Triumph der Dummheit

Bisher galt Shakespeares Tragödie als einer der kraftvollsten Beispiele für ein Theater, das Vernunft und Verstand preist. In Düsseldorf ist nun zu erleben, dass es auch anders geht, ganz anders.

Zunächst mutet es interessant an, dass Regisseurin Bernadette Sonnenbichler in ihrer Inszenierung zwei Aspekte betont: die jungen Leute muten nahezu durchweg kraftstrotzend an, getrieben in ihrem Denken und Tun vor allem von Wut auf alle und alles. Die Alten, vertreten hauptsächlich von Julias Eltern, wirken tumb und ungebildet. Nichts da von bürgerlichem Anstand, nirgends. Karikaturen von Charakteren treten auf, selbst Julias Amme strahlt nichts von Hingabe oder gar Liebe aus, auch Pater Lorenzo steht durchweg unter Dampf. Schimpf gibt den Ton an, wobei gern schwulenfeindliche Schlagworte zur Charakterisierung unliebsamer Mitbürger benutzt werden. Wer anders denkt, ist eine „Schwuchtel“. Es ist eine kalte, herzlose Welt, die vorgeführt wird. Um das zu verschärfen, wurde die Vorlage kräftig eingestrichen. Der Fürst von Verona, bei Shakespeare eindeutig eine Stimme des Geistes, kommt zum Beispiel anfangs gar nicht zu Wort, spielt nur einmal, kurz vor dem Finale, eine Rolle, wenn berichtet wird, dass er Romeo nach einer Bluttat nicht zum Tode verurteilt, sondern in die Verbannung schickt. Auch Romeos Eltern sind nicht zu erleben. Sie passen nicht in ein Konzept, das auf Krawall aus ist.

Interessant an der Figurendeutung ist, dass die Protagonisten hier so gut wie nie miteinander spielen, meist nebeneinander. Es wird mehr ins Publikum gesprochen denn von Mensch zu Mensch auf der Bühne. Da wirkt der Romeo denn erstaunlich blass. Leidenschaft? Fehlanzeige! Ausnahme: Julia, von der hoch begabt anmutenden Lou Strenger mit Verve verkörpert als gehöre sie nicht in diese Aufführung. Ihre intelligente Interpretation einer jungen Frau im Kampf um Selbstbestimmung wird leider von der weithin waltenden grellen Oberflächlichkeit an den Rand gedrängt. Tonangebend sind laute Effekte, wie etwa raffiniert choreographierte Kampfszenen. Auch die Windmaschine darf zum Einsatz kommen. Dank ihr lässt sich der zunächst vorgetäuschte Suizid Julias als Event verkaufen, das Sterben als schicke Show. Gehen die Zwei dann wirklich in den Tod, ist zwar Schluss mit dem grellen Gejaule, doch gedankliche oder emotionale Tiefe ist auch dann nicht auszumachen. Optischer Schick, hergestellt mit den üppigen weißen Stoffbahnen des Kleides, das Julia hier trägt, sorgt für Schauwert.

Bei Shakespeare führt das grausame Ende der Liebenden dazu, dass sich die Elternpaare versöhnen. Ganz anderes passiert in Düsseldorf, da grad Wilfried Schulz, zuletzt in Dresden amtierend, als Generalintendant die Führung übernommen hat. Hier nun rufen Überlebende, angeführt von Julias Eltern, zu Mord und Todschlag auf. „Verbrennt Verona!“ heißt es gar. Statt Shakespeares Intention zu folgen, das Schreckliche als Mahnung zu werten, wird behauptet, dass es keinen Sinn mache, mit Leuten friedvoll oder gar freundschaftlich umzugehen, die dem eigenen Lebenskonzept nicht entsprechen. – Ja, Theater darf, muss, Grenzüberschreitungen wagen. Diese hier ist allerdings nicht nur geschmacklos, sie ist gefährlich. Denn bar jeder Reflexion wird in Düsseldorf aus Shakespeares Stück der Schluss gezogen: Miteinander-Reden ist sinnlos, sich mit vermeintlichen oder wirklichen Feinden auseinanderzusetzen überflüssig. „Verbrennt Verona!“ ist, denkt man an das, was hierzulande viel zu oft Flüchtlingen „beschert“ wird, was es an Stammtischdiskussionen zu Syrien gibt, höchst fatal. Damit spielt diese Inszenierung nicht nur auf fahrlässige Weise mit dem Feuer, sie reicht Leuten aus dem fanatisierten rechtsradikalen Milieu brennende Fackeln. Der Abend zeigt nicht wohin Dummheit führen kann, er endet in Dummheit.

Peter Claus

über die Premiere am Düsseldorfer Schauspielhaus | 23. September 2016

Bild:Romeo and Juliet (Ford Madox Brown | Delaware Art Museum in Wilmington)

Credit Line: Samuel and Mary R. Bancroft Memorial,  gemeinfrei