Guckkasten

In seinem „Universum der Dinge“ sammelt Konrad Paul Liessmann alles, was da ist. Für eine Ästhetik ist das zu wenig.

Kopfhörerständer Kirschbaumholz, Manufactum, 99 Euro

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In den Texten des Buches geht es immer auch um eine Diagnose der Gegenwart, und sie schwebt zwischen Gelassenheit und Wehmut. Liessmann ist kein dunkler Kulturpessimist, dass heutzutage zwischen Kunst und Alltag, zwischen Kunst und Kitsch, zwischen Kunst und Event nicht mehr richtig zu unterscheiden ist, nötigt ihm kein großes Lamento ab, eher eine nachsichtig ironische Haltung: „Vielleicht müssen wir uns zu der für viele unangenehmen Einsicht bequemen, dass die kurze Zeitspanne, in der die europäische Kunst als ein autonomes Projekt betrieben wurde … zu Ende geht.“ Alles ruht also in einem leisen Optimismus – „die Kunst wird man nicht los“ – und doch gibt der Nachdenkliche auch seinen mitunter etwas bieder klingenden Besorgnissen Ausdruck. Er sorgt sich um die Stille, die verloren geht, um die Erotik, die in Talkshows zerschreddert wird, um das Sein, das durch bloßes Sehen durch Guckkästen ersetzt ist.

Liessmann wandelt als Flaneur zwischen seinen Themen einher, und seine Ausführungen sind von gewandter Gelehrsamkeit. So erklärt er etwa, was Kitsch ist und warum man ihn fürchtet, oder er erläutert die Funktionsweise des Geldes, das, weil selbst charakterlos, alles miteinander verbinden kann. Geld in seiner „Wertaufbewahrungsfunktion“ wird hier auch geschickt als „erstarrte Zeit“ gedeutet. Mit der Charakterisierung des Fußballs als archaischem Aufstand kriegerischer Meuten wird der Autor sich nicht nur Freunde machen, eher schon mit seiner gelungenen Charakterisierung der Erotik als „Schöpferischem“, die auch begründen kann, warum Kunst wesentlich einen Eros trägt.

Lockeres Flanieren passt gut für erbauliche Lektüren. Doch das ist eben auch ein Problem. Denn nichts hilft darüber hinweg, dass dieses Buch eine Sammlung verschiedenster bereits publizierter Texte zu allem Möglichen ist. Man hätte besser daran getan, das auf sein Cover zu schreiben, als ein Universum zu versprechen. Denn was als Aufsatz funktioniert, ist im Buchkontext zu wenig. Um aus „Alltag und Ästhetik“ eine Ästhetik des Alltags zu machen, bedarf es mehr als der fadenscheinigen Klammer, jedes Kapitel mit demselben Mustersatz anzufangen. Natürlich ist nichts ist gegen eine Sammlung von Aufätzen zu sagen, wohl aber gegen die Attitüde der scheinbar sinnvollen Addition. Die rein additive Aufreihung ist auch stilistisch etwas, das in dem vorliegenden Buch ziemlich auf die Nerven geht. Um zu gelingen, braucht Aufzählung Präzision, Dichte und sprachliche Rhythmik, sonst funktioniert sie nicht. Und sie sollte sich nicht zu oft wiederholen.

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Wenn Philosophie zu einfach wird, verschleudert sie billig,

was ihr wesentlich ist: komplexes Denken.

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Liessmann aber sammelt, er beschreibt nicht wirklich detailliert Alltag, sondern fügt hinzu, was es so gibt, was dazu auch noch einfällt. Die im Ansatz vorhandenen systematischen Betrachtungen über Alltag und seine Ästhetik bleiben nutzlos im Raum stehen. „Alles ist da“, ja schön, aber warum muss man so viele Buchzeilen damit füllen? Warum muss jeder zitierte Autorenname gleichförmig mit ein bis zwei Adjektiven dekoriert sein, und zwar immer in derselben Reihenfolge: „der deutsche Philosoph und Misanthrop Arthur Schopenhauer“, „der mittlerweile vergessene Philosoph Georg Lukacs“, „der nicht unumstrittene Philosoph Arnold Gehlen“, „der amerikanische Philosoph Arthur C. Danto“? Wozu braucht man eine ganze Seite (86) mit besinnlichen Fragen zur Musik, und warum muss man immer im Stil des vereinnahmenden „wir“ über die Welt reden? Natürlich, diesem Buch kann man nur aufzählend beikommen. Oder exemplarisch: Eine Hommage ans Rennrad ist eine schöne Sache. Dass diese wesenhafte „Faszination der Geschwindigkeit“ aber mit einer Beschreibung des Fitnessstudios enden muss, ist weder einzusehen noch elegant und auch nicht durch das Bonmot „der eigentliche Modus der Bewegtheit heute ist das Angeschnalltsein“ zu retten. Da wurde kurzerhand aus zwei Texten einer gemacht, es geht ja ums Rad, und sträflicherweise hat das Lektorat auch manchen Unsinn stehen gelassen, der eher diktiert als geschrieben klingt: „Seit Peter Konwitschny in seiner fabelhaften Grazer Inszenierung von Richard Wagners Der fliegende Holländer die Gespielinnen der erlösungssüchtigen Senta aus der Spinnstube verbannte und auf Spinning-Räder setzte, ist Spinning auch für Intellektuelle eine akzeptable Form der Körperarbeit geworden.“ Na denn.

Nichts für ungut, es gibt starke Stellen im Buch, und Konrad Paul Liessmann wird zu Recht dafür gelobt, klar und verständlich zu schreiben. Zu Recht wird er auch gelobt dafür, über die Philosophenzunft hinaus zu wirken. Und doch macht er es allen zu einfach. Leichtigkeit ist eine Tugend, mit der die Philosophie nicht nur aus Eitelkeit auf Kriegsfuß steht. Zu Beginn spricht Liessmann vom Luxus der Philosophie, unnütz zu sein, überflüssig und praxisfern. Das ist eine große Weisheit, doch sie bedeutet nicht, dass Philosophie nichts mit Arbeit zu tun hätte. Im Gegenteil, der Luxus der Philosophie besteht gerade darin, dass sie über Gebühr schwierig und sperrig ist. Das spricht nicht gegen eine „Metaphysik der Gebrauchsgegenstände“, nur müsste sie verstörender ausfallen. Wenn Philosophie zu einfach wird, verschleudert sie billig, was ihr wesentlich ist: komplexes Denken.

In seiner Beschreibung der gegenwärtig überbordenden Eventkultur findet Liessmann eine Beruhigung, nämlich, dass das kommerzielle Event niemals ohne Kultur auskommen könne. Das Marketing braucht ja einen Inhalt, den es zum Ereignis machen kann. Das ist positiv gedacht. Doch wird man die Kunst – und die Philosophie – wirklich nicht los? Es gibt etwas zu verlieren. Wenn immer sofort „alles da“ ist, vergisst man zu vermissen, was fehlt.

Text: Andrea Roedig

Teaser Bild auf Startseite: Ausschnitt aus Buch-Cover, © Zsolnay

Text zuerst erschienen in: Die Presse



Konrad Paul Liessmann:

Das Universum der Dinge. Zur Ästhetik des Alltäglichen.

Zsolnay, 207 Seiten


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