„Scheiße, kein Netz!”

In den Achtzigerjahren waren Handys noch schwer, teuer und eher selten. Inzwischen hat praktisch jeder eins in der Tasche, und Hollywood hat gelernt, damit zu rechnen: Handys sind Bestandteile der Filmdramaturgie geworden. Bemerkungen zum Zusammenwirken von bewegtem Bild und Mobilfunk

Ein offenes Geheimnis des populären Kinos, das wir Hollywood nennen, liegt in einem etwas widersprüchlichen Versprechen: Es wird erstmal nichts und dann doch viel mit uns zu tun haben. Die Künstlichkeit dieser Bild- und Klangwelten wird sich abheben von jenen alltäglichen Arbeits- und Freizeitleben, in denen eben keine Saurier, Außerirdische oder Monster auftauchen und sowohl Liebe als auch Gewalt irgendwie anders aussehen. Es muss mehr geben als alles, was euch gehört – ein ewiger Hollywood-Gestus, vielleicht am schönsten ausgedrückt in dem berühmten MGM-Motto „More stars than there are in heaven!“

Gleichzeitig aber konnte es sich genau dieses Kino noch nie leisten, an den Verhältnissen vorbeizuproduzieren, in die hinein es wirken, in denen es ankommen will. Offensichtlich werden solche Bezüge nicht zuletzt dort, wo – neue – Medien in Filmen auftauchen; sei es als Apparate oder in ihrem Einfluss auf das, was Filme erzählen. So avancierte gerade das Telefon mit der Durchsetzung des Tonfilms zu einer unverzichtbaren und Genres prägenden Größe. Im US-Gangsterfilm der frühen 1930er Jahre führte es – Symbol und zugleich Werkzeug des Aufstiegs des Kleinkriminellen zum organisierenden Gangster – zu einer speziellen Funktionalisierung der Sprache. Knappe Kommandos und Befehle – „Schnappt euch Eddie!“ -, gebellt in den Hörer, machen das Telefon zur Waffe. Die Telefondialoge, hat Georg Seeßlen zu Little Caesar (1930) geschrieben, „kommentieren nicht die Handlung, sondern sie sind Handlung“.

Heute wird Aufmerksamkeit für neue Medien vor allem dem Verhältnis zwischen Film und Videospiel zuteil. Längst ist auch in Filmkritiken ablesbar, dass Filme sich der kulturellen und ökonomischen Bedeutung der Games eben nicht nur über reine Videospiel-Adaptionen oder das direkte Verhandeln von – fiktiven – Spielen annähern. Immer öfter argumentieren Kritiken, Filme wirkten „wie ein Computerspiel“, nutzten gamekompatible Ästhetik und Dramaturgie, in der es um Levels, Schwierigkeitsgrade und „Spielerausfälle“ gehe, so dass – wie die „New Times“ kritisiert – „Videospiele und Filme praktisch austauschbar“ seien.

Noch nachhaltiger jedoch als jede Einschreibung der Games hat eine Technik Einzug in Filmgeschichten und deren Vermittlung gehalten, die uns – im Gegensatz zum Videospiel und der damit noch immer verbundenen Panik vor massenmedialer Verrohung – so nah ist, dass sie schlicht als gegeben aus dem BIickfeld verschwinden könnte: das mobile Telefon, unser, um einen schäbigen Kalauer auf Kosten der Freien und Hansestadt Hamburg zu wagen, „Ohr zur Welt“. Es ist unverzichtbarer Teil des Lebens überall dort, wo man es sich leisten kann. Und es begleitet uns auch – nicht immer ausgeschaltet – ins Kino. Die 2006 in Großbritannien durchgeführte Umfrage „Mobile Life“ kam zu dem Ergebnis, dass Menschen zwischen 18 und 24 Jahre dem Mobiltelefon (24 Prozent) mehr Bedeutung zumessen als dem Fernsehen (12 Prozent) – wobei das Internet (50 Prozent) auf dem ersten Platz rangiert. 92 Prozent aller Handybesitzer wären sich zudem darin einig, einen gewöhnlichen Tag nicht mehr ohne ihr Mobiltelefon über die Runden bringen zu können. Das Handy, hat Florian Rötzer daraus gefolgert, „ist zu einer Prothese geworden, die stets mitgeführt wird und so als Leine dient, um den Kontakt zur Horde nicht zu verlieren“.

