Schuld an allem Grauen ist die Welt selbst: In modernen, drastischen Horrorfilmen wird nicht nur das Monströse des Menschen verarbeitet, sondern auch der Neoliberalismus.

 

Wie jedes Genre hat auch der Horrorfilm eine doppelte Funktion. Er drückt etwas Überzeitliches, Anthropologisches oder wenigstens tief in einer Kultur Versenktes aus. Das Drama der Ablösung, der Übertritt von der Welt der Geborgenheit und des Urvertrauens in eine dämonische und zu jeder Verletzung fähige Erwachsenenwelt. Die Erkenntnis, nicht nur für die eigenen, sondern womöglich noch mehr für die Sünden der anderen zu büßen. Dass Natur nichts anderes heißt, als einander auffressen, und Gesellschaft nichts anderes, als dazu geeignete Instrumente zu benutzen. Kurzum: Der Horrorfilm wäre so die moderne Form des Märchens. Eine Fantasie, die man zu einem bestimmten Zeitpunkt seines Lebens braucht, um sie dann, als Erwachsener, wieder abstreifen zu können.

Etwas Grauen- und Lustvolles passiert mit dem Körper, so fängt das an. Kommt das aus dem tiefsten Inneren, kommt es aus dem Himmel und noch eher der Hölle, oder einfach von den anderen, von der Gesellschaft? Horror ist der Zustand, in dem man das alles nicht genau auseinanderhalten kann. Deshalb ist es das Genre mit dem größten Gegensatz zwischen dem Sublimen und dem Drastischen. Die Hoffnung des Genres ist es, uns dorthin zu bringen, wo wir noch nie waren. Hinterher können wir uns fragen, ob wir da eigentlich hinwollten. Aber die Hölle ist jedenfalls ein interessanter Ort für einen Abstecher, gemessen an der Langeweile ringsum; die Gefahr des Genres ist es, dass man auf ewig stecken bleibt: zwischen dem Sehenwollen und dem Nichtsehenwollen, im Rearrangement des zerrissenen, geschmolzenen, zerplatzten, aufgeschnittenen, zersetzten Körpers.

Der wahre Horror-Fan mag sich zwar mehr oder weniger diebisch freuen, wenn die moralische Reaktion zwischen Ohnmächtigwerden oder Nach-der-Zensur-rufen schwankt. In Wirklichkeit aber richtet sich die Provokation der drastischen Grenzüberschreitung nicht an einen bestimmten Adressaten. Was zum Beispiel die einst Jungen Wilden des amerikanischen Horrorfilms der siebziger Jahre wie Wes Craven, Tobe Hooper und George A. Romero umtrieb, das war ein so tiefer Zorn, dass sie alle, mit mehr oder weniger Erfolg, den Rest ihres Lebens und ihrer Arbeit damit zubringen mussten, ihren eigenen Zorn zu verstehen. Einer der Gründe, warum Horror sich immer in Schleifen der Selbstreflexion bewegt. Die Kunst des Horrorfilms besteht unter anderem darin, immer mehr von dem Zorn und von der Angst zu verstehen, aus der man die Energie des Genres schöpft, aber seine Drastik deshalb nicht zu verlieren.

Das Zweite aber, was Horrorfilme vermitteln, ist ein so konkretes wie komplexes Gesellschaftsbild. Der alte Horrorfilm spielte in der Vergangenheit, was mit den ursprünglichen literarischen Vorlagen ebenso viel zu tun hatte wie mit einer gewissen Maskerade. Aber es ging auch um die Sünden der Väter, um das in den Kellern und Grüften Begrabene, um Geister, die, bei aller Lust an physischer Gewalt, immer noch in einer Linie von William Shakespeare zu Mary Shelley agierten. Moderner Horror nun, wie er in den Autokinos undGrindhouses der sechziger Jahre zuerst auftauchte, in der Zeit von Vietnam, Präsidentenmord und Drogenkrieg die Hippieträume zerhackte und schließlich eine neue Tradition begründete, handelt mehr vom Offensichtlichen als vom Verborgenen. Die Schuld für das Grauen liegt genau in der Welt, wie sie ist.

