Der neue Film des im Iran unter Berufsverbot stehenden Regisseurs

Der Film beginnt mit einer Video-Botschaft, einer verzweifelten Anklage, einer drohenden Ankündigung. Eine junge Frau (Marziyeh) spricht in die Kamera. Unter Tränen erzählt sie von ihrer großen Leidenschaft. Sie wäre gerne Schauspielerin geworden, hat die Aufnahmeprüfung in Teheran bereits geschafft, doch nun verbietet ihr die Familie ein weiteres Studium, will, dass sie heiratet und in ihrem Dorf bleibt. Mehrfach habe sie sich an Behnaz Jafari gewandt – eine landesweit bekannte und erfolgreiche Schauspielerin – von ihr habe sie sich Unterstützung erhofft, aber nicht erhalten. Am Ende dieses dramatischen Monologes sieht man Marziyeh mit einer Schlinge um den Hals, man hört einen Sprung … Ende der Message.

Dann taucht das zweite Gesicht auf. Es ist das von Jafari, die sich selbst spielt im Film. Das Suizid-Selfie hat sie über Umwege erhalten, nun fühlt sie sich Schuld am Tod dieses Mädchens. Sie bricht ihre aktuellen Dreharbeiten ab und fährt mit einem befreundeten Regisseur los (auch Panahi spielt sich selbst), um herauszufinden, was wirklich passiert ist.

Seit vielen Jahren hat der iranische Regisseur Jafar Panahi Berufs- und Ausreiseverbot. Wie er es trotzdem immer wieder schafft seine Filme zu produzieren bleibt ein Rätsel. Kreisten seine Filme „This Is Not A Film“ (2011), „Closed Curtain“ (2013) und „Taxi Teheran“ (Goldener Bär, 2015) primär um seine eigene künstlerische Unfreiheit, so verschiebt sich in „Drei Gesichter“ der Fokus. Hier geht es um die Frauen im Iran, die sich der Schauspielkunst verschrieben haben und die deshalb gesellschaftlich geächtet und sanktioniert werden. Marziyhe steht die traditionelle Dorfgemeinschaft im Weg. Jafari hat zwar eine Art Karriere gemacht, aber man ahnt wie steinig der Weg dahin war, und Shahrazade – das dritte Gesicht – lebt fernab der Stätten ihres einstigen Ruhms. Sie, die vor der Revolution eine gefeierte Diva, Tänzerin und Schauspielerin war und dann Berufsverbot erhielt, taucht zu ihrem eigen Schutz im Film nur als Silhouette auf.

Doch zunächst geht es um die Reise in das Dorf des Mädchens, ins Grenzland zu Aserbaidschan, die Heimat des Regisseurs. Genau wie in „Taxi Teheran“ hält auch hier Panahi das Steuer in der Hand. Und wieder fungiert das Auto als Beobachtungs- und Kommunikationsraum, als der Ort, an dem sich Konflikte ungehemmt entladen und vorhandene Zweifel formuliert werden. Lange Zeit wissen in „Drei Gesichter“ weder die Protagonisten, noch die Zuschauer, was eigentlich „gespielt“ wird. Darüber erhält der Film seine Spannung. Ist das Video echt? Oder ist das Ganze eine raffinierte Inszenierung? Führt das Mädchen die Schauspielerin vielleicht nur an der Nase herum, weil sie die ihr zur Verfügung stehenden Medien-Techniken geschickt einzusetzen weiß? Panahi und Jafari schätzen das alles jeweils unterschiedlich ein. Irgendwann auf der beschwerlichen Fahrt taucht noch ein anderer Verdacht auf. Könnte es sein, dass der Regisseur seine Schauspielerin mit diesem fiesen Trick testet? Denn in einem seiner nächsten Filme soll es es um das Thema Selbstmord gehen.

Was stilistisch als eine Art „fahrendes Kammerstück“ beginnt – Zweifel, Verzweiflung, Ver- und Mißtrauen sind hier die großen Themen – ändert sich komplett in der zweiten Hälfte des Films. Weit entfernt vom Machtzentrum Teheran und in heimatlichen Gefilden kann das Schutzgehäuse „Auto“ endlich verlassen werden. Unter freiem Himmel wird jetzt gedreht, in den Dörfern einer steinigen Berglandschaft. Die Suche nach dem Mädchen gerät dabei in den Hintergrund.

Panahi zeichnet hier das Bild einer eigenwilligen, von der Moderne unberührten Gesellschaft mit ihren merkwürdigen Ritualen und Regeln. Immer wieder geht es dabei auch um das breite Spektrum männlichen Dominanz-Verhaltens. Bedrohlich, subtil, aber auch humorvoll wird dies geschildert. Irgendwann stellt sich dann auch heraus, dass Marziyeh lebt, daß sie genügend Kraft haben wird ihre Ziele zu verfolgen. Darauf deutet das letzte Bild hin. Man sieht eine kurvige Straße, Jafari hat das Auto verlassen, geht ein Stück alleine zu Fuß. Da kommt ihr plötzlich Marziyeh nachgerannt, zusammen setzen die Frauen ihren Weg fort, während sich von unten Lkws mit jungen Stieren mühsam den Weg nach oben bahnen.

Panahi, der zuweilen etwas zu selbstverliebt wirkt in der Rolle des stets die Souveränität behaltenden Beobachters, war lange Jahre Assistent von Abbas Kiarostami. Anlehnungen an dessen große Werke wie „Der Wind wird uns tragen“ (1999) oder „Der Geschmack der Kirsche“ (1997) sind deutlich spürbar. Sofort möchte man sich diese Filme wieder anschauen. So sind die „Drei Gesichter“ letztendlich vielleicht weniger ein Roadmovie zum Thema Frauenemanzipation, als vielmehr eine Hommage an diesen Großmeister des iranischen Kinos.

Daniela Kloock