1. Narren und Menschenfeinde

Die Entwicklung eines Typus, der bei Shakespeare und Molière beginnt, der Misanthrop, der bittere Narr, der Unversöhnte, der weiß, dass er keine Chance hat, weder zum Aufstieg noch zur offenen Rebellion. Er nistet sich im Leben seiner Familien und seiner Institutionen ein, als Störenfried, als tückischer Inszenator kleiner Intrigen, aber auch als einer, der mehr Wahrheit aussprechen kann, als es den optimistischen oder tragischen Helden gestattet ist.

Die Figur erfährt dann ihre Präzision als österreichischer Archetyp, danach bei Raimund und Nestroy, die radikalen Verneiner und die „Querulanten“, was bis hin zu den Thomas Bernhardschen „Geistesmenschen“ reicht. In Hans Moser wird dieser Typus zugleich fortgesetzt und in einen harmonischen Kontext eingefügt. Es zeigt sich immer, dass dieser Doppeltypus, der (klein-) bürgerliche Menschenfeind, der groteske Diener und Dienstmann, der jede Dienstleistung sabotiert, es gar nicht böse meint. Im Querulanten muss nur der Gemütsmensch entdeckt und gefördert werden. Aus dem Opponenten und „Störenfried“, dem Außenseiter, wird bei ihm ein Teil der Familie und der Gemeinschaft.

Diese volkstümliche Versöhnung lässt den Typus freilich in beide Richtungen offen. Immer noch etwas steckt in ihm etwas von dem theatralischen Misanthropen, dessen geheimer Wunsch nichts anderes ist, als seine Umwelt zu plagen und ihr unversöhnt zu bleiben. Aber zugleich ist er auch derjenige, der nun seinen Platz gefunden hat, ein Diener, der seine Herren nicht kritisiert, sondern unterstützt, schließlich einer, der die Hilfe der anderen annimmt, so wie er selber Hilfe gewährt.

Natürlich kann man diese Versöhnung in einen ideologischen Kontext stellen: Die Geschichte einer spezifischen Form der Opposition wird zurückgeschrieben, Familie und Volk saugen den Querulanten auf. Aber sie geht auch weit darüber hinaus. Dieser Versuch der Versöhnung ist zu menschlich, um im faschistischen Kontext der „Volksgemeinschaft“ aufzugehen.

Es gibt zwei Szenen in Hans Mosers Filmen, die noch heute zutiefst berühren. Das ist zum einen der Augenblick, in dem das Unversöhnte, das Menschenfeindliche, das unheilbare Leiden an der Welt und an der Gesellschaft, der Ausdruck eines „verstümmelten Menschen“ so heftig aufbricht, dass man an keine Versöhnung glauben mag. Und das ist zum anderen jener entgegengesetzte Augenblick, in dem der Hans Moser-Mensch von einem zärtlichen und glücklichen Überschwang, der grenzenlosen Freude am Glück anderer Menschen (vor allem der Kinder) über alle seine Bedenken hinweggetragen wird. Und auch hier weiß man, dass dieser Impuls falsch ist und vor allem dem einstigen Menschenfeind schaden wird: Gerade weil er diese Zärtlichkeit in sich hat, geht der Moser-Typus über das Bühnenfach des Querulanten und Misanthropen psychologisch so weit hinaus. Es ist eben nicht heimlicher Sadismus oder gekränkter Narzissmus, der ihn in die kleinen Katastrophen der Kommunikation treibt, sondern eine Sehnsucht nach Glück.

So sucht er sich zwischen bitterer Menschenfeindschaft und zärtlichem Überschwang einzurichten, was ihn immer wieder zum Objekt der Intrige macht. In banalen Filmen oft, die ihre größte Energie darein setzen, ihre verborgenen Tragödien zu maskieren.

2. Hans Moser und der Wiener Film

Die Filme haben eine spezifische Erzählweise, eine Ikonographie, in der Hans Moser eine notwendige Rolle zwischen Tradition und Moderne hat. In der sentimentalen Konstruktion eines Traumreiches ist er gerade durch seine aufgeregte Verwirrung, sein Missverstehen, seine Funktion des Bremsens bei allzu schnellen Veränderungen, ein Element der Authentizität. An ihm wird im Genre exemplifiziert, wo Anti-Modernismus komisch wird, und zugleich gehört er zum Vorrat an „Ewigkeit“.