In der Hölle wurde es zu eng

Das zeigen Subgenres wie der Teenage Slasherfilm (Teenager-Gruppen werden von einem Mörder bis auf das final girl dezimiert), der Backwood Horror (Freundescliquen oder Familien geraten bei einem Ausflug ins Hinterland an mörderische, kannibalische und inzestuöse Metzger-Familien), die Home Invasion (sadistische Gangs bringen brave Familien in ihre Gewalt, um mit ihnen ihre furchtbaren Spiele zu spielen, bis einer oder mehrere dieser Gepeinigten zum noch furchtbareren Gegenschlag ausholt), die Torture Porns (endlose Qualen gefangener und gefesselter Menschen, die in aller Regel nicht einmal wissen, wer sie da so zurichtet und warum), der Rape-and-Revenge-Film (vergewaltigte Frau nimmt blutige Rache und verabschiedet sich mit der großen Geste) – und schließlich der moderne Zombiefilm, das Genre, das eine Zeit lang die Drastik-Skala beherrschte.

In der Hölle wurde es zu eng, und die Leichen kehrten als somnambule Untote auf die Erde zurück, um Menschen zu zerfetzen und durch ihren Biss selber in Zombies zu verwandeln. Der Zombiefilm zerfiel im Lauf seiner nun schon wieder bald fünfzigjährigen Geschichte in weitere Subgenres: Nazi-Zombiefilm, Zombie-Komödie, der philosophische Zombiefilm (der Zombie als Problemfall der Subjektphilosophie), Teenager-Zombiefilm (der Zombie bin ich), tragischer Zombiefilm, derzeit erfolgreich mit Maggie, wo niemand anderer als Arnold Schwarzenegger das Porträt eines verzweifelten Vaters gibt, der seine Tochter an die Zombie-Seuche verlieren wird – und schließlich: die Zombie-Apokalypse – die Welt wird von den Zombies beherrscht, nur wenige Menschen haben sich retten können. Sie wollen überleben, gewiss, und deswegen ist beinahe jedes Mittel recht, Zombies zu eliminieren. Zugleich steht da eine andere Frage im Vordergrund: Wie viel Menschlichkeit kann man retten?

Auf die kindliche Unschuld ist kein Verlass

Davon handelt die weltweit erfolgreichste Horrorserie, The Walking Dead, deren Bedeutung für die universale Pop-Mythologie allenfalls von Game of Thrones erreicht wird. Beide sagen dasselbe, beide dringen zum Kern des modernen Horrorfilms vor: Das Projekt Gesellschaft ist gescheitert, an der Gier und am Hass, unter anderem, die Beziehungen sind durch Gewalt und Verrat bestimmt, Helden von heute sind die Schurken von morgen und umgekehrt.

Die Grundvoraussetzung aller Fantastik ist auf den Kopf gestellt: Da geht es nicht um ein böses Anderes, das in eine Welt der normalen Guten eindringt; die Welt der Menschen ist das Böse, und unser Erstaunen gilt dem Umstand, dass überhaupt noch etwas Gutes aufscheint, hier und da. Und eine weitere Eigenschaft verbindet die Mittelalter-Fantasy Game of Thrones (wie alles begann) und die Endzeit-Zombiekatastrophe von The Walking Dead (wie alles endet, oder, wer weiß, wieder von vorn beginnt), nämlich dass inmitten der krudesten Gewaltszenen poetische Transzendenz wie kritisches Bewusstsein aufleuchtet.

Der moderne Horrorfilm kann gar nicht anders, als über sich und die Welt nachzudenken. Schmerz, Tod und Angstlust sind nur noch Begleiterscheinungen eines viel tieferen Grauens. Das Überleben ist mit der grausamsten Frage gekoppelt: Wozu eigentlich? Ist hier überhaupt noch jemand wert, gerettet zu werden? Nicht einmal auf die kindliche Unschuld ist Verlass. Und die Familie ist längst kein Hort der Geborgenheit mehr.

