Artur Brauner produzierte Dramen, Romanzen und Dokumentationen. Er wusste, wie viel Kommerz nötig und wie viel Anspruch möglich war. Mit 100 Jahren ist er nun gestorben.

Artur „Atze“ Brauner, kein Zweifel, war ein Pionier des deutschen Kinos nach dem Krieg, und keiner hat wie er die Stärken und die Schwächen der Traumfabrik im Wirtschaftswunderland repräsentiert. Keiner hat so lange durchgehalten. Und keiner hat wie er auch in schweren Zeiten dieses ganz leicht abgründige Lächeln bewahrt.

1946 begann er seine Produzententätigkeit mit dem CCC-Konglomerat (Central Cinema Company) und bis zu Beginn der Neunzigerjahre wurden es 230 Filme, darunter viele, die emblematisch für das Nachkriegskino wurden: DIE HALBSTARKEN(1956), MÄDCHEN IN UNIFORM (1958) oder AM TAG ALS DER REGEN KAM (1959) – Filme, in denen es wahrhaftig rumorte. Ansonsten war natürlich vieles auch LIEBE, JAZZ UND ÜBERMUT oder ALT HEIDELBERG.

Ein Mogul war Brauner auch insofern, als er der Freiheit seiner Autoren und Regisseure enge Grenzen setzte. Weniger höflich gesagt: Er liebte es, seinen Künstlern ins Handwerk zu pfuschen und dabei hatte er auch vor wahren Meistern nur wenig Respekt, wie die Korrespondenz mit Fritz Lang zeigt, der für die CCC DAS INDISCHE GRABMAL und DER TIGER VON ESCHNAPUR (1958/59) drehte. Er selbst wiederum war in den Fünfziger- und Sechzigerjahren Wachs in den Händen der großen, vor allem der weiblichen Stars, die neben exorbitanten Gagen immer auch wieder Mitspracherechte bei Stoffen und Gestaltung verlangten und erhielten. Was so entstand, war gewiss kein Autorenfilm, vielmehr eine Traumfabrik, die, nachträglich betrachtet, vor allem ein kollektives Unterbewusstsein der Bundesdeutschen auf die Leinwand brachte. Und in diesem Unterbewusstsein herrschte Unruhe: Harmoniesucht und Sensationslust, Erinnerung und Verdrängung, Heile Welt und Verschwörungsparanoia, Modernisierung und Heimattümelei – all das umkreiste sich in der Kinowelt von Atze Brauner.

Enorme Finanzmittel für eine anachronistisch werdende Produktion

Das Geheimnis des Erfolgs von Brauner lag einerseits in der Querorganisation. Seine Filme konnte er bis zu einem gewissen Grad in seinen eigenen Braunerschen Ateliers in Berlin drehen. Und andererseits in der Mischung. Wenn Brauner ab und an ein künstlerisches Wagnis einging, dann nur, weil seine todsicheren Kommerzfilme ihm dafür die nötige ökonomische Basis lieferten. So entstanden durch Brauner zur gleichen Zeit Musikfilme mit Peter Alexander und Caterina Valente und Titeln wie LIEBE, TANZ UND TAUSEND SCHLAGER, Heimatfilme wie DU MEIN STILLES TAL, Literaturverfimungen wie DIE RATTEN nach Gerhart Hauptmann und eine Hommage an die Offiziere im Widerstand gegen Hitler, DER 20. JULI. Das alles, und einiges mehr, allein im Jahr 1955.

In ihrem Rekordjahr 1958 war Brauners CCC mit insgesamt neunzehn Filmen die produktivste deutsche Filmfabrik. Brauner konnte sich zugute halten, den Geschmack seiner Zeitgenossen ziemlich genau zu kennen. Dazu gehörten nicht zuletzt auch Remakes von Filmen, die zuvor schon bei der Ufa erfolgreich gewesen waren. Das reichte bis zu den MABUSE-Filmen oder einer Neuauflage der NIBELUNGEN, und bis zu Großproduktionen wie DSCHINGIS KHAN (1964) oder KAMPF UM ROM (1968), mit denen alle Produzenten gegen die Konkurrenz des Fernsehens und einen – auch für Brauners Filme – merklichen Besucherrückgang anzukämpfen versuchten. In dieser Zeit setzte Brauner ganz unüblich enorme Finanzmittel in eine anachronistisch werdende Produktion ein, während sich der Rest der Branche mit billigen Sex- und Klamottenfilmen zu retten versuchte. 

