423px-Ritrat_ad_Rainer_Werner_Fassbinder_SW.svgHeute wäre Rainer Werner Fassbinder unvorstellbare 65 Jahre alt geworden

Volker Schlöndorff inszeniert Baal, 1969, die letzte Szene, der Tod. Der Sterbende bittet die Holzfäller noch die dreißig Minuten zu bleiben, er will sich beeilen. Sie lachen und gehen, so stirbt er einen einsamen Tod. Der Darsteller des Baal heißt Rainer Werner Fassbinder.
Dreizehn Jahre später, am 10. Juni 1982 wird er interviewt, zu Hause. Später findet seine Freundin die Leiche des dicken Mannes, der allein war, als er starb, 37 Jahre alt.
RWF ist ein glänzender Regisseur, über vierzig Filme in dreizehn Jahren, Stücke, Inszenierungen, eine singuläre Erscheinung. Zur Ikone aber, zur Kultfigur erhob ihn nicht sein künstlerischer Rang. Der RWF-Kult spart die Filme nicht eben aus, doch kristallisiert er sich um das Gesamtkunstwerk RWF. Live hard, die young. Schlafen kann ich, wenn ich tot bin. Er lebt ein intensives und kurzes Leben, dann geht  er. Die Ballade vom Manne Baal, der verzweifelt Welt in sich schlingt um am Ende sich selbst auszuspeien, eine wahre Geschichte.

1967 taucht ein schmächtiger etwas schmuddeliger Mann von 22 Jahren in einer Münchener Kneipenbühne auf, das action-theater. Er bietet sich an, eine Rolle zu spielen, eine Regie, noch eine  und dann ist er, wie selbstverständlich die Mitte der Gruppe, der geborene Führer, eine charismatische Persönlichkeit, die alles vereinnahmt. Ein Jahr darauf, 1968, als sie auf der Straße die Republik verändert, da bleibt er im Theater. Doch dann, 1969, beginnen die dreizehn Jahre des RWF. Wie Baal, wie ein Naturereignis beginnt er, durch die deutsche Kulturlandschaft zu walzen.

Vier Spielfilme macht der 24-jährige in diesem Jahr, vier Theateraufführungen, im kommenden Jahr werden es sechs Filme sein. Der Motor dreht hoch, ständig am Limit. RWF verschleißt Freunde und Kollegen, Männer und Frauen wie sich selbst. Er schart den Clan um sich, Irm Hermann, Hanna Schygulla, Peer Raben, Kurt Raab;  seine Geschöpfe, überwältigt von der charismatischen Energie des Mannes.  Es scheint ein wenig wie bei dem jungen Brecht. Indessen, wo dieser seinen Ruhm organisiert wie ein mathematisches Problem, da lebt jener das Chaos. Brecht anerkannte ein Tabu der Zerstörung, sich. Fassbinder kennt diese Grenze nicht. Die Titel seiner Filme sind auch Nachrichten über ihn: Liebe ist kälter als der Tod, Angst essen Seele auf.  RWF hat so etwas wie eine Gegen-Historie der Bundesrepublik geschaffen, gegen das aufstrebende Gemeinwesen setzt er seine individuellen Katastrophen. Das hat, beginnend mit Katzelmacher niemand so konsequent getan, mit solch einer Präzision der Beobachtung, einer Lakonie der Sprache.
Ergänzt um seine Nachkriegstrilogie (Die Ehe der Maria Braun, Lola, Die Sehnsucht der Veronika Voss) und Lili Marleen macht ihn dieses Oeuvre zum Chronisten. Diese Filme addieren sich zu einer Art Gegenöffentlichkeit, weit hinaus über die Maßgaben des Ästhetischen.

Der Druck, die Angst, die Unruhe, sie waren wohl der Quell seiner Kreativität. Er hat sich selbst verfeuert wie Holz im Kamin auf der Suche nach Wärme, er war der Preis, den er zahlte für seine Kunst. Er hat seine Antibürgerlichkeit nicht als Attitüde getragen und nicht in Kunst kanalisiert, er hat sie gelebt, hat sein Werk beglaubigt durch sein Leben. Kunst, wenn sie denn mehr ist als Illustration und Handwerk, entsteht im Schnittpunkt von Talent und Biografie. Die schneidende Kunst, die schmerzende, entsteht, wo Kunst das letzte Bollwerk ist vor Tod und Einsamkeit.

Berlin Alexanderplatz, ein Denkmal europäischer Fernsehgeschichte, ein Wunderwerk. Die Sehnsucht, sagt die Frau und schaut irgendwo hin, vielleicht in die Leere, die in ihr ist, frißt das Fleisch unter der Haut weg. Dann kommt ein langsamer, trauriger Schnitt. RWF wusste immer, was er
unterstrich.

Autor: Henryk Goldberg

Rainer Werner Fassbinder starb am 10.Juni 1982