen Filmen mit seinem „Kunstbayerisch“ pflegte, das auf andere Weise die Spannung zwischen dem „Authentischen“ und dem „Künstlichen“ wiedergab. Man kann all diese Versuche dem Deutschen in der Popkultur zugleich zu entgehen und es zu erhalten unter dem Stichwort von „Manierismus“ zusammenfassen.

Der Trotz dieser Adaption des Authentischen generierte diesen BAP- und Herbert Grönemeyer-Deutschpop, dem sogar an der körperlichen Verkrampfung anzumerken ist, wie seine „Echtheit“ erarbeitet werden muss, und wie man eine Gemeinschaft bilden muss, um zu verbergen, wie „falsch“ sie ist. Anders gesagt: Da es in der Popmusik zunächst gar nichts Echtes und Falsches gibt, ist die der deutschen Popmusik inhärente Angst vor der Falschheit das Echteste an ihr. „Unverkrampft“ zu sein war das hehre aber eben auch falsche Ziel von Deutschpop, und jedes Mittel war recht dazu: Dialekt, Blödsinn, Jargon, Alltäglichkeit, am Ende auch eine Sprachkunst der hart erarbeiteten Einfachheit, die aus Deutschpopsängern nahezu notwendig Schriftsteller macht (oder umgekehrt).

Auf eine Weise identitär wie in Frankreich und Italien (aber auch da gewiss nicht ohne Verkrampfung), wo man sich eben nicht nur auf das regionale und volkstümliche, sondern direkt oder indirekt auch auf die Lieder der Partisanen, die Musik des Widerstands oder der Rebellion beziehen konnte, so wie man sich in England auch auf Arbeiterlieder, und natürlich in den USA auf die afroamerikanische Musik beziehen konnte, konnte die deutsche Popmusk nie werden. Diese Sprache ist zu fest verwurzelt im Faschismus. Der „linke“ deutsche Text und die Übernahme der „rebellischen“ Musikformen konnten solchen Mangel an Tradition nie kompensieren. Deutschpop, auch wenn es nicht so recht zu einem Theorem dazu reichte, blieb immer etwas Künstliches. Deshalb kann man am besten die zahlreichen Ausweich- und Wanderungsbewegungen beschreiben. So als wäre die einzige „Identität“ von Deutschpop die Flucht vor ihrem Geburtsfehler.

 

Über das Pop-Missverständnis

Deutschpop machte den Rückzug ins „Intime“ und „Subjektive“ mit (nach dem Agitprop und der Skelettierung lernte man das Ich-Sagen), man versuchte Authentizität durch die Verwendung regionaler Dialekte zu erlangen, die Sprachmischungen verschiedener Migranten-Generationen wurden aufgenommen, der mangelnde Flow der deutschen Sprache konnte durch besonders raffinierte literarische Beugungen ersetzt werden, der Diskurs-Pop versuchte Selbstreflexion und Ironie zu verbinden, dann gab es den großen Crossover von Schlager und Pop, so als hätte es diesen Identitätskampf zwischen den beiden Idiomen nie gegeben (und vielleicht war er ja wirklich hauptsächlich eine Erfindung des Pop-Journalismus). Dies macht die „Kreativität“ in der Szene aus, immerhin: die dreifache Flucht vor allzu offensichtlicher Deutschheit, vor der „Imitation“ (als wäre darin die Warenform des Pop zum Selbstausdruck verurteilt) und schließlich vor der Verkrampfung.

Der Verfremdungseffekt, der einst durch das Nachspielen der angelsächsischen Rockmusik mit deutscher Schwerfälligkeit entstanden war, wurde nun selbst zum Inhalt. Die deutschen Gruppen nannten sich nun „Hölderlin“, „Lied des Teufels“, „Faust“, „Atlantis“, „Eulenspygel“ usw. Sie trugen mehr oder weniger schwer wieder deutsches Bildungsgut. Und sie forderten statt zu Tanz und Bewegung zu Stille und Konzentration auf. Statt sich dem Deutschen zu verweigern adaptierten sie es in einer mal tranigen und einer mal frecheren Art (wie Mani Neumeiers „Elektrolurch“).

