Über das Menetekel von Japan

Die Trümmer ziehen im breiten Strom über Land. Die Schiffe schwimmen im Inneren des Landes. Die Autos treiben auf dem Wasser. Und die Atomkraftwerke brennen.

Diese Bilder sind wie die apokalyptische Verheißung der Schrift. Aber sie sind grausamer. Es sind keine literarischen Bilder, keine Metaphern.

Es sind wirkliche Bilder von wirklichen Menschen, die wirklich sterben. Von Atomkraftwerken, die wirklich brennen. Und sie sind eine Warnung. Eine Warnung, die wieder ignoriert werden wird.

In einer der Anlagen hat das Kühlsystem versagt. Das zieht im schlimmsten Falle die Kernschmelze nach sich.

Alles, was Menschen je erfunden und gebaut haben, hat schon einmal nicht funktioniert. Autos bleiben stehen, Flugzeuge stürzen ab, Schiffe gehen unter. Nur beim Atom gehen wir davon aus, dass es nicht geschehen wird.

Das den der Atomkraft innewohnenden Schrecken euphemistisch neutralisierende Wort heißt Störfall. Wenn es so schlimm kommt, wie es möglich ist, dann ist die Konsequenz eines Störfalls eine Apokalypse. Doch es müsste wohl schlimmer kommen, als wir es uns bislang vorstellen können, damit die Menschheit Konsequenzen zöge. Zum Beispiel die, mindestens in erdbebengefährdeten Gebieten keine Atomkraftwerke mehr zu betreiben.

In Japan, heißt es, seien diese Anlagen absolut sicher.

Die Titanic, hieß es, sei absolut unsinkbar.

Absolut ist wohl nur die Unbelehrbarkeit. Der schlimmste Störfall ist die verdrängende Verfasstheit des Menschen. Es ging doch immer bisher, irgendwie.

Jean Cocteau wurde einmal gefragt, was er, wenn es brenne, aus seinem Haus tragen würde. Das Feuer, entgegnete er. Wir hingegen, wir fachen es lustig an.


Text: Henryk Goldberg

Text erschienen in Thüringer Allgemeine, 12.03.2011