Ganz gleich, ob diese Zahlen repräsentativ sind und welche soziale oder quasi-biologische Funktion man dem Ding auch zuschreiben mag: Das Handy hat Wirkung gezeigt, es spielt mit. Unzählbar sind die Filme, in denen Mobiltelefone auftauchen, hängen bleiben vielleicht jene Beispiele, in denen diese, gemessen am Alter des Mediums Film, junge Kommunikation zentrale Funktionen übernimmt. Cellular (David R. Ellis, 2004), der Telefon-Thriller mit Kim Basinger und Chris Evans mag einem da zuerst in den Sinn kommen; vor allem hierzulande, wo Verleihtitel und Unterzeile, nämlich Final Call – Wenn er auflegt, muss sie sterben, schon fast alles über die Situation von Basinger und Evans (am Handy) erzählen. Oder James Bond: Die öffentlich ungeteilte Freude über die Menschwerdung des neuen 007 in Casino Royale (2006), dem von den Kritikern beinahe christomorphe Züge verliehen wurden („die Wiedergeburt James Bonds“, „dieser Bond ist irdischer“), mag auch damit zu tun gehabt haben, dass Bond – wenn’s ans große Finale geht – nicht mehr mit unsichtbaren Limousinen Schurkenzentralen zu Schrott fährt, sondern lieber die Kurznachrichten auf dem Handy seiner Freundin checkt. Mit dieser Nummer könnte der Agent auch als gehörnter Zeuge bei Richterin Barbara Salesch reüssieren.

Während Casino Royale damit in einer Art Demutsgeste dem Mobiltelefon einen Platz einräumt, den dieser Film gut hätte anders besetzen können, bietet Paul Greengrass’ Flug 93 (United 93) die Verfilmung eines Ereignisses, dessen Erzählung ohne das Handy doppelt unmöglich gewesen wäre. So wie die mobile Kommunikation mitverantwortlich war dafür, dass die Passagiere des United-Airlines-Flugs 93 am 11. September 2001 vom Attentat auf das World Trade Center Kenntnis nahmen, sich darüber mit Angehörigen austauschten und schließlich ihre Entführer attackierten, so stützt sich auch die Überlieferung dieser Ereignisse einschließlich des berühmt gewordenen Kommandos „Let’s roll“ auf die übermittelten Handygespräche. Flug 93 und die Diskussionen über die darin entwickelten Spekulationen machen so auf drastische Weise klar, was „historische Ereignisse“ immer sind: überliefertes Geschehen, bei dem die Form der Überlieferung untrennbar mit dem verbunden ist, was überliefert wird. In diesem Sinne hätte die Selbstbeschreibung von United 93, „a creative work based on facts“, vielleicht besser „a creative work based on facts and cellphones“ geheißen.

Handys sind keineswegs nur neue Gadgets der Kommunikation, die im Kino schlicht ihr Abbild und ihre Vertonung fänden. In einem seiner ersten Auftritte im Hollywoodfilm war das Mobiltelefon vor allem Symbol: Michael Douglas telefoniert damit als Börsenhai Gordon Gekko in Oliver Stones Wall Street (1987) vom Privatstrand aus. Es erzählt etwas über seinen Träger, über dessen Reichtum, über die nie endende Arbeitszeit, über das Telefon als wichtigstes Werkzeug dieses Jobs und über dieses Geschäft selbst, das ständig auch über jene verfügt, die glauben, sie wären nicht Spielball, sondern Spieler des Systems. Dieses Gerät, weiß und klobig, musste, es sollte ins Auge fallen. Und es wirkte damals wie die Quadratur des Telefonhörers – jenes Dings, das der aus seiner Zeit geschleuderte Druide und Serienheld Catweazle einmal so treffend als den „sprechenden Knochen“ bezeichnet hatte.