Die Kamera ist Teil der Katastrophe

In den siebziger und achtziger Jahren hatten Regisseure wie Joe Dante, Steven Spielberg und John Carpenter die Schwächen der Familien als Schutzraum aufgezeigt. In Wes Cravens Serie der Nightmare-Filme, in denen das Traummonster Freddy Krueger die Teenager im Schlaf umbringt, sind die Eltern nicht mehr bloß unfähig, die Kinder zu beschützen, es ist viel schlimmer: Sie selbst haben das Monster geschaffen, das ihren Nachwuchs quält. Der Zusammenbruch der Institution Familie und zugleich ihre absurde Unsterblichkeit werden auch noch in den Spukhaus-Filmen unserer Tage zelebriert, aber von jener trügerischen Wärme einer Mittelstandsfamilie in einer Suburbia-Siedlung, mit der aller Schrecken vor zwei Jahrzehnten noch begann, ist nicht mehr die Rede.

Natürlich hat das auch mit den neuen Techniken von Kommunikation und neuen Bild-Ästhetiken zu tun. Da es längst jene Ordnung von gemäßigtem Mainstream-Kino und schmuddeligem cineastischen Untergrund nicht mehr gibt, spielt das Konzept der schieren Provokation durch körperliche Gewalt und Ekel nicht mehr die Rolle wie in den Jahren einer mehr oder weniger funktionierenden moralischen Hierarchie. Im Jahr 2015 findet Mediensozialisation mit Fontänen von Blut, Entsetzensschreien und Kettensägenmassakern statt. Stattdessen besteht die Wirkung eines Genre-Films darin, Medienerfahrungen und Lebenswelten miteinander zu verbinden. In Form des wechselseitigen Vernichtens, versteht sich.

Seit Blair Witch Project oder Oliver Stones blutiger Satire Natural Born Killers spielt die Found-Footage-Ästhetik als Imitation von dokumentarischen und amateurhaften Techniken eine wichtige Rolle im Genre. Gewissermaßen als Gegenbewegung zu den unendlichen Möglichkeiten der digitalen Filmtechnik und den digitalen Völker- und Drachenschlachten der Fantasy. Man sieht im Horrorfilm so, wie man mit Überwachungskameras, mit Smartphones oder Videos für den Hausgebrauch sieht.

Das peinliche Video im Netz

In Filmreihen wie Paranormal Activity schlägt gleichsam der Wahn des Bildermachens auf seine Urheber zurück. Dokumentieren diese digitalen Alltagsbildermaschinen etwa die Gespenster in einem Haus, oder erzeugen sie sie überhaupt erst? Die verwackelte, unscharfe Kamera des Found-Footage-Horrorfilms erzeugt, wenn sie intelligent eingesetzt ist, die umgekehrte Wahrnehmung des klassischen Genres: Je mehr man es abzubilden versucht, desto mehr entzieht sich das Monströse.

Die Kamera ist Teil einer kognitiven Katastrophe. Und so, wie in den siebziger Jahren das Grauen in uns schlich, weil die Welt, die auf der Leinwand so furchtbar heimgesucht wurde, genau der entsprach, in die man nach dem Kinobesuch zurückkehrte, so schleicht das Grauen in uns durch die Found-Footage-Horrorfilme. Weil sie mit genau den Mitteln hergestellt zu sein scheinen, die wir im Alltag zu Kommunikation und Archivierung benutzen. Dieser dokumentarische Horrorfilm bindet das Genre an die Kinder von YouTube, Videoüberwachung und Cybermobbing. In der Videospiel-Adaption Dead Rising (2015, Regie: Zach Lipovsky), wieder einmal eine Zombie-Apokalypse, ist der Held ein „YouTube-Reporter“.

