Michael Bays Film aus dem Geist von Propaganda, Computerspiel und Seifenoper

Im Jahr 1979 drehte Steven Spielberg einen Film mit dem Titel 1941, eine verrückte und größenwahnsinnige Satire über Größenwahn und Verrücktheit beim Anlaufen der amerikanischen Militärmaschine nach dem Angriff auf Pearl Harbor. „Eine Sahnetorte ins Gesicht Amerikas“ nannte der Regisseur seine intelligente, fiese und komische Arbeit später bescheiden. Zwanzig Jahre darauf erneuerte er mit Saving Private Ryan das lange totgesagte Genre der Weltkriegsfilme. Das war kein „Antikriegsfilm“, wenn es so etwas überhaupt gibt, aber einer, der noch einmal Fragen stellt, an die Nation und an den Einzelnen in diesem letzten „gerechten“ Krieg. Die fiesen, intelligenten und komischen Filme überlässt Spielberg mittlerweile seinen Mitstreitern, und so entstand als Seitenstück zu Saving Private Ryan ein satirischer Fantasy-Film namens Small Soldiers, in dem computergesteuerte Spielzeugsoldaten zuerst harmlose Monsterfigürchen, dann auch Menschen angreifen. In diesem Film von Joe Dante sehen wir einen selbstzufriedenen amerikanischen Familienvater, der es sich vor dem Fernseher gemütlich macht. Es wird ein Film über den Zweiten Weltkrieg gesendet. „Ah!“, strahlt der Mann, „that’s my favourite war“ – so wie man von einer Lieblingssorte Kartoffelchips schwärmt.

Coca-Cola rettet Leben

Mit Michael Bays Pearl Harbor ist endlich der Film entstanden, den Spielberg in 1941 parodiert und wenigstens für eine Zeit unmöglich gemacht hat. Ganze Passagen sehen so aus, als wären sie die treuherzigen, von jeder Reflexion und jeder Selbstkritik unberührten Originale zu den bösen Späßen in Spielbergs Film: Bei Spielberg braucht die Braut des Soldaten die brummenden Flugzeugmotoren als Orgasmushilfe, bei Bay sehen wir den romantisch keuschen Liebesflug von Pilot und Krankenschwester, bei Spielberg verwandeln prügelnde Soldaten eine Stadt ins pure Chaos, bei Bay müssen sich Soldaten prügeln, damit Ordnung und Freundschaft aufrechterhalten bleibt, Coca-Cola macht Spielbergs Verrückte noch verrückter, bei Bay retten Coca und Pepsi amerikanische Leben, in Pearl Harbor ringen die Generäle mit den Tränen, wenn sie mit „ihren Männern“ sprechen, in 1941 heulen sie bei Dumbo – Der fliegende Elefant.

Aber Pearl Harbor ist nicht nur der Film, den Steven Spielberg vorsorglich parodierte, vermutlich weil er nur zu genau wusste, dass so ein Pearl Harbor-Film in den Köpfen von middle America abläuft, es ist auch der Film, der dem Kerl vor dem Fernseher in Small Soldiers gefallen hätte. Man lässt’s ein bisschen krachen, etwas Romantik ist auch dabei, markige Sprüche, und die commercials sind gleich in die Handlung integriert.

Die Story, die Pearl Harbor erzählt, ist nichtig. Zwei Jungen wachsen gemeinsam im tiefen Provinz-Amerika auf, Huck Finn und Tom Sawyer, nächste Version, verbunden durch eine unbändige Liebe zum Fliegen. Natürlich werden die beiden Piloten der Air Force. Kurz bevor sich einer der beiden zu einem freiwilligen Kampfeinsatz nach England begibt, verliebt er sich in eine Krankenschwester, und zwar so doll, dass der Film auf Sex verzichtet und den Liebenden lieber Tränen in die Augen drückt. Bald darauf wird der junge Held über dem Kanal abgeschossen und für tot gehalten. Die Krankenschwester lässt sich zu einer Affäre mit dem Freund hinreißen, schämt sich aber sehr. Dann taucht der Totgesagte, man befindet sich mittlerweile in Pearl Harbor, wieder auf. Die Krankenschwester heult, die Männer prügeln sich. Aber bei dem japanischen Angriff sind Huck Finn und Tom Sawyer die Einzigen, die ihre Flugzeuge vom Boden bekommen, und gemeinsam schießen sie so lange Angreifer vom Himmel, bis die Japaner keine Lust mehr haben und die dritte Angriffswelle abblasen. Huck Finn, Tom Sawyer und die Krankenschwester könnten jetzt eigentlich an die Neuordnung ihres Trieblebens gehen, aber Amerika will natürlich einen Gegenschlag, was Präsident Roosevelt dadurch signalisiert, dass er aus seinem Rollstuhl aufsteht. Tom Sawyer und Huck Finn fliegen den Angriff vorneweg, und Huck Finn stirbt ebenso trauriger- wie praktischerweise den Heldentod. Nun können Tom Sawyer und die Krankenschwester glücklich miteinander leben und auch das Kind aufziehen, das die Krankenschwester von Huck Finn hat.

