Wenn es um die heimischen vier Wände geht, sind wir Frauen zuständig. Wir bestimmen, ob die Wand rot oder blau angestrichen wird, ob das Sofa links oder rechts steht. Das muss uns noch aus der Zeit anhängen, als wir tagelang in der Höhle hockten, das Feuer schürten und warteten, bis er von der Mammutjagd nach Hause kommt.  Deshalb sind bis heute wir es, die stundenlang in Einrichtungsmärkten herumlaufen, Kissenhüllen, Bilderrahmen und neue Lampenschirme anschleppen.

Ein Mann hat für sowas einfach keinen Sinn. Für ihn ist völlig unerheblich, ob da was Grünes oder was Gestreiftes vor dem Fenster hängt. Ob überhaupt was hängt. Er wird nie verstehen, warum eine Frau einmal im Jahr das Wohnzimmer umräumen muss. Kaum hat er sich gemerkt, wo er nach den Weingläsern suchen muss, stehen sie woanders. Er denkt, es ist reine Bosheit, fühlt sich verwirrt und unverstanden. Ein Mann hängt am Gewohnten, eine Frau drängt nach Neuem.

Männer mischen sich erst dann in die Wohnungsgestaltung ein, wenn es um wirklich wichtige Dinge geht. Also Dinge, die blinken, piepsen oder eine Digitalanzeige haben.

Sie können ohne Probleme inmitten einer Schrankwand der Marke „Eiche rustikal“ herumsitzen, aber wehe, die Lautsprecherboxen der Musikanlagen entsprechen nicht dem neuesten Design. Da rebelliert das gesammelte Selbstverständnis des dynamischen, der Zukunft aufgeschlossenen und technisch kompetenten Mannes. Dann muss umgehend was Vorzeigbares her.

Mein schönes altes Röhrengerät zum Beispiel war das erste, was unserem Umzug zum Opfer fiel. Dabei war es noch fast neu, keine zehn Jahre alt. Und ihm konnte es schließlich egal sein, in welche Röhre ich guckte, sein Fernsehkonsum tendiert gegen null.

Aber wenn das jemand sieht! Der könnte ja denken hier gebe es keinen Mann im Haus, der sich mal kümmert.Umgehend wurde ein Riesenapparat angeschafft.

Seitdem liegen vier verschiedene Fernbedienungen herum, die alle aussehen, als könnte man mit ihnen eine Trägerrakete ins All starten. Ungefähr ein halbes Jahr lang war ich gezwungen, meine Tochter zu konsultieren, wenn ich mal einen Krimi gucken wollte.

Sie hat natürlich die Bedienung in einer Stunde drauf gehabt. Einschließlich der Aufnahmefunktion. Seitdem kann sie zu jeder Tageszeit „Dr. House“ und „Grace Anatomy“ gucken. Falls Sie mal eine Folge verpasst haben – wir haben sie alle auf der Festplatte. In Zeiten meines lieben alten Röhrenungetüms hat sie mehr gelesen.

Aber um solche pädagogischen Niederlagen schert sich ein Mann dann nicht. Auch nicht, wenn unsereiner seine ganze Autorität als Erziehungsberechtigter verliert, nur weil moderne Technik ins Haus muss.

Ich war wahrscheinlich die einzige verbliebene Teilnehmerin in der Stadt, deren Telefonhörer noch unverbrüchlich verbunden war mit dem Ort, an dem es stand. Ein solides Telefon mit Strippe.

Eine Peinlichkeit in der Wohnung, beschied er. So etwas gehöre auf den Müllplatz der Geschichte. Dabei geht er sowieso nie dran, wenn es klingelt.

Ich jetzt auch nur sehr selten. Seit wir ein schnurloses Telefon in neuestem Design besitzen, bin ich für die Außenwelt unerreichbar. Kaum klingelt es, beginnt in der Wohnung eine hastige, meist erfolglose Suche. Wenn Sie eine heranwachsende Tochter haben, kennen Sie das Problem.

Eigentlich bin ich eine Anhängerin sanfter Erziehungsmethoden. Aber neulich war das Maß voll, die Zeit reif für harte pädagogische Maßnahmen. Nachdem ich den Hörer nach 20 Minuten des Suchens aus den unergründlichen Tiefen des Kinderzimmers geborgen hatte, schlug ich zurück. Ich versteckte ihn unter dem Kopfkissen.

Das wird sich das Kind merken, dachte ich. Es wird klingeln und klingeln und sie wird nie erfahren, was sie gerade verpasst. Um den Schmerz zu verstärken, rief ich am Nachmittag ein paar Mal boshaft zu Hause an. Beim dritten Mal nahm sie ab.

Sie hat nichts gesagt und ich habe geschwiegen. Nach geschickter Recherche fand ich aber heraus, dass die sog. Basisstation eine Suchfunktion hat. Man kann den Hörer einfach klingeln lassen, statt zu suchen.

Ich werde mich rächen. An ihm, er hat mir schließlich diese pädagogischen Niederlagen eingebrockt. Vielleicht streiche ich sein Zimmer lila an. Aber vermutlich merkt er das sowieso nicht.

© Elena Rauch

Bild: Lütten-Klein, Blick in ein Wohnzimmer (Zentralbild,  Joachim Spremberg 8.7.1966), CC-BY-SA Bundesarchiv, Bild 183-E0711-0011-001

Originaltext: 9. Ostseewoche 1966 Lütten-Klein: grosses Wohnungsbauvorhaben In Lütten-Klein bei Rostock entsteht gegenwärtig ein grosses Neubaugebiet, das in zukunft bis zu 60.000 Einwohner zählen wird. Der erste Block wurde am 29. April 1966 bezugsfertig übergeben. Familie Fritz (Foto) fühlt sich wohl in ihrer neuen Wohnung, die mit allem Konfort wie z.B. Fernheizung und Einbauküche ausgestattet ist. Regina Fritz (Mitte) von Beruf Friseuse, zur zeit Hausfrau, wird demnächst ihren Beruf wieder aufnehmen, jetzta aber muß sie noch viel Zeit finden, mit ihrem Sohn Jens (links) und seinem Freund Ralf (rechts) zu spielen.

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