Das kommt vor allem im Ensemble-Spiel zum Ausdruck. Das Gemütliche und das Aggressive spiegeln sich ineinander, und was die Modernisierungsfabeln anbelangt, gibt es bemerkenswerterweise nicht den geringsten Bruch zwischen den Wienerfilmen der Nazi-Zeit und den Auftritten im bundesdeutschen und österreichischen Nachkriegskino. Hans Moser wird mitgenommen von der Zeit, obwohl man ihn behandelt wie ein Objekt der Vergangenheit, ein Relikt, ein Schatz historischer Unschuld. Aber anders als die bundesdeutschen Relikte (zum Beispiel die bajuwarischen Komiker im Heimatfilm, die komische Rückständigkeit à la Beppo Brem oder ebenso komischen Opportunismus à la Joe Stöckl ausdrücken) bleibt dieser Wiener Typus in gewisser Weise „heilig“ und auf jeden Fall moralisch unantastbar.

Der Wiener Film ist aber natürlich auf der anderen Seite die mythische und ökonomische Begrenzung, eine Vor-Schrift der Genres und ein Produktionszusammenhang, der nur wenig größere Abweichungen, aber unzählige Nuancen zulässt. So entsteht ein audiovisuelles Traumreich, in dem zwar eine Reihe von Mythen spuken, in dem aber kaum etwas zum Bewusstsein kommen kann. Das Genre verbirgt den Typus auch, und Moser hat keineswegs immer der Versuchung wiederstanden, seine Gestalt ab- und auszuliefern.

3. Das Biografische

Ohne allzu viel Interpretationsarbeit kann man in einer Reihe von Filmen die persönliche Tragödie des Schauspielers, sein Leiden, seinen familiären Verlust in der Nazi-Zeit, durch seine Rollen durchschimmern sehen. Vor dem Hintergrund seines Lebens könnte man viele seiner Komödien als Tragödien sehen, als Darstellungen von unterdrücktem Schmerz.

Zur gleichen Zeit ist die Spannung zwischen der Maske und dem Leben auch Beispiel für die Struktur eines „normalen“ Lebens unter den Bedingungen der terroristischen Herrschaft. Zwanghaft komisch sein, das ist für Moser eine direkte Erfahrung in einer Film-Industrie, in der es nur wenig Vertrauen geben konnte.

Auch in der Nachkriegszeit ist die biografische Tragödie nicht bearbeitet worden, die Unterhaltungsmaschine greift mit einer bewusstlosen Gier nach dem Typus, der nun auch doppelt codiert ist: paradoxerweise auch als Wiederkehr und Erhaltung der „heilen Welt“ des Nazi-Kinos.

So wie sich Typus und Biografie entsprechen ist auch hier keine Rebellion, kein Einspruch möglich. Die neuen Misanthropen und Querulanten (wie Helmut Qualtinger) fangen vor dem Prozess der Versöhnung wieder an und ziehen neue Kraft und neuen Zorn aus eben der Unfähigkeit der österreichischen Kultur, eine Form von Vergangenheitsbewältigung zu betreiben. Hans Mosers Biografie setzt ihn wieder ins Dazwischen.

Es gibt wenige Komiker, bei denen das Altern so sehr Thema wird.

4. Schauspielerische und komödiantische Techniken

Wenn die amerikanischen Komiker gleichsam durch ihre Bewegungen auch die Kamera zur Bewegung zwingen, und der Bewegung beider sogar einige wundervolle Pointen abgewinnen, und wenn die französischen Komiker gleichsam imaginäre Räume um sich bilden (ein Milieu, keine Bühne), scheint Moser zunächst eher statisch. Was ihn freilich vom Bühnenhaften unterscheidet ist sein Bewusstsein der Kamera.

Oft genug gibt es ein imaginäres Gegenüber des (abgewendeten) Missgeschicks. Moser spielt in seiner Performance die Tiefe aus. Er bringt gewissermaßen die von seinen Mitspielern besetzte Bildachse in Bewegung.

