Deutsch-russisch-ukrainischer Erfolg

„Vier Tage im Mai“ – eine deutsch-russisch-ukrainische Gemeinschaftsproduktion – ist der bisher auf diesem Festival wohl am heftigsten und sehr kontrovers diskutierte Film. Die Kritiker streiten. Das Publikum auf der Piazza Grande von Locarno, wo der Film am Dienstagabend vor etwa achttausend Zuschauern aufgeführt wurde, reagierte wohl zu fast einhundert Prozent mit Zustimmung, Ergriffenheit, Beifall.

„Vier Tage im Mai“ spielt zwischen Gestern und Heute, zwischen Wachen und Wahn, zwischen Krieg und Frieden. Der Ort: eine Insel vor der deutschen Ostseeküste. Die Zeit: Anfang Mai 1945. Die Protagonisten: Frauen, Kinder und Soldaten. – Acht Männer der sowjetischen Armee besetzen ein Kinderheim. Rund einhundert Männer der Wehrmacht wollen von der Insel nach Dänemark fliehen, weg von den Russen, zu den Engländern. Zwischen den Truppenresten: die Frauen und die Kinder. Nur ein Junge ist dabei, Peter, zwölf, dreizehn Jahre, nicht mehr Kind und noch nicht Mann. Aber Patriot, jedenfalls, das, was er, der nie eine andere Zeit als die Nazizeit erlebt hat, dafür hält. Zwischen den Zeiten – alle wissen, dass der Krieg vorbei ist, aber noch ist nicht Frieden – gerät Peter wirklich zwischen die Fronten, nicht zwischen Deutschland und Sowjetunion, sondern, viel grundsätzlicher, zwischen Gut und Böse.

Regisseur und Drehbuch-Mitautor Achim von Borries hält sich fern von üblichen Antikriegs-Film-Mustern. Fast kammerspielartig, dabei aber durchaus auch auf der Klaviatur starker Dramatik spielend, zeigt er die grundsätzliche Absurdität allen Mordens im Namen einer Ideologie. Üppig inszenierte Schlachtszenen braucht es dazu nicht. Stattdessen verfolgt der Film sehr genau die emotionalen Wandlungen der Figuren, die alle, jede auf ihre Art, durch die Hölle gehen müssen. Grelle Effekte aber bleiben dabei aus. Der Schrecken kommt auf leisen Sohlen. Erkenntnisse reifen im Stillen.

Ein enormer Erfolg beim Publikum des Festivals am Lago Maggiore. Die Vertreter der internationalen Kritik reagierten gespalten, das Echo reichte von völliger Ablehnung bis zu euphorischer Zustimmung. – Ich selbst bin ein wenig zwischen Baum und Borke. Lange Strecken des Films sind mitreißend. Ich fühle mich angeregt, nach dem Film über mir Bekanntes aus der Generation des Vaters und aus der des Großvaters nachzudenken. Doch: ich bleibe in einer gewissen Distanz. Viele, viele Anti-Kriegsfilme kommen mir in den Sinn: „Die Brücke“, „Die Kraniche ziehen“, „Komm und sieh“, „Moskau glaubt den Tränen nicht“, „Das alte Gewehr“. Deren emotionale Stärke erreicht „Vier Tage im Mai“ für mich nicht. Und das liegt an einem handwerklichen Umstand: der Einsatz von Musik ist mir zu dick, unentwegt habe ich das Gefühl, Regisseur Achim von Borries traut den Bildern, Dialogen, den exzellenten Schauspielern nicht und glaubt, mich über den Soundtrack emotional manipulieren zu müssen. Das ist schade. Mir ist das zu viel. Für mich wäre hier weniger eindeutig mehr gewesen. Trotzdem: Ich empfehle den Film, dessen Kinostart in Deutschland bisher für den 29. September avisiert ist. Das Irrsinnige aller Kriegsspiele wird in den müden Gesichtern der Soldaten, in den viel zu alten Augen des halbwüchsigen Jungen, in der von Resignation geprägten Körpersprache der Frauen eindringlich gespiegelt. Hinzu kommt eine Besonderheit, die der Wirkung tatsächlich gut tut: die deutschen Soldaten werden von deutschen Schauspielern gespielt, die russischen tatsächlich von russischen. Soweit ich weiß, gab es das zuvor noch nie. In Locarno berichteten denn auch Aleksei Guskov (Das Konzert), der mit dem Part eines russischen Hauptmanns die neben dem Jungen wichtigste Rolle spielt, und seine Landsleute, dass gerade das für sie sehr besonders, und sehr befreiend war. Ein junger Schauspieler, sicher erst in den 1970er Jahren geboren, sagte in Locarno gar: „Für mich ist durch diese Arbeit der Krieg zwischen dem deutschen Volk und meinem Volk erst wirklich beendet.“

© Peter Claus

Bilder: X Verleih