Der Film Unknown User (2015, Regie: Levan Gabriadze) nimmt die Computer- und Netzsucht auch in die Ästhetik auf: Wir schauen fast 80 Minuten lang vor allem auf Laptop-Bildschirme, aus denen die Geister nun nur noch kommen können. Das Internet Mobbing erzeugt die neuen Dämonen, in diesem Fall die für Laura Barns, die von ihren fiesen Freunden per Netz in den Tod getrieben wurde, und nun aus dem Reich der Toten zurückkehrt. Zunächst als „Troll“, dann als tückischer Chat-Teilnehmer, der die einstigen Freunde gegeneinander ausspielt, was schließlich im Tod der Teilnehmer gipfelt. Menschen sind nur via Skype zu sehen, gedreht wurde in einem Haus, in dem die Darsteller jeweils in verschiedenen Räumen vor ihren Bildschirmen saßen und gelegentlich auch improvisierend auf ihre Gegenüber reagieren mussten. Der Ausgangspunkt ist der neue Horror schlechthin, das „peinliche Video“ im Netz, das, wie hier, Menschen in den Tod treiben kann. Auch das Mobbing findet nun nicht mehr nur an einem realen Ort statt, sondern dringt in alle Sphären des Privatlebens.

Wir haben es begriffen: Im Horrorfilm offenbaren sich die sozialen Medien als Markierungen von Ausschluss und Opfer.

Es gibt eine doppelte Verschmelzung; neben der Verschmelzung von Horrorfilm und Videospiel auch eine von Horrorfilm und behavioristischem Psycho-Experiment. Immer wieder stellen die Versuchsanordnungen, die Menschen an verwunschene, postindustriell verlassene oder vollkommen abstrakte und simulierte Orte führen, Fragen wie solche: Wie weit würdest du gehen, wenn deine Rettung nur auf Kosten der anderen möglich wäre? Das ist die so vielen dieser experimentellen Horrorfilme unterliegende Meta-Frage, die der Junge in der apokalyptischen Welt von Cormack McCarthys Roman The Road und seiner Verfilmung an den Vater stellt: Sind wir noch die Guten? Und wie könnte das gehen in einer Welt wie der von The Purge, wo für eine lange Nacht der Gewalt einfach alles erlaubt ist?

Die Vertreibung des Menschen

Die Filme und Serien dieser Art gehen von Versuchsanordnungen und dysfunktionalen Gesellschaften aus; man beschreibt einfache sadistische Versuchsanordnungen wie in Saw, man konstruiert Folterarchitekturen wiein Cube oder schickt die Menschen wie in Lost auf eine einsame Insel, wo sie sich gegenseitig bekämpfen. Es stellen sich durchaus transzendentale Fragen: Wer oder was hat uns eingesperrt in ein Haus, zum Beispiel, dessen Ausgang mit einem Zündmechanismus verbunden ist? Und wie zum Teufel finden Menschen, die sich feind geworden sind, zu einem gemeinsamen Handeln?

Der neue Würgeengel, der bei Luis Buñuel die Menschen festhielt, ist im modernen Horrorfilm zu einer technischen und paranoiden Macht geworden. Hat er beim Surrealisten die herrschende Klasse erwischt, so richtet er nun den Schaden im Kleinbürgertum an: Diese Klasse, die für die Ökonomie beweglich sein soll, und die es doch kulturell nicht werden kann. Kein Wunder, dass ein neuer Krieg zwischen den Generationen beginnt, und dass der moderne Horrorfilm nicht mehr davon erzählen kann, wie durch das Bezwingen der Monster eine Versöhnung hergestellt wird, sondern davon erzählen muss, dass man nicht einmal die Hölle miteinander teilen kann.