Artur Brauner wollte für sich und für Deutschland einen Kino-Traum bewahren. Zu retten war da aber bereits nichts mehr. Im Jahr 1970 musste Brauner einen großen Teil seiner Ateliers schließen.

Artur Brauner arbeitete an einer eigener Welt, ganz nach dem Vorbild der Studiobosse von Hollywood. Und vielleicht auch manchmal mit der gleichen Selbstherrlichkeit und mit der gleichen Herablassung. In seiner Autobiographie unter dem fast schon selbstverständlichen Titel MICH GIBT’S NUR EINMAL schrieb er 1976 über seine Leidenschaft für den Film: „Das steckt im Blut, rumort, wallt auf, ebbt ab, man kann nichts dagegen tun.“ Bei 29 seiner Filme wird Brauner offiziell als Co-Autor genannt, aber häufig sind Ideen von ihm auch direkt in seine Filme eingeflossen. Nicht, dass man einen Brauner-Film unmittelbar an einem speziellen Stil erkannt hätte, aber es war dieses Rumoren, das man vielen der von ihm produzierten Filme anmerkt. Es musste einfach Kino sein, richtiges Kino.

Eine Schlüsselfigur des deutschen Films

Brauners Talent bestand aber auch darin, entstehende Trends zu erspüren. Er scheute sich nicht, sich flugs an erfolgreiche Moden anzuhängen. So ließ er etwa den Karl-May-Verfilmungen mit den erfolgreichen Wildwestabenteuern eine Serie mit den Orient-Abenteuern folgen, zum Teil mit denselben Darstellern. Und doch: Der Schauspieler Wolfgang Preiss, mit dem er bei den Mabuse-Filmen zusammenarbeitete, sagte: „Brauner ist ein herrlicher Fuchs. Ich weiß nicht, ob der deutsche Film ohne ihn so geworden wäre, wie er ist. Der eigentliche Impulsgeber damals war einfach der Brauner.“

Einen besonderen Stellenwert indes nehmen die Filme ein, die Artur Brauner über den Nationalsozialismus und die Schoah produziert hat. In den Achtzigerjahren, als die große Zeit von Papas Kino längst vorbei war, konzentrierte er sich auf Filme wie CHARLOTTE (1980), die Geschichte einer jüdischen Malerin, die in Auschwitz ermordet wurde, oder ZU FREIWILD VERDAMMT (1983), eine Fluchtgeschichte durch Polen. Das war zweifellos ein autobiographisches Anliegen des Produzenten, der 1918 im polnischen Łódź geboren wurde und  mit seiner Familie der Verfolgung nur durch eine abenteuerliche Flucht in die russischen Wälder entgehen konnte. 49 Verwandte der engeren Familie wurden ermordet.

Brauner hat überdurchschnittlich häufig deutsche Emigranten beschäftigt, darunter Gottfried Reinhardt, Gerd Oswald, Wilhelm Dieterle oder Wilhelm Thiele. Aber so war das deutsche Nachkriegskino, er arbeitete auch mit Regisseuren, Autoren und Schauspielern und Schauspielerinnen aus der Nazizeit zusammen, drehte notdürftig zivilisierte Remakes von Propagandafilmen wie Wolfgang Liebeneiners AUF WIEDERSEHEN FRANZISKA oder ROBERT UND BERTRAM. Wer ein Gespür für so etwas hat, kann manchen Artur Brauner-Filmen die Kopfschmerzen ansehen.

