Henryk Goldberg stöhnt unterm Joch der Religion

Na, was haben Sie am Montag gemacht? Gearbeitet? Ich auch nicht, es war der letzte Urlaubstag. Aber er wurde nicht vom Urlaubskonto abgezogen. Wir hatten ja Feiertag.
Wir Protestanten.
Was, Sie sind kein Christ? Wie, Sie besuchen keinen Gottesdienst? Und haben dennoch nicht gearbeitet? Wie haben Sie sich gefühlt, als Atheist auf diese Weise dem Diktat der Kirche unterworfen zu werden? Wie gehen Sie um mit dieser Enteignung Ihres Willens, mit dieser weltanschaulichen Fremdbestimmung durch eine christliche Regierung?

Ihr Arbeitgeber, nehme ich an, hat Ihren Antrag auf Arbeitserlaubnis an diesem Feiertag, der nichts Feierliches hat für Sie, brüsk und ohne jedes Verständnis abgewiesen. Oder haben Sie diesen Antrag gar nicht erst gestellt? Das verstehe ich gut. Schließlich, wir einfachen Arbeitnehmer können es uns nun mal nicht leisten, unsere Arbeitgeber zu verärgern. Und so haben wir uns am Montag stöhnend unters Joch der Religion gebeugt.

Nein, Sie habe ich nicht gemeint. Ich habe auch nicht jene gemeint, die den Besuch des Papstes und die Berichterstattung darüber in dieser Zeitung kritisch diskutiert haben. Ich habe die gemeint, die im grundhaften Zusammenhang mit Religion nur von „Spinnern“, „Wichsern“ und „Pfaffen“ schäumten. Wie haben Sie diesen schlimmen Tag verbracht?

 

Henryk Goldberg in Thüringer Allgemeine, 02.11.2011

Bild: Flugblatt (16. Jahrhundert) zum ersten Gedenken der Veröffentlichung der Thesen Martin Luthers 1517