Helga Göhring in „Die große Reise der Agathe Schweigert“

Sie starb bereits am 3. Oktober in einem Berliner Pflegeheim, 88 Jahre alt. Wer will, mag darin ein Stück Symbolik sehen: Die Schauspielerin, die Millionen unterhielt, starb unbemerkt von der Öffentlichkeit.

Und sie starb an jenem Tag, der das Ende des Landes bezeichnet, in dem sie ein Liebling des Publikums war. Denn sie war so, wie die DDR gern gewesen wäre. Ohne Zweifel, Helga Göring war eine richtige, eine gute Schauspielerin. Sie spielte in den frühen 50-iger Jahren in Dresden unter Martin Hellberg das Gretchen, sie spielte die Johanna, sie spielte so ziemlich alles, was die Literatur hergibt für eine junge Schauspielerin, die über Talent verfügt und Glück. Martin Hellberg, der später bis zu seinem Tode in Bad Berka lebte, war es dann auch, der sie 1951 für das Kino holte, „Das verurteilte Dorf“, es folgte „Stärker als die Nacht“ und anderes. Starke, leidende Frauen.

Aber seltsam, kaum einer wird bei der Erinnerung an Helga Göring an eine junge Frau denken, kaum einer wird sich je vorgestellt haben, wie diese, mit allem Respekt gesagt, Alte wohl als Junge war. Es ist in der Erinnerung, als wäre Helga Göring schon immer diese gütige ältere Frau gewesen, diese Mütterliche, um die stets die natürliche Wärme eines Menschen war, in dem nichts Arges ist. Dabei, man muss nicht schon in den 50-iger Jahren Theater oder Kino besucht haben, um zu wissen, dass diese Frau eine richtige Schauspielerin war. „Die große Reise der Agathe Schweigert“ etwa (1972) nach Anna Seghers war ein überzeugender Nachweis ihrer Schauspielkunst. Und das Fernsehen der DDR begründete und pflegte eine Tradition der gediegenen Literaturverfilmungen.

Diesem Fernsehen und seiner Besonderheit verdankte Helga Göring, dass ihr Talent sie in eine ganz besondere Popularität trug, eine Popularität, die sich kein Theaterschauspieler zu erwerben vermag. Es ist die Popularität der Schauspieler, die von dem Gefühl getragen werden, Teil der Familie zu sein, die zu Hause vor dem Fernseher versammelt ist, ein Bier, ein Likör, bisschen was zu knabbern. Nicht jene Helden, die jung & schön & stark sind, die ihre Abenteuer in fernen Ländern bestehen. Nein, das ist diese Hallo-Frau-Nachbarin-Popularität, es sind die diese „Geschichten übern Gartenzaun“, es sind die Geschichten von Leuten, die leben wie irgendein Du mit irgendeinem Ich, nur ein bisschen besser, ein bisschen freundlicher. Diese Geschichten reüssieren überall, in der DDR waren sie zudem auch politisch erwünscht: Sie zeigten das Land, wie es sich selbst gern sah: Eine harmonische Landschaft, besiedelt von einer biederen Freundlichkeit, die am Ende jegliches Problem auflöst in Wohlgefallen. Und wie es, Traumfabrik Fernsehen, auch von seinen Bürgern zuweilen gern gesehen wurde. Zumal wenn es, nach den Maßgaben des Genres, gut gemacht war.

Doch auch, wenn dieser Erfolg, diese Popularität erwünscht waren – manipuliert waren sie nicht. Der Erfolg, den Helga Göring hatte war kein medial behaupteter, er wurde nicht von der Abteilung für Agitation und Propaganda verfügt. Diese Schauspielerin war tatsächlich ungemein beliebt, populär in einem Maße, das den Gebrauch des oftmals verhurten Wortes Volksschauspielerin angemessen erscheinen lässt. Acht mal wurde sie zum Fernsehliebling gewählt, nicht von den Wahlhelfern, sondern von ihrem Publikum, das sie liebte und sie trug. Von 1961 an gehörte sie 30 Jahre zum Schauspielensemble des DDR-Fernsehens. Ein solch stehendes Ensemble gab es in keiner westlichen Anstalt, das war eine Frage der Kosten. Und eine Verführung war es auch für Schauspieler.

Gewiss, die Geschichten übern Gartenzaun und die rastlosen Rentner -„Rentner haben niemals Zeit“ war ein geflügeltes Wort in der DDR , diese Geschichten haben sie nicht an den Rand ihrer Möglichkeiten geführt, nur in die Herzen ihrer Zuschauer. Mehr, viel mehr, kann eine Schauspielerin nicht erreichen, wenn nicht die Kunst sondern das Publikum das Maß der Dinge ist.

Text: Henryk Goldberg