Nach Kriegsende wollten die Brauners ursprünglich in die USA oder nach Palästina auswandern, aber diese Pläne zerschlugen sich. Man klebte an Deutschland und Deutschland klebte an einem. Im geteilten Berlin hob Brauner dann seine Produktion aus der Taufe und zunächst waren der Faschismus, die Verfolgung und der Krieg wichtige Themen für ihn. Seine zweite Produktion, MORITURI (1947/48) von Eugen York nach einem Drehbuchentwurf von Brauner selbst, ist eine direkte Spiegelung seiner eigenen Erlebnisse, die Geschichte einer Gruppe von Flüchtlingen in Deutschland und Polen, und einer der wenigen Filme jener Zeit, die nicht einfach Kontinuität zum Film der Nazizeit herstellten. Die Erfahrung mit diesem Film schilderte Brauner in einem Vortrag unter dem Titel MEINE ERFAHRUNGEN MIT REMIGRANTEN im Juni 1993 so: „Mein kommerzielles Fiasko mit dem Film Morituri, der die Schicksale von Gedemütigten und Verfolgten des Hitler-Regimes darstellte, war so gravierend, dass ich mich sofort auf den Publikumsgeschmack umstellen und zwei Komödien drehen musste, um die Schulden von MORITURI zurückzahlen zu können.“ Vielleicht enthält der Satz schon die ganze Tragödie und Groteske des deutschen Nachkriegskinos.

Brauner kehrte trotz des Fiasko immer wieder zwischen seinen kommerziell mehr oder weniger erfolgreichen Filmen zu diesem Anliegen zurück. Er produzierte Filme wie HOTEL ADLON oder DER HAUPTMANN UND SEIN HELD. Dieser von Max Nossek mit Ernst Schröder und Jo Herbst in den Hauptrollen 1955 inszenierte Film entstand in einer Art Studio-Improvisation in den Trümmern des Hotel Esplanade in Berlin. Er gehört noch in die Reihe der Nachkriegsproduktionen, die ein anderes, vom pazifistischen Geist und von Seitenblicken auf den italienischen Neorealismus geprägtes deutsches Kino versprachen. Aber das Publikum – und die Politik – wollten diese sogenannten Trümmerfilme nicht.

Es gab immer einen doppelten Artur Brauner, mal mehr den einen, mal mehr den anderen: Den Produzenten von Erfolgs-, Kommerz- und Serienfilmen, die man lieben durfte wegen ihrer unbedingten Kinohaftigkeit, und die man manchmal verachten konnte, wegen ihrer leichtfertigen Lügen und ihrer Retromanie. Und den Produzenten von kritischen Bilderzählungen über Faschismus und Krieg, der zwar auch diese Filme vor allem für ein großes Publikum und daher meist formal konservativ gestalten ließ. In seine Filmographie gehören aber auch einige sehr ungewöhnliche Filme, darunter Erwin Leisers Dokumentation EICHMANN UND DAS DRITTE REICH (1961) und überraschenderweise – als associate producer – Jean-Luc GODARDS VENT D’EST (1970). Zu den späteren engagierten Filmen gehören DIE WEISSE ROSE (1982) von Michael Verhoeven, DER ROSENGARTEN (1989) von Fons Rademaker und HITLERJUNGE SALOMON (1990) von Agnieszka Holland. Ein Mogul war Arthur Brauner da schon lange nicht mehr. Aber noch einmal eine Schlüsselfigur des deutschen Films, insbesondere auf dem Feld der Coproduktionen mit den osteuropäischen Ländern.

Am 07. Juli 2019, vier Wochen vor seinem 101. Geburtstag, ist Artur Brauner gestorben. Er hinterlässt viele Filme. Schöne, belanglose und seltsame. Und er hinterlässt ein wundersames Rumoren in der deutschen Kinogeschichte. 

 

Georg Seeßlen

ZEIT ONLINE | 07. 07. 2019                                                      

Bild ganz oben: Maria und Artur Brauner in Berlin bei der Eröffnung von Boulevard der Stars am 10. September 2010

Autor: Franz Richter | Benutzer: FRZ