Und es sind die Kinder von Deindustrialisierung, Arbeitslosigkeit und Prekariat, die keine Antwort mehr auf diese Frage bekommen. In Dark Souls (2013, Regie: C. Ducasse, M. Peteul) verwandelt ein Serienkiller seine Opfer vermittels einer Bohrmaschine in Zombies, die in ihr ursprüngliches Leben zurückkehren, wo sie in völliger Apathie weiterleben. Zombies, die niemanden fressen, niemanden angreifen, sondern durch ihr einfaches Dasein ohne Bewusstsein, ohne Träume, ohne Projekte schrecklich genug sind. Als Ursprung der Zombie-Plage erweist sich hier übrigens eine Fabrik zur Ölverarbeitung.

Das Monster ist die Normalität

Wie in vielen Filmen dieser Art ist die hanebüchene Handlung nur noch Vorwand für diese Bilder: Die Vertreibung des Menschen und des Menschlichen aus dieser Welt. Die Postindustrialisierung der Städte hinterlässt Brachen, aus denen die Ungeheuer nur entstehen können, wie im desolaten Detroit von Monsters – Dark Continent (2014, Regie: Tom Green). Das Genre schreibt eine negative Sozialgeschichte des Neoliberalismus. Schlimmer kann es nicht mehr werden, das ist der Stoßseufzer des kapitalistischen Realismus. Doch, sagt der moderne Horrorfilm. Es wird noch viel schlimmer.

Horrorfilme sind nicht nur die übliche Wiederkehr des Verdrängten, sie sind auch eine – sollen wir sagen perverse, auf jeden Fall obskure – Art der Trauerarbeit, was bei Meistern des Genres so pervers und so obskur nicht ist. Und sie sind Ausdruck eines Zorns, der keinen Gegenstand findet. Das eigentliche Monster in allen Horrorfilmen ist immer die Normalität: Es ist die Unfähigkeit zu trauern. Die Verdrängung des Abschieds. Im modernen Horrorfilm muss so viel gelitten und gestorben werden, weil man im realen Leben vom Leiden und vom Sterben so wenig sehen darf.

Während in den Slashern der siebziger und achtziger Jahre Teenager bestraft wurden, die es mit dem Sex, mit den Drogen und mit dem Rock ’n’ Roll übertrieben hatten, werden nun vor allem Angehörige der leisure class, Gören ohne Geldsorgen und blind gegenüber den Sorgen der niederen Schichten, gepeinigt. Managern, die ihren Job verloren haben, gönnt das Genre weder Einsicht noch Pause, und das Showbusiness macht alles noch schlimmer. Der Zerfall des Körpers unter den Bedingungen des Neoliberalismus ist das Thema von Filmen wie Eat (Regie: Jimmy Weber), der von einer glücklosen Schauspielerin handelt, die sich buchstäblich im Kampf um die Karriere selbst auffrisst.

Aber auch hier ist der Schrecken nicht das Handeln, sondern das Bild. Und natürlich ist Bernard Roses neuer Frankenstein ein Mensch aus dem 3-D-Drucker; und mehr noch: Auch er wechselt die Perspektive. Wir haben nicht mehr Angst vor dem Monster, wir haben Angst mit dem Monster.

Es ist eine Erzählform des neuen Horrorfilmes, nicht nur den Außenseiter zu präsentieren, wie wir es gewöhnt waren, sondern auch die sozialen Techniken der Marginalisierung. In den alten Horrorfilmen wirkte das Böse von der sogenannten guten Gesellschaft unbemerkt, in den neuen geht dieses radikale Ausschließen von Menschen direkt von ihr aus. Die Folge ist eine fundamentale Einsamkeit, und eine unauflösbare Verstörung.

Die neurotischen „Twilight“-Filme

Wer hilft in einer von allen guten Göttern und Menschen verlassenen Welt? Es können nur die Teenager selbst sein. Nicht mehr in der Form wie ein blutjunger Steve McQueen die Welt vor dem Blob rettete, sondern genau umgekehrt, indem sie eine Revolte gegen diese Welt führen. In den reichlich neurotischen Twilight-Filmen nach den populären Romanen der Stephenie Meyer lernen sie auf denkbar protestantische Art alles Vampirische und Werwölfische in sich zu kontrollieren, um gute Mitglieder der Gemeinde zu werden. Diese Gemeinde in den Romanen ist weiß, protestantisch und mittelständisch. Als in den Verfilmungen wenigstens am Rande auch afroamerikanische Kids auftauchten, ließen die Hardcorefans der Bücher einen Shitstorm los.

