Es muss nicht immer laut und vordergründig zugehen, wie in „It Can’t Happen Here“ auf der Bühne der Kammerspiele des Deutschen Theaters Berlin, um sich mit gesellschaftspolitisch brisanten Fragen der Gegenwart auseinanderzusetzen. Anders als diese Stückfassung des Romans von Sinclair Lewis, womit am DT die Saison 2017/18 eröffnet worden ist, gehen andere neue Inszenierungen subtiler vor und reichen sich damit, trotz starker formaler Unterschiede, auf schöne Weise sozusagen die Hände.

Zwei Highlights sind zu vermelden: An der Schaubühne Berlin hat Herbert Fritsch seinen Regie-Einstand mit „Zeppelin“ gegeben, einer Collage, die auf Texten von Öden von Horvath basiert. Mit schwarz-bitterem Humor zeigt Fritsch seine Sicht auf eine Welt, in der alle Menschlichkeit nur noch Ware ist, Ware, die profitgierig verramscht wird. Da turnen, flattern, hetzen die Akteure unter, über, durch das Gestänge eines Zeppelins, eines Luftschiffs. Sie suchen Schlupflöcher, in denen sie, wider die Normen der Masse, ihre Individualität ausleben können – und sie suchen nach Möglichkeiten, denken zu dürfen. Stilistisch in der Tradition großer Clowns, wie etwa Chaplin, Tati oder Etaix, versucht Fritsch, das Publikum zum Nachdenken über den Zustand der bürgerlichen Welt zu animieren. Sehr klug, sehr wirkungsvoll, sehr hintergründig.

Hintergründig auch, und ebenso wirkungsvoll: Shakespeares „Der Sturm“, im temporären Theaterzelt des Düsseldorfer Schauspielhauses von Liesbeth Coltof inszeniert. Sie setzt auf die Kraft des Märchens, spart die Komik nicht aus, verrennt sich aber erfreulicherweise nicht in Tändeleien. Immer wieder bündeln starke Bilder das Geschehen, etwa wenn gegen Ende unzählige Blätter aus dem Buch des Prospero dem Wind anheim gegeben werden, um so nicht Zauberei und Verführung und Ideologie, sondern dem Mensch-Sein, mit allen Stärken und Schwächen, zu Recht das Feld zu überlassen.

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Der Sturm von William Shakespeare | Regie: Liesbeth Coltof | Mit den Ensembles des Jungen Schauspiels und des Düsseldorfer Schauspielhauses | Foto: David Baltzer

Auch hier, wie bei Fritsch: Mut zur Überzeichnung, zum Surrealen, zum Skurrilen, zum Deftigen, zum großen Gefühl. Auch dies ist eine Inszenierung, die auf den ersten Blick vor allem Unterhaltung bietet, diese jedoch in Wahrheit nutzt, um subtil die Realität zu spiegeln. Man verlässt das Theater angeregt, vom Gesehenen ausgehend über das Leben nachzudenken und zu diskutieren, sich selbst vielleicht auch hier und da in Frage zu stellen. Was mehr kann Kunst erreichen?

Peter Claus

Bild ganz oben: Zeppelin | Schaubühne Berlin | Jule Böwe, Axel Wandtke, Florian Anderer, Bastian Reiber, Carol Schuler, Ruth Rosenfeld, Alina Stiegler, Werner Eng | Foto:  © Thomas Aurin