Das erotische Fliegertagebuch: Dritter Teil einer Reise in die wunderbare Welt der katholischen Sexualmystik

Auch am Himmelsbogen sind Jungfrau und Löwe Nachbarsterne.

Kardinal Faulhaber

Ich hebe den Saum des Kleides, wenn ich durch den Schmutz gehen muß; und mein Gehirn soll darin herumschleifen?

Carmen Sylva

Was bisher geschah: Der Würzburger Jugendseelsorger Berthold Lutz gilt als Oswalt Kolle der katholischen Sexuallehre. In seinem Debüt Die leuchtende Straße schildert er die Abenteuer des kleinen Norbert, der dem Charme eines sportiven Kaplans erliegt. Herzstück der Geschichte ist das sogenannte Fliegertagebuch, geschrieben von einem ebenfalls durchtrainierten Freund des Kaplans – ein Buch im Buch, das vor Erotik knistert …

Auch dieser Freund des Kaplans – das darf uns nicht wundern – war ein Fan der Geschlechtskraft. „Nun hat aber Gott wie ein gewaltiger Konstrukteur den Menschen erschaffen und selber von seinem Werk gesagt, daß es gut, ja sehr gut sei“, lesen Norbert und Josef „mit glühenden Köpfen“, „dabei war die Geschlechtskraft“, die – flugtechnisch gesprochen – in die Ordnung der „gottgeschenkten Motoren“ gehöre, „nicht ausgenommen“. „Diese gottgeschenkten Triebe – so nennen wir dererlei Kräfte – sind nichts Schlechtes; sie können gar nichts Schlechtes sein! Denn sie tragen den Firmenstempel des heiligsten Gottes.“

Einer der stärksten Motoren sei jener, „der einmal eine ganze Familie zum Höhenflug tragen soll“, der sogenannte Geschlechtstrieb. „Das Gewicht schlafloser Sorgennächte und harter Arbeitswochen … hängt daran. Gott sei Dank für den starken Motor! Herausgenommen aus dem Rahmen von Familie und Ehe aber ist all seine Kraft sinnlos vertan. Er heult dann wohl auf wie jener Motor am Prüfstand“, von dem das Tagebuch viel Albernes zu erzählen weiß, „aber bleibt schwer auf der Erde kleben, geschweige, daß er noch andre mit zur Höhe reißt“.

„Am Himmel fliegen große Eisenvögel donnernd um die Welt“, singt Juliane Werding auf ihrer ersten Langspielplatte und meint damit die modernen Boeings. Wer einmal in einer  Boeing Platz nehmen durfte, ahnt, welche Triebkräfte im Spiel sein müssen, bis solch ein Ungetüm sich in die blaue Luft erhebt. „Der Mißbrauch freilich“ – ein Begriff, der in der kirchlichen Kinderliteratur eher flapsig daherkommt – „führt zum Absturz! Aber deswegen“, mahnt das Fliegertagebuch, „darf man doch nicht sagen: Die Geschlechtskraft sei etwas Schlechtes!“

„Ich habe mehr als einen Jungen kennengelernt“, leitet der Verfasser mit einem Looping auf die Gnadenmittel über. „In irgendeiner Wüste der Leidenschaft ging dessen Lebensflug kläglich zu Ende – weil er vergessen hatte zu tanken!“ Dabei gibt es unzählige Tankstellen im Lande, und bevor die Zapfsäulen feierlich entriegelt werden, läuten nach alter Sitte die Glocken.

Gottlob brauchen wir Menschen uns nicht mit Petroleum vollaufen zu lassen, sondern „den Herrn, der hier unter Brotsgestalt freiwillig unser Gefangner ist“ – wie Kaplan Lutz es unter dem Schnappschuß eines Tabernakels in einer längst vergessenen Knabenzeitschrift empfiehlt –, bloß „öfters einmal besuchen“.

Pralle Segel

Lutz liebt das Spiel mit dem Feuer. Bereits 1952 legt er mit Der Dohlenhof brennt eine  „Erzählung für Mädchen“ vor. 1957 folgt Der Feuerregen, ein „Firmungsbuch für Jungen“. Das Buch sei „so spannend wie ein Kriminalroman“, urteilt „Stadt Gottes“, die Familienzeitschrift der Steyler Missionare. Daß so mancher Bub trotzdem lieber den Dohlenhof unterm Kopfkissen hat, verdankt sich dem Umstand, „daß einem beim Lesen vor Spannung bald die Hose platzt“ – ein vom Verlag gestreutes Gerücht, der mit solchen Slogans  auch Mädchenbücher wie Theaterskandal im Altersheim anbietet.