Twilight ist das beste Beispiel dafür, wie das eher subversive Genre in den Dienst von reaktionären, bigotten und rassistischen Lebensmodellen gestellt werden kann. Glücklicherweise entwickelte man dazu auch ein Gegenbild: True Blood, eine Vampirserie, die vor allem als Gesellschaftserzählung über den amerikanischen Süden und seine Diskriminierung von Rasse und Klasse funktioniert.

Im Zyklus der Hunger-Games-Filme dagegen muss die Heldin mit Pfeil und Bogen gegen eine korrupte, medialisierte und empathielose Gesellschaft antreten, die sich keine Mühe gibt, zu verschleiern, dass es genau die Welt aus Politik, Ökonomie und Fernsehen ist, in der man groß wird. Aber was bleibt der Hauptfigur, als sie mit eben ihren Mitteln (der medialen Manipulation etwa) anzugreifen? Teenager im Überlebenskampf in einer geschlossenen, bösen Welt. Immer geht es da um die Rebellion ausgestoßener und auserwählter Teenager und um rohe, profitorientierte Gesellschaftsformen, in denen sie zunächst dazu auserkoren scheinen, als Kanonenfutter oder Gladiatoren zu dienen. Immer aber auch führt die Revolte zu nichts als der Wachablösung, die garantiert, dass es mehr oder weniger genauso weitergeht.

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Mia Wasikowska in „Crimson Peak“ von Guillermo del Toro © Universal Pictures

Der Horror ist oft auch der Komik sehr nahe: Komik auf die Spitze getrieben ist der reine Horror, Komik nimmt umgekehrt dem Horror die Spitze. So entstand und entwickelte sich das Subgenre des Fun Splatter, das zur Kategorie der Partyfilme gehört und somit vor allem für den Heimgebrauch gedacht ist. Der „beste“ Fun-Splatter-Film ist jener, der betont und bewusst sinnfrei die Attraktionen von möglichst wenig bekleideten jugendlichen Körpern und den ewig wiederkehrenden Bildern von Blutbad und Ekel montiert. Fun-Splatter-Filme sind dazu da, meistens von Jungs mit Hygieneproblemen und enormem Bierkonsum gemeinsam genossen zu werden, wenn es gerade kein Fußballspiel gibt. Die einzige aber entscheidende Botschaft dieser Spielart des Horrorfilms lautet: Es ist nicht wirklich ernst gemeint. Vielleicht sind es in der Mehrzahl Filme für junge Menschen, die sich mit ihrem untoten Dasein bereits abgefunden haben.

Wird der Horrorfilm weiblicher?

Auffallend häufig im Horrorfilm seit dem Beginn des neuen Jahrhunderts ist die Geschichte von Müttern, die ihre Kinder aus den Fängen eines bizarren Jenseits oder vor dem Zugriff brutaler Männer retten müssen. Hänsel und Gretel selbst sind unterdessen zu Hexenjägern geworden, vermutlich um ihr Trauma zu bearbeiten. Überhaupt fanden sich eine Reihe von Märchen, mehrfach darunter Schneewittchen, einer Horror-Revision ausgesetzt, die ihnen genau das austreibt, was ihre Wirkung ausgemacht hatte: die geglückte Ablösungsfantasie. Im Horrorfilm werden aus den Figuren des fantastischen Übergangs zwangsneurotische Wiederholungstäter.

Aber hat die Wiederannäherung des Genres an das Märchen den Horrorfilm „weiblicher“ gemacht? Eher nicht.