Es entstand auch eine Avantgarde, wie Can mit ihrem japanischen Sänger Damon Suzuki, der seine Stimme eher wie ein Instrument einsetzte. „Krautrock“ war weder eine Bewegung noch ein Genre, schon gar nicht, was den Gebrauch der Sprache anbelangt, sondern eine Adaption des Kunstrocks, die Einzelnen die Möglichkeit bot, sehr eigenwillige und schräge Dinge zu machen, indem schlicht alle Genregrenzen ignoriert werden konnten, während eine Mehrzahl einfach nur prätentiös war und Rock weniger nationalisierte als verbürgerlichte. Aber eben auch darin waren die Krautrocker so deutsch wie nur möglich, indem sie nämlich unbedingt einerseits etwas Besseres als Rock’n’Roll sein wollten, und andererseits ihre „Eigenständigkeit“ betonten. Man wollte lieber „die ganze Welt“ in seine Musik holen als diese traumhafte industrielle amerikanische Migrationszone weiter zu imitieren. Nein, mehr noch: sie wollten gleich „Kosmische Kuriere“ werden. Und doch ist dieser Krautrock, partly truth und partly fiction (vor allem in GB erzeugt und von John Peel, wem sonst, begrifflich festgelegt), eine wesentliche Schaltstelle in der Geschichte von Deutschpop. Als Mythos eines Aufeinandertreffens von Pop und Avantgarde, deutscher Kultur und internationalem Flair. Es ist der Mythos einer deutschen Pop-Kunst, ohne die die Geschichte des Pop, von David Bowie über Madonna bis zu den Talking Heads und Afrika Bambaata, unmöglich gewesen wäre (als Beweis dienen Begeisterung der Journalisten und die Zitate, die sich finden lassen). Das Verheerende der Verdeutschung des Pop wurde hingegen weitgehend in den pseudo-identitären Pop-Historien unterschlagen. Allein die Vorstellung, diesen „deutschen Beitrag zur Popgeschichte“ so geflissentlich hervorheben zu müssen, zeugt von einem Pop-Missverständnis.

 

Radikale Künstlichkeit als Gegenschlag

Gegen die Verkrampfungen der Deutschen Pop-Musik und ihrem verzweifelten und komischen Versuchen Authentizität herzustellen half schließlich nur der Gegenschlag radikaler Künstlichkeit: Giorgio Maroder und der „Munich Sound“ kehrten am Ende des seltsamen siebten Jahrzehnts nicht nur zum Englischen zurück, sondern benutzten ein repetitives Kindergarten-Englisch, das auch jene „verstehen“ konnten, die Englisch in der Schule „nicht gehabt“ hatten.

Der späte Erbe dieser Sprachreduktion, die auch wieder nur „deutsch“ gedacht werden kann, ist Dieter Bohlen und sein „Modern Talking“-Projekt, was ja vielleicht doch nicht vollständig zufällig diesen Namen trägt. Hier ist, wie im deutschen Schlager, Musik und Text jede Ambivalenz ausgetrieben. Und das war es auch, was den Munich Sound so erfolgreich machte. Es war unmissverständlich, worum es hier ging. Um Sex, um Drogen und um Geld.

Dieser Sound musste mit den ernsthaften Krisen wieder verschwinden. Aus der Verbindung von Krautrock und Liedermachern entstand dagegen jener deutsche Schlagerrock, der direkt von „Ihre Kinder“ zur „Klaus Lage Band“ führt, die so authentisch daherkam wie Schimanski im Fernsehen und entsprechend fusionierten beide auch zu einer audiovisuellen Art Ruhrpott-Melodie.

In diesem Alltags- und Schweinerock-Gemisch tauchten im Übrigen immer wieder programmatische Lieder der kleinen Diskurswechsel auf: Mit „Leute bin ich denn ein Kiosk“ verabschiedete man sich vom Tausch- und Solidaritätsgedanken der Hippies, mit „Ich will Spaß“

verließ die Neue Deutsche Welle den Reflexionssektor, den Gruppen wie Palais Schaumburg, FSK, Geisterfahrer oder Der Plan geschaffen hatten, „Fürstenfeld“ vollzog sogar in der Instrumentation den Wechsel vom künstlichen Planeten Pop der Möglichkeiten in die neue deutsche (bzw. österreichische) Heimatlichkeit.

Keiner der Autoren dieser Lieder würde wohl erkennen können, dass man Hymnen der popmusikalischen Bewegung in die rechte Mitte geschaffen hatte. Und Deutschpop wurde zur Begleitmusik der „Wiedervereinigung“ und der Nationalisierung. Auf das letzte nützliche Feindbild des Pop, Helmut Kohl, folgte, guter Witz, Sigmar Gabriel als Pop-Beauftragter.

