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Carol O’Connell

Eine Polizistin namens Mallory

Die Frau mit den grünen Augen

Es sind Bücher, die am Ende trotz aller Lösung auch Rätsel hinterlassen, die Schatten werfen, ein Echo anklingen lassen, das Dunkle anrühren und das Helle zugleich. Warum betrachtet man sich Bilder von Hieronymus Bosch? Wozu hat er sie gemalt, die Szenen einer Welt in Flammen, mit apokalyptischen Figuren, die trotz klarer Konturen rätselhaft sind und bleiben? Carol O’Connell schlug sich in New York mit Gelegenheitsjobs durch, sie hatte in Kalifornien und Arizona Kunst studiert, malte surrealistische Bilder, arbeitete als Bedienung, Barkeeperin, Korrektorin – bis sie eines Tages merkte, dass sie mehr schrieb als malte, dass das Schreiben vielleicht ihr Ding sei. Und dann hatte sie, 46 Jahre alt, die Idee, ihr Manuskript an den britischen Verlag Hutchinson zu schicken. Der sicherte sich die Weltrechte. So kam Mallory (von der gleich die Rede sein wird) nach New York zurück. Wer weiß, wie die New Yorker Verlage auf eine Serie mit einer psychopathischen New Yorker Polizistin reagiert hätten? Hätten sie das Potential gesehen? Einen schreibenden, weiblichen Hieronymus Bosch erkannt?

Mallory ist knallhart. Unhöflich. Eigenwillig. Starrköpfig. Gnadenlos. Ihre Welt ist ein Dschungel. Denen, die sie mögen und ihr helfen, macht sie es schwer. Aber sie ist auch unendlich loyal, geht für ihre Freunde durchs Feuer. Sie ist eine Psychopathin, emotional beschädigt. Es braucht einige Bücher, bis wir uns ihre Kindheit zusammenreimen können. Sie war acht, als der Polizist Louis Markowitz und seine Frau Helen das wilde, verwaiste Straßenkind aufnahmen. „Noch Jahre später“, heißt es in „Such mich!“ über ihren Pflegevater, „als sie einander schon sehr nahe waren, griff er sich, wenn Kathy ihn so anlächelte, an die Gesäßtasche, um sicherzugehen, dass seine Brieftasche noch da war.“

Zu Beginn des ersten Mallory-Romans („Ein Ort zum Sterben“/ Mallory’s Oracle) wird dieser Pflegevater ermordet. Mallory, eine menschenscheue Computerspezialistin, wird alles daran setzen, den Mörder zu finden.

In der ersten Szene dieses ihres ersten Buches begeht ein Dobermann Selbstmord, indem er in vollem Anlauf aus dem fünften Stock eines Hauses springt. Am Ende des Buches wissen wir, vor wem er sich fürchtete und warum. Aber es bleiben Fragen. Es bleibt Interesse. Die surreale Welt, die Carol O’Connell vor uns ausgebreitet

hat, betreten wir gerne wieder und wieder. Den Charakteren, mit denen sie uns vertraut gemacht hat, begegnet man gerne erneut. Etwa dem zum Privatdetektiv gewordenen Charles Butler, häßlich und clownhaft, väterlich unsterblich in Mallory verliebt, sein Onkel ein großer Magier, über den wir mehr und mehr erfahren. Oder Sergeant Riker, einem zottigen Bär in einem schlecht sitzenden Anzug, Mallorys Schutzengel, und ein Alkoholiker dazu.

Carol O’Connell versteht es geschickt, Neugier zu wecken und Interesse. Stilistisch wie erzählerisch bleibt sie unkonventionell, sie überrascht immer wieder, sie schockiert auch und stellt moralische Festigkeiten in Frage. Wohin solch eine Buch-Reise mit Mallory geht, vermag man nie mit Gewißheit zu sagen. Es sind Kriminalromane, die bis zur letzten Zeile spannend und überraschend sind. Und ich beneide all die, die sich jetzt (erst) aufmachen, den Mallory-Kosmos zu entdecken.

Der btb-Verlag hat den ersten Mallory-Krimi „Ein Ort zum Sterben“, der 1995 als „Mallorys Orakel“ erschien, nun neu herausgebracht. Gleichzeitig liegt im selben Verlag das bisher letzte Mallory-Buch vor: „Such mich!“. In dem ist Mallory aus New York verschwunden, in ihrer Wohnung eine Frauenleiche und ein gegen sie gerichteter Verdacht, während die rätselhafte Polizistin nach Westen fährt, auf der alten Route 66, ihrem verloren geglaubten Vater entgegen, der vielleicht ein Serienmörder ist.

Auch hier begegnen wir ihrem Ziehvater Louis Markowitz. Vergangenheit und Gegenwart greifen oft ineinander, denn jeder ihrer Figuren hat eine wilde und noch nicht zu Ende gebrachte Geschichte.

„Sie war wirklich verdammt hübsch mit ihrer milchweißen Haut, den Katzenaugen und den langen roten Fingernägeln. Fast übernatürlich hübsch. In echt sah aus der Nähe kein Mensch so gut aus. Wahrscheinlich ist sie gar nicht von dieser Welt“, denkt ein Tankwart in „Such mich!“, der ihr den auf den Rahmen eines 911 Twin Turbo Porsche montierten VW-Käfer repariert, mit dem

sie auf einem wirklich scharfen Ritt über die Route 66 ihrer Vergangenheit entgegen jagt, „sondern kommt von irgendwo hinter dem Mond… Noch nie hatte er so grüne Augen gesehen. Hätte man ihn gebeten, die Farbe zu beschreiben, wäre er ins Grübeln gekommen. Elektrisch aufgeladen, hätte er gesagt… Die eiskalten Augen hatten ihn im Visier wie die Katze die Maus.“ Und später: „Was bedeutete Schweigen auf ihrem Planeten – ja oder nein?“

Vor etlichen Jahren war Carol O’Connell in der Frankfurter „Wendeltreppe“ (übrigens eine der schönsten Krimibuchhandlungen Europas) zu Gast, um aus ihren Büchern zu lesen. Neben all dem Vergnügen, das ein Autor bei einer Lesung empfinden mag, artikulierte sie selbst eines als ein besonderes: nämlich das auch in Frankfurt feststellbare Staunen des Publikums darüber, eine welche kleine, unscheinbare Person sie doch sei, so ganz und gar anders als Mallory. „Da sehen Sie, dass es nicht wichtig ist, wie ein Autor aussieht oder wie groß er ist. Wichtig ist, was er in sich sieht und sich ausdenkt.“


Carol O’Connell – Die Mallory-Romane:

Mallory’s Oracle (1994)

The Man Who Lied to Women (UK) / The Man With Two Shadows (US, 1995)

Killing Critics (1996)

Stone Angel (1997)

Magic Men (UK) / Shell Game ( US 1999)

Crime School (2002)

Dead Famous (UK) / The Jury Must Die (US 2003)

Winter House (2004)

Shark Music (UK) / Find Me (US, 2006)

Text: Alf Mayer