Vom gegenwärtigen Vergehen |

Lara Rüter über das Fotobuch „Rot in Schwarz-Weiß“ (2020) von Brigitte Tast |

Mit ihrem neuen Fotobuch „Rot in Schwarz-Weiß“ fügt die Hildesheimer Fotografin Brigitte Tast ihrem foto-lyrischen Werk einen wichtigen Baustein hinzu. Nachdem sie mit ihren Bänden „Warten auf Lydia“ (1994) oder „Astarte und Venus“ (1996) bereits das Genre des Fotogedichts für sich festgesteckt hat, zeigt sie nun mit ihrem neuen Buch als zeitlich groß umspannendes Werk ihre Annäherung an die Farbe Rot. Mithilfe der Schwarz-Weiß-Fotografie fängt sie die Farbe als rote Linie ihres persönlichen und künstlerischen Lebens ein.

Rot kann in Form von Erröten ein Zeichen von Scham oder Verlegenheit sein, aber auch von Zorn. Rot ist stark, ist Leidenschaft, ist Sex, ist Gewalt. Rot ist die Farbe von Religion, des Heiligen Geistes, des Bluts und der Auferstehung, aber auch die Farbe von Exorzismen. Rot warnt und Rot lockt. Rot ist lebendig.

L.H. und 'Jean' II

L.H. und ‚Jean‘ II

 

Ich plane ein Buch zur Farbe Rot. Wenn es einmal dazu kommt, widme ich es meiner Tochter. Sie, mein Kind, stellt für mich die erlebbare Verbindung her zwischen Gegenwart und Zukunft. (Tagebucheintrag, 2. März 2012)“

Tast beginnt ihr Buch mit einem örtlich gebundenen Faden, „Das Dorf, mein Zuhause“, spannt ihn nach Nordafrika in „Die rote Stadt“ Marokko, um dann in ihrem Atelier „Hinter der weißen Tür“ anzukommen. Sie stellt ihre Vergangenheit, ihre Herkunft somit als Art örtlich gebundenes kreatives Fundament dar. Zum einen sind die Orte auf den mittelformatigen Fotos durch Licht- und Schattenspiel als dankbare Erinnerungssymbole inszeniert, auf der anderen Seite sorgfältig gebaute Fotogedichte, deren Arrangement der Ruhe einen Sog des Innehaltens entwickelt. Jedes Bild fordert die Betrachtenden heraus, aus der schnelllebigen Bilderflut herauszutreten und sich ihren eigenen Momenten zu widmen.

Ein Foto besitzt weder eine Vergangenheit noch eine Zukunft, sondern steht auf sich selbst zurückgeworfen, erst einmal nur Bild bleibend. Die Geschichte gestaltet das Drumrum, schafft Bewegung: der Titel, der Text, die Fotografin oder die Betrachtenden. Wachsend mit der Zeit und der Geschichte. Befindet sich hier das Rot? In der Lebendigkeit, die zwischen Bild und Betrachtenden entsteht, genauso flüchtig wie der Moment an sich, da er nicht festzuhalten ist und punktuell erschaffen wird?

Tasts Texte skizzieren im Kapitel „This is the dawning of the Age of Aquarius“ die Aufbruchsstimmung, aus dem Bestehenden auszubrechen — immer Richtung Zukunft, aus der Dämmerung heraus ins Licht. Dabei enthebt sie ihre Jugend als Teilnehmende der studentischen Proteste aus dem individuellen Erleben und macht sie zum poetologischen Prinzip des Buches. Die Bilder weisen trotz ruhendem Gestus aus ihrer eigenen Dämmerung heraus, wollen in den „Noch-nicht-Zustand“ der Gleichaltrigen. Dabei ist Tast klar, dass jedes Bild genau darin scheitern muss: „Gleich alt, das hieß gleich gesinnt, es bedeutete, nichts zu verstecken.“ Altern lässt sich nicht verhindern, will man in die Zukunft, denn Zeit schreitet unerbittlich voran. Und ein Bild versteckt auch immer etwas, hat ein nicht entschlüsselbares Geheimnis, das es wertvoll macht.

Weiß ist die große Illusion. (…)

Schwarz ist ein Raum ohne Licht.

Nichts von mir dringt nach Außen.“

Rot befindet sich zwischen diesen beiden Extremen der Überforderung und Hilflosigkeit, die nicht bloß visuell zu deuten sind, sondern auch als innerliche Zustände zu begreifen sind. Den roten Faden dafür legt Tast mit ihren lyrischen Texten selbst. Folgt man diesem Faden weiter, führt er zum umfangreichsten der Kapitel, „Les poupées de Marta Kuhn-Weber“. Beginnend mit Marta Kuhn-Webers „Selbstporträt“ (1955) als Puppe entwickelt sie eine Bildsprache, die durch die Kombination biografischer Textfragmente, Porträtaufnahmen von Puppen und Fotomodellen und Zitaten der dargestellten Frauen eine voyeuristische Betrachtung einfordert. Die Puppen bewegen sich zwischen grotesken und obszönen Darstellungen berühmter Persönlichkeiten, wie Jean Genet oder Janis Joplin, und fiktiver Figuren wie Gott, einem Clown oder einer Sirene.

M.Z. und ‚Stripteuse‘ III

 

Nicht nur hat Tast mit jeder Puppe den Frauen ein menschliches Alter Ego gegenübergestellt, zu dem sie sich positionieren mussten, sondern auch eine Poetik der Gleichzeitigkeit von Extremen im Moment aufgestellt, als buchstäbliche Momentaufnahme. „Rot ist das Feuer. Wenn es in mir ausbricht, stürze ich nach vorn.“ Die Bewegung zwischen Puppe und Darstellerin liegt zwar im Verborgenen, ist aber in der Bildkonstruktion immer schon vorgegeben. Rot, die Lebendigkeit, die zwischen unbelebter Puppe und Weiblichkeit entsteht. „Rot ist immer das Jetzt.“

Indem Brigitte Tast nach dem Rot in Schwarz-Weiß sucht, nimmt sie Lesende nicht nur mit in ihre persönliche Vergangenheit, in die Kunst Kuhn-Webers oder Egon Schieles, in die Welt der sexuellen Begierden und kreativen Ausbrüche, sondern legt mit ihrer Fotolyrik den Akzent auf die Frage nach Zeit und Vergehen, und darauf, was aus einem Moment eigentlich mitgenommen werden kann. Sie zeigt eine Gegenwart, die schon vorbei ist, wenn sie eingefangen wird und die immer nur aus der vergangenen Zukunft heraus sichtbar ist. Letzen Endes fragt Tast mit ihrem Band nicht nach dem Ergebnis einer Suche. Sondern sie zeigt, dass allein durch die Entscheidung zur Suche das Finden gelungen ist, da Vergehen unsere Gegenwart gestaltet, Rot unter allem Schwarz-Weißem pulsiert.

Text © Lara Rüter         

Fotos: © Brigitte Tast

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Cover © Kulleraugen-Verlag

Brigitte Tast: Rot in Schwarz-Weiß.

Kulleraugen-Verlag, Schellerten 2020

Hardcover, 376 Seiten,

260 S/W-Fotos

34 Euro

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