Die Lichtspielhäuser sind seit Monaten geschlossen, keiner weiß, wann der Betrieb wieder aufgenommen werden kann, und unter welchen Bedingungen Filme dann abgespielt werden dürfen. Derzeit wartet die Branche auf (weitere) staatliche Fördermittel. Das Geld fließt nur stockend und die Verteilung zwischen großen Kinoketten, Programm- bzw. Arthaus-Kinos löst weitere grundlegende Debatten aus.

Für einige Kinobetreiber, vor allem im ländlichen Raum und in kleineren Städten, wird es ums Überleben gehen. Solidaritätsaufrufe münden in Bitten um Spenden oder darin Gutscheine oder Abonnements zu kaufen – rührende, aber etwas altmodisch wirkende Versuche mit einem Publikum, welches verloren zu gehen droht, in Kontakt zu bleiben.

Erst ganz langsam wird derzeit entdeckt, dass Streaming-Angebote auch für die Kinos eine echte neue Chance sein können. Also mitnichten nur ein Konkurrenzangebot darstellen. Wer online- Plattformen nutzt, um Filme zu sehen bleibt nicht zwangsläufig dem Kino fern. Dies wird auch durch eine Studie der FFA (Filmförderanstalt) belegt. Demnach verhält es sich sogar so, daß jeder zweite Kinobesucher auch ein Streaming-Abonnent ist. Hinzu kommt, daß die marktbestimmenden Anbieter, wie beispielsweise Netflix oder Amazon, mit ihrer unüberschaubaren Fülle an Filmen das auszulösen, was Psychologen eine „Decision Fatigue“ nennen. Wenn ein Angebot zu groß wird, scheint das Ermüdungerscheinungen und Lustlosigkeit nach sich zu ziehen. Außerdem sind diese Angebote Algorithmenbestimmt, d.h. sie offerieren passend zum Nutzerprofil gleichbleibend Ähnliches bzw. Vertrautes.

Entscheidend für die Lichtspielhäuser wird also sein, ob es ihnen gelingt, ein vielfältiges, selbstverwaltetes und gut kuratiertes online-Programm zusammenzustellen, welches nicht nur ihr lokales Stamm-Publikum im Blick hat, sondern darüberhinaus bei jüngeren Zuschauern Interesse weckt. Daß mehr angeboten werden muß als nur „Filme abspielen“, ist für viele kleinere und sehr persönliche geführte Kinos schon längst Alltagsgeschäft. Diskussionen, Vorträge, Filmeinführungen, Gespräche mit Regisseuren, all dies läßt sich jedoch auch online gut organisieren. Und online könnten Zuschauer, die sonst nur massenkompatible „Feelgood Movies“ oder US-amerikanische Blockbuster sehen, in Kontakt mit künstlerisch ambitionierten Filmen kommen. Denn vor allem im Arthaus- und Programmkinobereich ist die Überalterung der Zuschauer ein trauriger Fakt.

Mittlerweile nehmen die Initiativen, die das „online-Feld“ für sich entdecken Fahrt auf. So nennt das Filmhaus Nürnberg seine „virtuelle“ Leinwand Kino 3. Neben einem digitalen Filmclub mit Filmeinführungen oder anschließenden Zoom-Videokonferenzen, gibt es aktuell eine ambitionierte Zusammenstellung von Filmen aus Lateinamerika. Außerdem werden Online-Schulklassenvorstellungen angeboten. Das Ganze ist im Zusammenhang mit einer, über ein Jahr lang gültigen, Freundschaftskarte für 25 Euro zu haben. Darüberhinaus beinhaltet diese Karte auch eine großzügige Verbilligung für den Kinobesuch vor Ort. Auch das Kino2online des Filmmuseums Potsdam hat ein auffallend gut kuratiertes Programm zusammengestellt. Passend zum „Black History Month“ wird beispielsweise eine Auswahl sehenswerter Dokumentarfilme zu diesem Thema präsentiert. Im Angebot sind auch „Filme gegen rechts“, ein „Quarantäne Kino“- Schwerpunkt oder Filme, die sich mit dem Filmerbe Brandenburgs beschäftigen.

Weitaus breiter konzipiert ist die Streaming Plattform Cinemalovers, die schon vor Corona entwickelt wurde, um ein Online- Marketing für Programm- und kommunalen Kinos aufzubauen. Hier geht es derzeit zunächst um ein „Bouquet“ anspruchsvoller, cineastischer Filme, aus welchem sich die Kinobetreiber bedienen können, um eine speziell für ihr Haus passende Auswahl zusammenzustellen. Das Filmmuseum Potsdam beispielsweise greift auf diese VoD-Plattform bereits zu, wie auch ab März einige der unabhängigen Berliner Kinos, die sich unter dem Label INDIEKINO CLUB zusammengeschlossen haben (www.indiekino.de). Längerfristig will die Plattform Cinemalovers auch Debuts, Festivalsektionen, Retrospektiven oder Filme, die bisher keinen Verleih gefunden haben, mit ins Programm aufnehmen.

Das Berliner Arsenal, „Institut für film und videokunst e.V.“ hat bereits seit Sommer 2020 einen „virtuellen Kinoraum“, das arsenal 3 eingerichtet. Auch hier werden online-Diskussionen angeboten oder Einblicke in die Archivarbeit. Bis Ende Februar gibt es außerdem eine umfassende Werkschau der Filmemacherin und Künstlerin Birgit Hein.

Last not least sei das fsk in Berlin erwähnt, welches nicht nur Kino ist, sondern auch der Filmverleih „peripher“. Auf der website wird unter der Rubrik „fsk für Zuhause“ eine kleine Auswahl von Filmen, die entweder bereits im fsk-Kino gespielt wurden oder derzeit gespielt würden, offeriert (siehe hierzu die Besprechung von IM LAND MEINER KINDER, einer der Filme, die derzeit für 6,50 Euro gestreamt werden können).

Zusammenfassend läßt sich sagen, eine Koexzistenz von on- und offline Angeboten im Kinobetrieb zeitigt positive Effekte. Denn Filme können viel gezielter angeboten werden, womit sich neue Zuschauer hinzugewinnen ließen. Das so hermetische und wenig differenzierte Film-Angebot könnte viel breiter und vielschichtiger werden. Und die Kinomacher wären endlich wieder Kinomacher und nicht concessions-Verkäufer.

In der kuratorischen Sorgfalt liegt vielleicht der größte Mehrwert, bietet er doch die Chance der Kundenbindung.

Vollkommen unverständlich ist in diesem Zusammenhang, daß die FFA ein Pilotprojekt zur Erkundung digitaler Formate ablehnen konnte. Für diese Anstalt gilt offensichtlich immer noch der alte Werbespruch, „Kino, dafür werden Filme gemacht“. Nur: dieser Zug ist abgefahren, mit oder ohne Corona.

Daniela Kloock