Fünf Jahre nach Wall Street, noch immer war mobiles Telefonieren Luxus, fügte Robert Altmans The Player dem ikonischen Charakter des Handys die Demonstration seines narrativen Potenzials hinzu. Dies geschah in jener berühmten Szene; in der Tim Robbins als bedrängter Hollywoodproduzent mit seiner späteren Freundin (Greta Scacchi) telefoniert und dank seines Handys vor ihrem Fenster stehend – sie dabei an ihrem Festnetz, unserem damaligen Standard, beobachten kann. Blick und Stimme kamen hier neu zusammen. Der Körper überbrückte die Distanz, die der ehemaligen Kulturtechnik des Telefonierens so sicher immanent gewesen war.

Von nun an sollte sich einiges ändern. Der Durchbruch des Mobiltelefons zum selbstverständlichen Gerät ab Mitte der 1990er wurde durch das Kino begleitet. Flankiert unter anderem durch den Handythriller Speed (1994), bei dem Keanu Reeves und sein Mobiltelefon an Bord des gehetzten Speed-Busses ein auch zum Fortgang der Geschichte notwendiges Team bildeten, das dann auch auf den Handywerbungen zum Filmstart zusammenblieb. Das Mobiltelefon, mit dem Keanu Reeves alias Jack Traven mit Freund und Feind sich verständigen konnte, war Bestandteil jener Mobilität, die Rhythmus und Spannung dieses Films war: Speed eben, Geschwindigkeit.

Diese Stärke und das daran gekoppelte, weidlich ausgeschlachtete Produktivitätsversprechen des Handys – die Gleichzeitigkeit von Handeln und Telefonieren, die Aufhebung einer ehemaligen Stabilität von Räumlichkeit, die potenziell überall mögliche Vernetzung -, die Speed ausspielte, führte in der Tat zu einer neuen Chance für das Tempo, die Beschleunigung im Film. Weil jeder Schurke und jeder Held im Augenblick eines Ereignisses (Action!) schon seine Kollegen informieren und damit ein neues Ereignis (Action!!) erzeugen kann, weil informieren und agieren nun auf andere Weise immer schon eins sein können, erhöht sich die Schlagzahl.

Ausgiebig bedient sich das Kino dieses Drives der Gleichzeitigkeit, des Raum-Zeit-Prinzips des Handys: Mission: Impossible III (J. J. Abrams, 2006) lebt davon, wenn die Entführung von Michelle Monaghan in exakt dem Moment beginnt, in welchem sich Philip Seymour Hoffman spektakulär den Behörden entzieht und somit Tom Cruise von einem Problem ins nächste katapultiert. M:I:III stellt dabei dieses Prinzip nicht weniger aus – wenn etwa Cruise dank Handynavigation in Höchstgeschwindigkeit durch unbekannte Straßen und über Dächer rennt – als Martin Scorseses Departed, in dem Handygespräche und SMS das Leben der Figuren und deren Drama strukturieren. Freilich ist das Mobiltelefon dabei nur ein, wenn auch wesentliches, Teilstück der neuen Medien. Dass das Internet inzwischen unersetzlich ist, „wenn es um flottes Plotting und den Ausbau globaler Intrigen geht“, ist von Fritz Göttler kürzlich noch einmal in Erinnerung gebracht worden.

Wollte man jedoch die Geschichte des Films im Zeitalter des Handys schreiben, so käme man vor allem am Fernsehen nicht vorbei: nicht an der Serie „The Wire“ (seit 2002), bei deren Verschachtelung von Handlungssträngen, von Polizeiarbeit und Drogenhandel, Handys eine besondere Rolle spielen; und noch weniger an Jack Bauer und „24″ -jener Serie, die seit 2001 vielleicht am konsequentesten die Handygleichzeitigkeit in Film (nicht nur durch Split-Screen) übersetzt hat. „24″ könnte ohne ein Mobiltelefon nicht existieren, sein Tempo baut auf die von Marshall McLuhan postulierte Weltvernetzung (und hat gleichzeitig Angst davor) und gibt ihr mit dem Handy ihr Symbol beziehungsweise ihre Waffe. „Noch öfter als am Drücker irgendwelcher Schnellfeuerwaffen ist Bauer am Handy; auch Präsident, Berater, Agenten und Terroristen telefonieren im Minutentakt“, hat Daniel Haas dazu bemerkt: „Immer und überall erreichbar sein, dieses Flexibilitätsgebot einer entgrenzten Arbeitswelt findet hier ein angemessenes Bild.“