Dem entsprechen die Techniken der Verzögerung oder der Beschleunigung. Es scheint, als wolle jemand eine Situation daran hindern, sich aufzulösen.

Eine besondere Bedeutung kommt dem Verhältnis von Bewegungsmelodie und Schnittfolge zu. Sie verhält sich wie eine reine Gegenwärtigkeit zu vergangener Erzählzeit.

Die Masken von Hans Moser benötigen ganz selten ein Element der „Verkleidung“ und beinahe nie eines der Travestie. Der Typus kann sich ein „nacktes Gesicht“ leisten.

Er ist kein sozusagen von natur aus komischer Mensch, dass er ein „verstümmelter Mensch“ ist, von Erlösungsbedürftigkeit und Aggression geprägt, wie jeder Komiker, wird immer erst in der Situation deutlich. Nie überschreitet die Deformation von Sprache, Physiognomie, Kommunikation die Grenze zur Würdelosigkeit; verborgen ist in der komischen Persona Moser nicht so sehr das kindisch-gierige Es, das sich gegen Disziplin und Sitte durchsetzt, weil auch das Ich nicht „Herr im Haus“ ist, es ist vielmehr ein unterdrücktes Ich, das sich gegen Regeln und Ordnungen wendet, wo sie selber absurd werden. So fehlt ganz das Obszöne und Kindische anderer Komiker, komisch ist oft genug im Gegenteil die Situation, in der sich der Moser-Typus erschreckt vor einer Umwelt zurückzieht, die dem obszönen und kindischen verfallen ist. Wenn Mosers Aufgeregtheit und Gehemmtheit komisch ist, dann ist sie es durch die Provokation der komischen Welt.

5. Sprache und Musik

Eine eigene selbstreferentielle Poetik der unvollendeten oder in Retardierungen und Wiederholungen befangenen Sätze, eine Kunst des Abbrechens und Verstummens: Sprache, die sich an der Umwelt dehnt und staucht, oft genug: Sprache im Zustand von Unterdrückung und Explosion/Implosion, Sprache im Zustand der Materialität.

Je verständlicher er spricht, desto „fälscher“ ist seine Rede. Sprache ist ihm selbst ein Unterdrückungselement, ein Ungeheuer, das er nur oberflächlich gebannt hat.

Die Sprache ist es, die den verborgenen Menschenfeind verrät, die Sprache ist es aber auch, die die Sehnsucht nach einer zärtlichen Verschmelzung ausdrückt (beides mal gerät die Sprache an den Rand ihrer Materialität, Stottern, Glucksen, Nuscheln, Schreie, die den Urheber selbst erschrecken, auf der einen Seite, ein Grunzen, Lachen, Zischen, Schnurren auf der anderen Seite).

Nur wenn sie als Musik (an)erkannt ist, wird Mosers Sprache von seiner Umwelt (und von ihm selber) akzeptiert. Dann fließt sie in den allgemeinen Diskurs der Sentimentalität; als Sänger ist Hans Moser niemals böse. Er singt keine Spottlieder, hat sich vollkommen vom Menschenfeind in sich befreit, ist reines Glück und, ganz anders als etwa sein Kompagnon Hörbiger dabei nicht auf den Zuspruch des Publikums, sondern auf das Echo in sich selber aus. Er muss zwar zum Gesang genötigt werden, aber wenn er begonnen hat, ist er ganz bei sich, kommuniziert nun in vollkommener Unschuld. Musik ist bei ihm nicht der Augenblick, in dem man indirekt kommuniziert (wenn man etwas sagen will, was man in der gewöhnlichen Rede nicht ausdrücken kann), sondern im Gegenteil die Rückkehr zur reinen Natur.

Moser, der nie parodiert, ist selber Objekt der Parodie, und darin (wie bei Peter Alexander etc.) Opfer eines letzten Aktes von Verharmlosung und Banalisierung. „Der Moser Hans stimmt mit ein“… ist wie ein Programm, nur die Heurigenseligkeit übrig zu lassen.

Text: Georg Seeßlen