Der Großstadtkrimi ist eines der wenigen Genres des populären Films, die in Deutschland halbwegs funktionieren. Das kommt unter anderem daher, daß hier der Druck der Provinz so stark ist wie nirgends. Während in Wirklichkeit die Provinz die Großstadt längst erobert hat, verlangt sie hartnäckig von ihr ein trübes Schauspiel. Als Traum des Provinzspießers ist die Großstadt verpflichtet, großes Leben in der kleinsten Form zu produzieren. Und daher muß das Verbrechen, das für dies große Leben garantiert und davor warnt, nur hier stattfinden. Die Großstadtkultur hat ausschließlich in der Unterwelt überlebt. Sie produziert die schönen Verlierer, die jede Nacht einen Roman erleben.

Unter den deutschen Schlagersängern ist Peter Maffay der einzige, der so etwas wie street credibility und stage credibility aufzuweisen hat. Er singt kaum besser als die anderen, und seine populären Songs gehören zu der Musik, wegen der man alle drei Wochen einmal sein Radio an die Wand schmeißt. Aber der Kerl sieht aus wie eine Ratte, und einem Kerl, der aussieht wie eine Ratte, verzeiht man fast alles. Die Ratten sind die Nigger der weißen Popkultur.

Peter Patzak, der österreichische Regisseur, hat einen knallharten, sentimentalen, verkaterten, deutschen Großstadtkrimi mit einem überwältigend rattenhaften Peter Maffay in der Hauptrolle gedreht.

Patzak baut ein Kino-Hamburg vor uns auf, in dem jeder eine genau definierte Rolle spielt: der Killer, der Boß der Bosse, das Opfer, der korrupte Polizist, die Schöne, der gebrochene Polizist und sein Freund, der aufrechte Polizist. Das ist ein gutes Blatt, aber zwei Dinge passieren, die alles durcheinanderbringen, und beide haben mit dem gebrochenen Polizisten zu tun. Zum einen hat die Schöne mit dem aufrechten Polizisten eine Affäre, von der der gebrochene Polizist scheinbar noch nichts weiß, und zum anderen wird in der Unterwelt gleich zweirmal falsch gespielt. Bei einem Anschlag auf das italienische Restaurant der Schönen wird auch der Polizist Bogdan zum Opfer. Er verliert seine Gehfähigkeit und seinen Job. Den obligatorischen Rachefeldzug unternimmt er im Rollstuhl. Um die Spielregeln zu erhalten, stellt sich der Killer auf seine Seite. So kommt der Joker ins Spiel und verwirrt die Spielenden. Bogdan übersteht Mordanschläge, kommt aus seinem Rollstuhl wieder heraus, akzeptiert den Verlust der Schönen, überhaupt den Verlust aller Sicherheit, kämpft, verliert dann noch den Freund, den aufrechten Polizisten. Da er nicht werden will wie der korrupte Polizist, arrangiert er sich anders, übernimmt das Lokal. Der Platz der Ruhe scheint gefunden, da wird er erschossen.

Von der Verzweiflung flieht der Actionfilm ins Ritual. Und vor der Banalität flieht er in die Bewegung. In seinen besten Momenten ist DER JOKER nur noch eine Handbreit von großem, physischem B-Film entfernt. Vielleicht, weil er sich ganz rattenhaft mit provinziellem Hunger auf die großen Happen stürzt und der Film keinen anderen Ehrgeiz entwickelt, als in Bewegung und am Leben zu bleiben. Glück gehabt.

Autor: Georg Seeßlen

Text veröffentlicht in epd Film 12/87