Indes: Einige der schönsten und präzisesten Horrorfilme der letzten Zeit stammen von Filmemacherinnen, die sich nicht damit begnügen, wie die famose Kathryn Bigelow ein ausgesprochen männlich notiertes Genre zu erobern, sondern es als essayistisches Instrument verwenden, die bekannten Motive einer radikalen Neuinterpretation zu unterziehen.

Und ein ganz anderes Ergebnis holt auch Ana Lily Amirpour in A Girl Walks Home Alone at Night, 2014 in Zusammenarbeit mit der iranischen Filmproduktion entstanden: eine Geisterstadt in Amerika, oder auch ein iranisches Exildorf, Bad City, in dem Arash eine Ausnahme von den Gestrandeten und Kaputten zu bilden scheint. Eines Nachts begegnet er der Vampirin, die die Straßen von dem Abschaum befreit.

Eine bizarre Liebesgeschichte beginnt damit in diesem amerikanisch-iranischen Vampirwestern, der zugleich so etwas wie ein Aufbruchssignal für eine junge Generation in einer bedrückenden Kultur ist. Der Ton wird von der Band White Lies mit Death vorgegeben (die Heldin legt die Platte auf, während sich der zugedröhnte Mann im Dracula-Kostüm ihr nähert), und mit wallendem Tschador auf einem gestohlenen Skateboard unterwegs zu sein ist auch keine schlechte Appropriation. Alle Rollenklischees werden unterlaufen, von Religion, Gender und Tradition. Da beginnt eine neue Runde im Kampf zwischen Mainstream-Code und Horror-Subversion.

Hänsel und Gretel auf Hexenjagd

Ähnlich innovativ ist der australische Film The Babadook von Jennifer Kent: Da geht es einmal mehr um einen unausstehlichen Jungen, der einem von Anfang an auf die Nerven geht; die Mutter Amelia ist heillos überfordert, und will doch nur eine gute Mutter sein. Und da tritt der Babadook in ihr gestresstes Leben, das zunächst eher harmlos und liebevoll erscheinende Wesen aus einem Kinderbuch. Das Wesen nimmt nach und nach von Mutter und Sohn Besitz, als Metapher auf die Sorgen der alleinerziehenden Mütter.

Die Filme dieser Art verstehen sich auf andere Weise als realistisch; sie spielen mit den Genre-Versatzstücken, wollen aber doch mehr, vor allem nehmen sie die Figuren wie die Zuschauer wieder ernst.

So, wie wir gelernt haben, Horror als Abbildung sozialer und familiärer Deformationen zu sehen, deren Benennung ansonsten schwierig bis unmöglich ist. Die Geschichte selbst wurde gewissermaßen horrifiziert. Während der neue drastische Horrorfilm aus den Krisenjahren des vergangenen Jahrhunderts seine Gegenwärtigkeit oder seine nahe Zukünftigkeit (wie in den Alien-Filmen) betonte, befällt das Grauen nun Erinnerung und Geschichte. Abraham Lincoln war eigentlich ein Zombiejäger, Hänsel und Gretel mussten auf professionelle Hexenjagd gehen.

Eine besondere Rückbindung an historische und soziale Ereignisse ergibt ein rewriting des realen historischen Schreckens – besonders trashig in den Z-Filmen, die immer wieder Hitlers Zombie-Armeen aus Gräbern und Bunkern steigen lassen. Aber der wahre Schrecken der Geschichte ist subtiler. Guillermo del Toro ist ein Meister dieses Fachs; wenn er in Pans Labyrinth oder Devil’s Backbone die Geschehnisse von Bürgerkrieg und Faschismus insbesondere aus dem Blickwinkel der Kinder miteinbezieht, entsteht eine neue visuelle Theorie des Horrors: Horror ist dort, wo Märchen und Geschichte sich berühren. Eine wechselseitige Verletzung.