„Unverkrampfter“ Deutschpop besagte nichts anderes als „unverkrampft“ Deutsch-Sein, was indes nicht so ganz unwidersprochen blieb: „Der deutsche Punk und Post Punk »reimportierte« »das Deutsche« in einer zeichenhaften Form, die einen gesteigerten Entfremdungsgenuss versprach, und die Texte, die plötzlich »auf Deutsch« geschrieben werden konnten, erzählten von gelungener Überfremdung und feierten die Paranoia, die sie erzeugte: »Deutschland, Deutschland, alles ist vorbei«, hieß es in »Militürk«, einem Mittagspause-Song, der später von DAF noch einmal als »Kebabträume« eingespielt wurde.“ (Schneider).

 

NDW

Das Deutschsein wurde zum mal heiteren, mal kritischen und dann auch schon wieder „schweren“ Material. Rotzfrech oder über-affirmativ war gar nicht so sehr die Frage. Jedenfalls wurde nach dem Krautrock ein zweiter Gründungs- und Unabhängigkeitsmythos des Deutschpop erzeugt. Hier hätte man angeblich erst gelernt, sein eigenes Ding zu machen, was vieles bedeuten kann, unter anderem aber eben auch wieder dieser unselige Traum von einer „nationalen“ Eigenständigkeit einer Popkultur. Dass Deutschpunk und Neue Deutsche Welle allen Ernstes zur „neuen nationalen Jugendkultur“ hinaufgeschrieben (oder doch eher hinunter-) passte dann, auch wenn es viele der Bands ganz anders gemeint hatten, in die Stimmung eines Nationalismus light.

Eines der Konzepte innerhalb dessen, was man dann NDW nannte, war die Idee der „genialen Dilettanten“, die in der Abkehr von der Industrie und auch schon in der Abkehr vom (musikalischen) Handwerk. Das gilt auch für eine Spaltung der Deutschen Sprache im Pop. Wieder gab es Gruppen, die die Sprache unverhältnismäßig wichtig nahmen, andere aber auch, die sie mit Mitteln von Dadaismus, Surrealismus, Cut Up etc. fundamental angriffen. Die besten der deutschen Bands dieser Zeit, was die Texte anbelangt, betrieben eine lustvoll bösartige Form von Sprachzertrümmerung, aber wiederum wurde diese (von Musikern wie Blixa Bargeld ganz bewusst betriebene) Rückbindung an eine sehr deutsche künstlerische Tradition überhöht. Und wieder sah man in der Pop-Internationale diese kreative Stimmung aus Deutschland als Wiederkehr der Energien aus dem finsteren Herzen, dem abgründigen und widersprüchlichen einer Deutschheit, die sich nicht im Hitlerismus erschöpfte, aber ohne ihn auch nicht zu denken war. Viele NDW-Bands benutzten „deutsch“ als eine fremde, nur teilverständliche und in ihrer Klanglichkeit tückische Sprache, die sich schon in den grotesken Namen spiegelte, die die Bands sich gaben, auf die Einstürzenden Neubauten folgten Abstürzende Brieftauben oder Angefahrene Schulkinder, The Wirtschaftswunder oder Die Krupps spielten mit deutschen Industriemythen, die Deutsch-Amerikanische-Freundschaft, die Freiwillige Selbstkontrolle, Der Plan, die Geisterfahrer, all das reichte in die Wahrnehmung der eigenen Widersprüchlichkeit und der Fremdheit in der Geschichte. Aber wie schnell wurde auch dieser kreative Entfremdungspop (deutsch vor allem wiederum, dass es um die Probleme mit der Deutschheit zu tun ist) von einem Mainstream geschluckt, der es mit dem kapitalistischen Realismus ernst meinte.

 

Der Soundtrack eines entsublimierten WIR

Nachträglich betrachtet waren Deutschpunk und Neue Deutsche Welle die letzten musikalischen Erhebungen vor einer deutschen Vereinigung, die auch mit der kulturellen Vielfalt Schluss machte, und zwar im Zeichen einer neuen Vielfalt des Deutschpop, der im neuen Jahrtausend endgültig von einer Erzählung in einen Zustand kippte. Das Deutsche ist kein Problem mehr, sondern die Voraussetzung für den Marktzutritt; wer nicht gut verständlich, eindeutig und irgendwie „bejahend“ deutsch singt, kann sich nur noch in Nischen und an Peripherien herumdrücken, ohne Aussicht auf eine reale Existenz im Business.

