Das Schlosspark Theater in Berlin bietet mal wieder einen Coup

Uff – der alte Schinken? Genau, eine Adaption des Romans von Alexandre Dumas d. J. Von alt kann allerdings nicht die Rede sein. Die Theaterfassung von Ulrich Hub ist nicht nur relativ neueren Datums, sie ist frisch, auf kluge Art heutig, ohne sich sprachlich anzubiedern, hat die Handlung raffiniert gerafft – und bietet guten Schauspielern jede Menge Futter, um zu brillieren. Regisseur Philip Tiedemann entspricht dem Stil Hubs mit einer im besten Sinn schlichten und geradlinigen Inszenierung. Kein Firlefanz, keine Exaltiertheit, aber ebenso wenig traniges Pseudopsychologisieren. Statt dessen hat er den Schauspielern exquisite Spielfelder geschaffen. Denen auch das einfallsreiche Bühnenbild von Stephan von Wedel dient, der ebenfalls für die geschmackvollen Kostüme verantwortlich zeichnet. Dominiert von durchscheinenden Vorhängen, einem Kronleuchter und einem Flügel, wird die Bühne zur Welt.

Die Story erzählt das Bekannte: Die Kurtisane Marguerite liebt Armand und er sie. Doch die Konventionen bringen sie auseinander. Was den Tod der schwerkranken Frau beschleunigt.

Ohne erhobenen Zeigefinger, ohne moralinsaures Gebaren, zielt die Geschichte hier auch auf Heutiges: Hintersinnig werden verlogene gesellschaftliche Regeln angeklagt. Sehr wirkungsvoll. Auf leisen Sohlen schleicht sich da nämlich in den Köpfen der Zuschauer ein Nachdenken über gegenwärtige Frauenbilder und die Entfaltungsmöglichkeiten von Frauen: Das Dasein dieser Marguerite, hier, auf der Bühne, beherrscht, ausgebeutet, benutzt von vier Männern, ist nur auf den ersten Blick weit entfernt von dem vieler Frauen heutzutage. Und wir wissen es: Ginge es nach den selbstgefällig-engstirnigen Ewig-Vorgestrigen in den politisch rechtskonservativen Kreisen, dann gäbe es wieder Marguerites en masse …

Star des Abends ist Anouschka Renzi, ganz ohne Star-Allüren und fern von sentimentalen Posen. Sie entwickelt das facettenreiche Bild einer durchaus komplizierten Persönlichkeit, eines Menschen, der das eigene Glück zwingen will, aber nicht die Kraft hat, Grenzen zu überschreiten. Renzi zeichnet die Figur mit bemerkenswerter Stimmbeherrschung: jeder Gefühlsschwankung gibt sie damit scheinbar wie nebenbei schillernden Ausdruck. Dazu kommen ihre nuancierte Mimik und die ebenso vielfarbige Körpersprache: eben Raubtier, ist sie sofort Kind, dann Lady, dann Gossengöre. Faszinierend! Wer hochkarätiges Schauspiel sehen möchte, sollte sich das nicht entgehen lassen. Arne Stephan als Armand, Joachim Bliese als dessen Vater, Fabian Stromberger als Marguerites Gönner Arthur und Oliver Nitsche als ihr Freund, ein flippiger Modegestalter, halten mit Anouschka Renzi mit, machen aus den Typen mit unaufdringlichen, durchweg hochkonzentrierten Interpretationen Charaktere.

Nein, das ist nicht avantgardistisch, das ist nicht modisch, das ist nicht vordergründig sozialkritisch. Das ist feines, intelligentes Unterhaltungstheater, das einen erst einmal emotional packt und das dadurch einiges an Nachdenken über den Zustand der Welt auslöst. So was sucht man an vielen Theatern vergebens.

Peter Claus

Foto oben: „Die Kameliendame“ | Renzi, Stephan, Bliese (hinten) | © DERDEHMEL / Urbschat  

MEHR INFORMATIONEN: schlosspark-theater.de