Was aber tun, wenn der Hosenstall in Flammen steht? Das heimliche Königreich, das sich fast so prasselnd liest wie der Dohlenhof, weiß Rat. „Ein Gegenfeuer anzünden ist die beste, ja oft die einzige Rettung, wenn das Feuer der Leidenschaft aufflackt. Wenn dann ein unschöner Gedanke kommt, findet er nirgends Nahrung. Und sackt in sich zusammen.“ Wen erinnerte  das nicht an die „Daktari“-Doppelfolge „Der Busch brennt“? Dort rettet die Schimpansendame Judy mit einem kleinen Streichholz eine Nashornherde und später die  Wameru-Tierstation.

Werfen wir einen Blick auf die Gegenfeuerliste für Mädchen, wie Lutz sie in Das heimliche Königreich zusammenstellt. „Zum Beispiel sticken, stricken, häkeln, einen Scherenschnitt anfertigen“, „ein Lied auf der Flöte spielen“ und „beten!“ („Je mehr man betet, desto mehr kann man beten“, lautet ein altes Wort des Pfarrers von Ars, und „wenn man gebetet hat, schmeckt einem auch das Essen besser“, lehrt Hermann Skolaster, 1926 bis 1939 Professor für Homiletik an der Theologischen Hochschule der Pallottiner in Limburg.)

„Unser ganzes Leben“, vertieft Lutz in Briefe an Ursula die Problematik, sei „eine `Handarbeit`. Und zwar für Gott!“ Und dem könne man „nichts Durchschnittliches, Fehlerhaftes, Halbvollendetes anbieten“. Und wir Buben? Auch uns helfen „kleine Tricks“. „Briefmarken ordnen, ein chemisches Experiment anstellen“; „etwas Interessantem zuschauen, am Rangierbahnhof zum Beispiel, an der Schleuse“; oder „eine Stange auf den Fingerspitzen balancieren“.

Nanu? Eine Stange auf den Fingerspitzen balancieren? Unwillkürlich denkt der Leser an Peter legt die Latte höher – jenes Vademecum, das der Arena-Verlag, zur vorläufigen Krönung seiner kleinen Geschlechterkunde, 1954 in Halbleinen vorlegt. „Ein Buch für Jungen zum Größerwerden“ hat der Verfasser – nicht ohne Augenzwinkern – auf den Schutzumschlag schreiben lassen, auf dem dem Betrachter ein junger Mann mit dem Hinterteil ins Gesicht springt. Einer Körperregion, die in katholischen Kreisen „der Allerwerteste“ heißt – da halten´s die Katholiken mit den Pfadfindern.

Über seinen Allerwertesten hat der junge Mann eine Turnhose gespannt, denn in Peter legt die Latte höher geht´s um Leibeszucht in ihren abscheulichsten Spielarten, per Reck oder Pferd, Medizinball oder Barren. („Sport – was das überhaupt soll?“ schrieb Walter Kempowski im Februar 1991 in sein Tagebuch. „Allenfalls Kutschenfahren, das gefällt selbst den Pferden, wenn sie so zu viert, sechst oder gar acht eine winzige Kutsche ziehen.“)

Wir lesen Anheimelnd-Unheimliches vom „Korbballspiel unter Kronleuchtern“, vom „Tanz der Pagen“, und in Kapiteln wie „Gischtende Brandung“ oder „Pralle Segel“ wird, typisch Lutz, zum hundertsten Mal das Märchen von den „drei Stengeln“ erzählt. (Überhaupt ist Lutz ein Meister der Zweit- und Drittverwertung. Noch im Spätwerk Guten-Tag-Geschichten für Sie und durch Sie vielleicht für andere, das der Echter-Verlag 1984 herausgibt – das Geleitwort lieferte ein Dr. Meisenzahl, der den Verfasser ehrfürchtig neben Kafka stellt –, recycelt der vielleicht beste Kenner der Erektion, den die katholische Belletristik vor 1968 hatte, Mild-Versponnenes aus seiner Sturm- und Drangzeit und glüht dabei wie ein Milchbart.)

Das Lied der Grätsche

„Kerle mit schiefem Kopf, hängenden Ohren und wackeligen Knien taugen nicht für das Reich Gottes!“ hatte Alfons Ruß in seinem Zeltlagerroman Die Steine der kommenden Zeit dekretiert. „Ja, du Freund des grünen Rasens und des runden Leders und der Torlatte“, formulierte es Erich Rommerskirch in seiner Fahrtenerzählung Jungen im Gottesreich etwas gedämpfter, „die passen also sehr gut zusammen: das gebeugte Knie in der Kirche und die strammen Beine auf dem Rasen. Die gefalteten Hände und die geballten Fäuste des Boxers.“

Und so singt auch Peter legt die Latte höher, fröhlich wie die Lerche im Frühling, das Lied der Grätsche. „Sich an die Kandare nehmen“ lautet das Motto der 205 aufgekratzten Seiten. „Fick dich selbst, dann fickt dich Gott“, würde man heutzutage – in den Umkleidekabinen und auf den Bolzplätzen – vielleicht sagen.