Die Unfähigkeit, zu sehen

Im Horror kann gesagt werden, was im Diskurs verborgen bleiben musste. Kind 44 (Regie: Daniél Espinosa), nur zum Beispiel, führt in die finsterste Zeit des Stalinismus und in eine hartnäckig verleugnete Serie von Kindermorden. In Underdog (Regie: Kornél Mundruczó) rotten sich in einem trostlosen Budapest die Hunde der Stadt zusammen, zugleich Metapher für Klassenkampf und Liebesdrama. Filme wie diese machen klar, wie sehr Horrorfilme auch dazu geeignet sind, als politische Schmuggelware zu fungieren. Es gibt einen internationalen Markt, den es für diskursive politische Filme eher nicht gibt, einen internationalen Code der Entschlüsselung ebenso wie einen Code, mit dem man unter dem Radar nationaler Zensurinstanzen bleiben kann.

Natürlich gehört der Horrorfilm zu jenen Filmarten, die besonders geeignet sind für Remakes, Sequels, Prequels und Spin-offs. Man mag, nur zum Beispiel, über die modernen Remakes der Klassiker aus den siebziger Jahren streiten, von Texas Chain Saw Massacre bis Tanz der Teufel, ebenso darüber, dass aus jedem halbwegs erfolgreichen Horrorfilm auch eine Fernsehserie werden muss. Die Sache hat allerdings einen seltsamen kulturhistorischen Nebeneffekt. Die Kids von heute betrachten die Angstbilder ihrer Eltern mit anderen Augen, wie man so sagt.

Ein vergleichbarer Effekt entsteht, wenn etwa in den traditionellen Halloween-Ausgaben der Simpsons auf Horrorfilme angespielt wird, die die jugendlichen Zuschauer eigentlich nie hätten sehen dürfen. Das Genre bietet neue semantische Transferleistungen, eine Sprache der Subversion und des Zynismus, der sich über die allgemeine Sprache des Mainstreams lustig macht, ohne, wie zuvor, an eine bestimmte jugendliche Subkultur gebunden zu sein. Ganz ähnlich funktionieren auch Austauschprozesse zwischen verschiedenen Bilderkulturen, vor allem zwischen der asiatischen, der US-amerikanischen und der europäischen Tradition. Der japanische Geisterfilm hat das immer noch amerikanisch dominierte Genre so sehr beeinflusst wie die Wiederentdeckung des europäischen Trashfilms (durch Meister wie Quentin Tarantino etwa).

Der Begriff des Metahorrors hat sich eingebürgert. Als intellektuelle Nobilitierung und Raffinesse für die einen, und für die anderen als Verlust; im Drastischen ist auch eine Form von Unschuld verborgen. Im Drastischen war der Zorn vollkommen echt, der cineastische Schlag in die Magengrube. Der Metahorror, also jener Horror, der sich erst über Horror-Chiffren entwickelt, der in seiner drastischen Art gleichsam auf einem Umweg auf den Körper zurückgreift, den man schon medial oder mechanisch überwunden glaubte, verlangt dagegen den Zuschauer, der weder bloßes Opfer noch bloßer Mittäter sein will. Jake Gyllenhaal spielt in Nightcrawler einen Reporter, der süchtig scheint nach Bildern von Tod, Gewalt und Verderben; und mit ihm wird sich der Zuschauer fragen müssen, was verdammt noch mal ihn oder sie so sehr an den Bildern des Horrors fasziniert.

Horror, das ist ein Film, der über die Unfähigkeit des Menschen meditiert, wegzusehen, wenn es um den Schrecken geht. Es ist aber auch eine Meditation über die Unfähigkeit, zu sehen. Horror ist der Film über das, was man nicht sieht, sondern giert, es zu sehen, während man vor Angst zittert, es zu sehen. Der erste Angriff gilt dem Blick.

Georg Seeßlen

Bild oben: Zombie-Sehnsucht: aus der Serie „The Walking Dead“ © Sky

Text zuerst erschienen in DIE ZEIT 23. Oktober 2015