Die Entwicklung des Rhythmus, das Handy als möglicher Herzschrittmacher aktueller Erzählungen, ist freilich nur eine der vielen Veränderungen, die das Handy in unser Leben und unsere Filme gebracht hat. Eine Frage der Zeit. Eine weitere, eine Frage des Raums, liegt darin, dass mit Vernetzung und Gleichzeitigkeit jene Orte schwerer vorstellbar werden, an denen Einsam- und Unerreichbarkeit herrschen. Das Kino muss sich darauf eistellen. Wer auf dieser Grundlage vom klassischen Horror der Verlorenheit und des Ausgeliefertseins erzählen will, muss nun in den Drehbüchern Handys verschwinden lassen, Akkus den Saft abdrehen oder – besonders beliebt – irgendwen „Scheiße, kein Netz!“ rufen lassen. Nicht zufällig wurde das Grauen des Blair Witch Projects (1999) auf die erste Hälfte der Neunziger rückdatiert, als noch nicht jede Studentin automatisch Handybesitzerin war. Was freilich nicht davor bewahrt, dass 2007 in Internetforen zum Film zeitvergessen bemängelt wird: „Kann mir jemand erklären, wie man ohne Handy im Wald rumlaufen kann?“

Handys müssen weg, wenn wer verlustig gehen soll, und das frechste Verschwinden eines Mobiltelefons bot 2001 Jurassic Park III. Hier wird Letzteres gleich zu Anfang von einem Saurier gefressen. Das Besondere an dieser Volte ist weniger, dass – damit schließlich Hilfe zur Saurier-Insel herbeitelefoniert werden kann – das Handy am Ende aus einem Haufen Dino-Dung geborgen werden muss. Hübscher ist, wie sich bis dahin das riesige Urzeitmonster per Klingelton aus seinem Magen-DarmTrakt ankündigt.

Wie Horror jedoch nicht nur auf Handys Rücksicht nehmen kann, indem er ihr Verschwinden zelebriert, hatte Wes Cravens Scream schon 1996 vorgeführt. Hier wurde der Verlust klassischer Horrorräumlichkeit, der Abgeschiedenheit, in den Gewinn jener neuen Nähe und Gleichzeitigkeit umgemünzt, die schon The Player genutzt hatte. Das Grauen, das Drew Barrymore im Filmauftakt durch den Scream-Killer am Telefon erfährt, liegt gerade in der Mobilität des maskierten Schlitzers. Darin, dass die Stimme, die ihr durchs Telefon ankündigt, ihre Innereien sollten begutachtet werden, zu einem Körper gehört, der mobil, genauer: schon unmittelbar bei ihr ist. Scream und seine Folgeerscheinungen nutzten intensiv jenes Moment der Nähe und Gleichzeitigkeit. Sie rangen dem Mobiltelefon eine Horrorqualität genau in jenem Moment ab, in dem eine andere, die Einsam- und Unerreichbarkeit, im Schwinden begriffen zu sein schien.

Es erzählt viel über das Prinzip Angst, dass gleichwohl gerade jenes Grauen, das Verlorengehen im Nirgendwo und in den Händen finsterer Mitmenschen, derzeit überaus präsent ist: von den Remakes The Texas Chainsaw Massacre (2003) und The Hills Have Eyes (2006) über Hostel (2005) und Wolf Creek (2005) bis zu Silent Hill (2006) und jener TV-Serie, die seit 2004 stetig an Preisen wie Fans zulegt und mit ihrem Titel das Motto der Bewegung formuliert – „Lost“. Gerade jene Angst, die durch das Vernetzungsvertrauen so lautstark verdrängt oder vermeidbar scheint – kann mir mal jemand erklären, wie man ohne Handy im Wald rumlaufen kann? – meldet sich mit Macht neu. Wahrscheinlich um uns zu zeigen, dass sie nie wirklich weg gewesen ist.

Jan Distelmeyer

Dieser Text ist zuerst erschienen in: epd Film 4/2007