Wer „Augen und Ohren in Zucht“, wer – oben am Seil, unten auf der Matte – „die Tore seiner Phantasie“ verschlossen hält, dem winkt süßer Lohn, wenn nicht Ruhm und Gold. Der kann es bis zum Polarforscher, Tiefseetaucher, Rekordflieger oder Geigenkönig bringen, wie vier der Lutzschen Traumberufe heißen, an deren Spitze der Priesterstand mit seinen verästelten Weihegraden, seinen fein abgestuften Ämtern und Rängen steht.

Die Wasser, welche die größten Turbinen treiben, werden zuvor unerbittlich gestaut“, expliziert Lutz – mit einem stimmigen Bild aus Natur und Technik – das Gesetz der Mannwerdung, und der Romancier Jules Verne gibt ihm recht: „Wenn Kanoniere nicht Herren ihrer Kugeln sind, dann sind es keine Kanoniere mehr!“ philosophiert einer seiner  Astronauten in Reise um den Mond. „Kommandiert das Geschoß den Kanonier, so muß man den Kanonier statt des Geschosses in die Kanone stecken.“

„Herr“, hatte der Sprücheklopfer Tertullian um 200 nach Christus gebarmt, „nimm mich zu harter Übung weg vom freien Spiel. Sondere mich ab zu strenger Zucht. Gib mir Zeit, mich tüchtig zu machen. Zwing mich. Plag mich. Mache mich müde.“ Und, ergänzt Lutz neckend, „wenn wieder ein Tag vorüberging und Du sauber geblieben bist? Sag`, macht Dich so etwas nicht froh?“

Und wenn wir trotz aller Plackerei schwach geworden sind? Dann sammelt sich, zwischen zwei Samenergüssen, Kraft im Gebet. „`Ich will mich wieder tüchtig plagen; gib mir dazu neu Deine Gnade!` Solange Du ehrlich so zu Gott sprechen kannst, bist Du noch auf der leuchtenden Straße“, tröstet der Würzburger seine Pappenheimer, jene Schwachmaten, die „der Kampf um die innerste Sauberkeit bisweilen die Fäuste ballen läßt, daß die Knöchel weiß werden vor Schmerz“.

Die, kaum aufgewacht, „der Drache der Gemeinheit“ anschnaubt, und, kaum eingeschlafen, „die Riesenmuschel der Unsittlichkeit“ umgarnt. („Ja, der Gott des Traumes“, läßt Karl May die reizende Madelon Köhler in Die Liebe des Ulanen seufzen, „zeichnet mit phantastischen Stiften …“) Anfechtungen, vor denen auch das schöne Geschlecht nicht gefeit ist, man denke an „die lange lange Schlange“, mit der alte Mädchen wie Hera Lind zu kämpfen haben: „Die lange lange Schlange / Steht vorm Damenklo / Vorm Damenklo / Das ist nun mal so“, trällert sie auf ihrer CD „Du wirst nie eine Dame“, und wird schon wissen, wovon sie singt …

Blühender Dorn

Auch wenn keine Giftschlange darin vorkommt, zuweilen liest sich Noch viel schöner, Ursula! fesselnder als Das Dschungelbuch. „Jäh aufbrüllend fuhr er hoch, duckte sich zu furchtbarem Sprung“, hören wir im 42. Kapitel von einem Leoparden, der die kleine Gisela bespringen will. Die hatte sich aus Jux und Dollerei in den Käfig geschlichen und dem schlummernden Dschungelräuber kleine Steinchen ins Gesicht geworfen.

„Denk nicht“, schließt Lutz sein Gleichnis, „daß Du den Geschlechtstrieb jemals so unumschränkt in die Gewalt bekommen hättest, daß Du Dir alle möglichen Unklugheiten und Unbeherrschtheiten leisten kannst! Unerwartet springt Dich die Leidenschaft an, und Du sitzt in der Klemme und kommst nicht mehr frei! Vor allem gilt es, die Absperrgitter der Schamhaftigkeit nicht zu überspringen …“

Absperrgitter, deren Stäbe nicht aus Weingummi und Marzipan, sondern aus Verboten bestehen, demselben Material, aus dem auch „die Seitengitter der Zugbrücke, die ins heimliche Königreich führt“, geschmiedet sind. Denn „wenn der Feind erst mal in der Königsburg steht, ist es für eine Verteidigung zu spät“ …

Text: Wenzel Storch

Text erschienen in „konkret“ 9/2010

Fortsetzung fogt:

FKK-Messen und Swingergottesdienste – ein Blick auf die Kirche von morgen