Von der immer erhofften und immer verfehlten Pop-Lockerheit blieb am Ende im Mainstream nur die Lockerheit mit der man nationalisierte Sprache und nationalisierte Musik zusammenbrachte. Diskursrock dagegen beschrieb in deutscher Sprache das Misslingen der Sprache im Rock. Oder anders gesagt: das einzige Mittel die Sprache vor ihrer Nationalisierung zu bewahren ist ihre bewusste Zerstörung. Diskurspop das bedeutet allerdings auch, dass eine Form des Pop existieren könnte, der seine eigene Theorie enthält, wie das Bands (zum Beispiel FSK) in dafür besseren Zeiten schon unternahmen. Diskurspop und Hamburger Schule tragen schon in ihren Namen die reflexive Distanz, eine Sekundärhaftigkeit neuer Art. Nicht mehr nur fremd in der eigenen Sprach, fremd in der eigenen Musik, sondern sogar fremd in der eigenen Befremdung. Aber beide Begriffe sind auch extrem „cool“. Sie reportieren das Abgekühlte in der Verzweiflung darüber, dass Pop und Deutsch niemals miteinander zu versöhnen sind, weil Pop in Deutschland eine faschistische Inszenierung ist, was nun Konzerte mit Frei-Wild, Andreas Gabalier aber auch Helene Fischer ziemlich deutlich offenbaren. Der Soundtrack eines entsublimierten WIR.

 

Propaganda für das zufriedene unglückliche Leben

Der Mainstream des Pop in Deutschland, ein paar Blicke auf die Charts belegen es, ist vollkommen nationalisiert. Eine Flucht in die Sphären des „ausländischen“ Pop ist nicht mehr so ohne weiteres möglich; die einzige Ausweichmöglichkeit scheint ein musikalisches Nerdtum mit immer neuen und weiteren Verzweigungen. Die Fluchtbewegung auf einen Planeten Pop, der wie Krypton immer schon in tausend Einzelteile zerbrochen ist.

„Wo Pop sich einem locker zwischen Lichterkette und Brandanschlag swingendem Gemeinschaftsgefühl verpflichtet fühlt, kann er keine Parallelgesellschaft mehr sein. Er wird zum Integrationsangebot für deutsche Popkulturschaffende denen wohl auch weiterhin der Zugang zu den weltumspannenden Rezeptions- und Anerkennungsnetzwerken verbaut sein wird: Wer außer Deutschen sollte sich schon Filme von Sönke Wortmann ansehen oder Platten von Kettcar hören? Immerhin die Deutschen lieben sie, und das ist Grund genug, im Gegenzug auch die Deutschen wenigstens ein bisschen zu lieben.“ (Schneider)

Deutschland, Pop geworden, braucht keine Politik mehr. Aber Deutschland ist zugleich absolut und rein gar Pop-unfähig. Deswegen ist der nationale Wohlfühlkuschelindiepop nichts anderes als Propaganda. Propaganda für das zufriedene unglückliche Leben in einer Mitte, der schon alles egal ist, Hauptsache man hat seine Freunde, sein Milieu, seine Werte, seine Familie, seine Heimat. Das Deutschsein ist nicht mehr das Problem von Deutschpop, sondern seine Botschaft. Natürlich machen Nazis, Halbnazis, Liberale, Sozialdemokraten, Ökos, Linke etc. immer noch einen Unterschied, aber lange keinen so großen, wie sie vielleicht meinen. Sie alle wollen ins Wir, in die Heimat, wollen Geborgenheit. Was uns einst vor diesem Deutschland rettete, das stößt uns nun nur noch tiefer hinein. Deutschpop sei Dank.

Nein, Quatsch. Es gibt immer noch gute Musik, und manches davon wirklich incredible strange und nicht -identitär. Es hat nur nichts mit „Deutschpop“ zu tun. Sondern ist so richtig schön widerspenstig und gibt sich den politischen und ästhetischen Wonnen der Verkrampfung hin.

Georg Seeßlen

Text zuerst gekürzt erschienen in der Freitag 32 / 2015

 

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