Er war nicht der größte der Helden im Trash-Kosmos der westdeutschen Nachkriegszeit. Winnetou war sexiger, die Inspektoren in den Edgar-Wallace-Filmen waren schwiegermutter-kompatibler, Götz Georges Schweiß war echter, bei Dr. Mabuse ging es grusliger zu, Sigurd war ritterlicher und die Schulmädchen, na, lassen wir das. Aber siebenter Platz ist doch auch nicht schlecht für G-Man Jerry Cotton im Olymp der Pop-Mythen, oder?

cotton300 Jerry litt heftig unter einer Krankheit der populären Kultur in Deutschland, für die Karl May das Modell gegeben hatte: Vom Helden wurde behauptet, total authentisch zu sein. Alles echt erlebt. Die Heftromane, die seit dem Herbst 1954 in der BRD herausgegeben wurden (später gab’s noch unangenehme Streitereien um Autorenschaft und Copyright) taten so, als wären sie „dokumentarische“ Wiedergaben der Fälle eines FBI-Agenten im Dschungel der Großstadt. „Die Veröffentlichungen dieses Mannes sind eine Sensation, weil sie einen echten Einblick geben in die harten Kämpfe der G-men gegen die Gangster in den USA“, verkündete der Verlag. Geglaubt haben wir das natürlich nie wirklich, aber es gab in diesen Romanen so eine Stadtplan- und Wörterbuch-Authentizität, Amerika wurde als Reich der einfachen Zeichen rekonstruiert: Autos, Wolkenkratzer, Whisky, gelbe Taxis, Citylights und Geschwindigkeit. Frauen, die sich „Baby“ nennen ließen, Dollarnoten und Schusswechsel.

Dass die Jerry-Cotton-Legende einmal verfilmt werden würde, war ebenso klar, wie dass für die Hauptrolle nur ein waschechter US-Amerikaner in Frage kam. Nicht gerade einer von den ganz großen Stars, aber eine erfolgreiche TV-Serie im Hintergrund sollte schon sein. In George Nader jedenfalls fand man einen, der genau so aussah, wie wir uns, von unseren Schwarz/Weiß-Fernsehern mit den Vorabendserien bestens instruiert, einen richtigen städtischen Amerikaner vorstellten: Gel-gestärkte Entenschwanzfrisur, scharfe Krawatte, stahlharter Blick, und auf keinem der Plakate für die Filmserie war er ohne seine Wumme in der Hand zu sehen. Ein Revolver, um genau zu sein, passend zum Jackett.

Die Jerry-Cotton-Filme, vor allem, wenn man sie an Konkurrenten wie James Bond maß, waren preiswerte und schnelle Produktionen, ein paar Inserts, ein paar Rückprojektionen mussten genügen, um ein amerikanisches Großstadt-Feeling zu erzeugen. Und wer sich in den Jerry-Cotton-Kosmos einfühlte, für den genügte es auch. Die Aura kam ansonsten von unserem Helden, dem die Betulichkeit der Edgar Wallace-Protagonisten ebenso fehlte, wie der Hang zur Grübelei deutscher Fernseh-Kommissare. Jerry Cotton war in seinen besten Augenblicken: No Nonsense.

In den acht Jerry-Cotton-Filmen, die in den Jahren zwischen 1965 und 1969 entstanden, bildete Heinz Weiss, bekannt geworden in der Serie „So weit die Füße tragen“ (ein deutscher Held par excellence) als Jerrys Freund Phil Decker den Gegenpol zum geradlinigen Tatmenschen Cotton. Gemeinsam waren sie ziemlich unbezwingbar, denn jeder hatte die Angewohnheit, immer dann aufzutauchen, wenn sich der andere in einer „aussichtslosen Situation“ befand. An die plots konnte man sich ansonsten kaum noch erinnern, wenn der Film zu Ende war, es wurde jedenfalls sehr viel geschossen, geprügelt, geflirtet, an Häuserwänden herumgeklettert, Auto gefahren und in knappen, coolen Sprüchen parliert.

Jerry Cotton, das unterschied ihn von den gewohnten deutschen Helden, war vor allem ein Profi. Und das Kunst-Amerika, das ihn umgab, mochte einem sehr deutschen Traum von der Moderne entsprochen haben. Schließlich gab es in der Zeit der großen Erfolge der Serie, so bis 1967, im Kino nebenan noch Filme mit Titeln wie „Ich kauf mir lieber einen Tirolerhut“ oder „Das sündige Dorf“. Mit Jerry Cotton schoss man sich im Kino seinen Weg von der deutschen Spießerprovinz in die städtische Moderne frei. Vielleicht war es da nicht mehr so gemütlich wie bei Wallace, Winnetou und der Wirtin vom Lindenhof. Aber dafür war man mit dem FBI-Agenten endlich in der Gegenwart angekommen.

Mit heutigen Standards gesehen hat die Jerry-Cotton-Serie so etwas wie einen „Raumschiff Orion“-Effekt: Mit sehr beschränkten Mitteln, aber dabei eben doch immer wieder mit einem überraschenden Maß an wilder, kindlicher Phantasie versuchte sich die deutsche Pop-Kultur aus der provinziellen Enge zu befreien und zu beweisen, dass man auch in den amerikanischen Genres reüssieren konnte. Unterhaltsam ist das nicht nur dort, wo es gelungen ist, sondern auch dort, wo es einigermaßen daneben ging. Was die Bügeleisen als Raumschiff-Armaturen in der „Orion“-TV-Serie sind, das sind in der Jerry-Cotton-Serie Anschlussfehler, die den Filmstudenten zum Aufjaulen bringen und Stunts, die sich Eddie Constantine nicht erlaubt hätte, und der pflegte in seinen vergleichbar preiswerten Filmen jeden Unfug wegzugrinsen. Dass Jerry Cotton/George Nader seinen Job dagegen mehr oder weniger blutig ernst nahm, das trug vermutlich auch zum Niedergang der Serie bei. Der zweite Grund war wohl, dass man die Filme seit Fall Nummer 5, „Der Mörderclub von Brooklyn“, in Farbe drehte. Das vertrug das stilisierte Kunst-Amerika eher schlecht. Und auch mit ein bisschen Sex und noch mehr Trash war die Serie in einer Welt nicht mehr zu retten, in der man sich einen typischen Amerikaner nicht mehr wie George Nader, sondern wie Frank Zappa vorstellte.

Vielleicht ist es ganz gut, dass man die DVD-Edition der Jerry-Cotton-Reihe technisch eher wenig aufgeputzt hat. Denn das war neben der Lust an der physischen Aktion und an der Geschwindigkeit, an den Kinderzimmer-Amerikabildern und den scharfen Klamotten das schönste an den Filmen: Ihre Unbekümmertheit. Darin waren sich die Filmemacher und ihr Held ganz und gar einig: Profi ist einer, der mit dem geringsten Aufwand auf dem schnellsten Weg zum Ziel kommt. No Nonsense!

Autor: Georg Seeßlen

Text: veröffentlicht in filmspiegel 01-02/ 2005

Bild: Kinowelt Home Entertainment