Mit einer solchen Nichtgeschichte kann man mehr oder weniger alles anstellen, elegisches Historienkino à la David Lean, ein krachiges Remake von Jules und Jim, einen World War II-Western, nicht mal eine nationale Heldenlegende wäre von vornherein etwas Schlechtes. Aber all diesen Möglichkeiten von Pearl Harbor stehen drei Impulse heftig im Wege: erstens das hoffnungslose Unterfangen, so etwas wie politisch korrekte Propaganda zu machen. Jede Einstellung will uns davon etwas vermitteln, wie und warum Amerika zur Weltmacht wurde und wie sich dabei seine inneren Widersprüche lösten. Ergriffen stürzt sich ein gedemütigter afroamerikanischer Matrose in den Kampf, nachdem ihn sein blauäugiger Vorgesetzter einmal „son“ genannt hat.

Auch die Japaner sind keine gelben Bestien, sondern Leute, die nur das Beste für ihr Land tun wollen. Außerdem stoßen sie beim Grübeln auf die zentrale Metapher des Films: Der Angriff auf Pearl Harbor weckt den schlafenden Riesen Amerika. Wenn man eine Null-Story mit fast nichts als Ideologie aufbläst, kann nur noch Stuss entstehen, was immer man auch von der Ideologie halten mag.

Zweitens kommt der Story eine Mischung von Prüderie und verdrückter Obszönität in die Quere, der die Liebesgeschichte auf ebenso törichte Weise geopfert wird wie die Handlung der Propaganda. Das kennen wir aus früheren Filmen von Michael Bay. Er mag einfach Frauen nicht. Er mag aber auch nicht, wenn Männer sich anders als prügelnd oder mit großen Worten berühren. Noch mehr: Er mag die Liebe nicht. Noch mehr: Er mag es nicht, dass die Welt voller suggestiver Sinnlichkeit ist. Vielleicht muss er deshalb in jedem seiner Filme die Hälfte der Welt in die Luft sprengen, vielleicht glauben wir deshalb, in Pearl Harbor nicht eine Liebesgeschichte im Krieg zu sehen, sondern eine als Weltkrieg verkleidete Sexualneurose.

Was drittens den Film Pearl Harbor ruiniert, ist die offensichtliche handwerkliche Unfähigkeit fast aller Beteiligten. Schon dem Drehbuchautor Randall Wallace scheint jedes Gefühl für Dramaturgie und Rhythmus zu fehlen.

Als etwa Tom Sawyer über dem Kanal abstürzt, werden wir ziemlich aufdringlich darauf hingewiesen, dass dies nicht sein Ende ist, als er, verspätet, wieder auftaucht, stört er im Grunde nur noch. Die letzte Stunde des Films, die vom heroischen amerikanischen Gegenschlag und von Huck Finns Heldentod erzählt, ist so etwas wie ein eigener Film, eine Art Sequel zum Hauptteil, und noch schlechter. Verlässlicher kann man Enttäuschung beim Zuschauer nicht produzieren. Die Kamera schneidet von den Köpfen mal grinsender, mal heulender Soap-Opera-Darsteller auf Totalen von Explosionen und noch mehr Explosionen. Die Montage – welche Montage? Das Aneinanderkleben von bewegten Bildern schafft keinen Augenblick so etwas wie räumliches Empfinden, von Zeitgefühl ganz zu schweigen. Zeit in Pearl Harbor ist das, was ein Schauspieler braucht, um seine Sätze aufzusagen, und das, was vergeht, bis man keine Lust mehr hat, noch eine Explosion zu sehen. Und Raum ist das, was zwischen den Gameboy-Installationen computergenerierter Zerstörungsszenen und der Halbnah-Aufnahme auf einen Stuntman liegt, der vor dem Sturz ins Wasser noch zu überlegen scheint, ob er auch gut versichert ist.

Drei Stunden Dreck

Dass man den Schauspielern kein Wort glaubt, liegt vielleicht an den sehr dummen Worten, die sie sprechen müssen, dass man ihnen aber auch keinen Blick und keine Empfindung glaubt, das liegt an ihnen – und natürlich an einem Regisseur, der zusammen mit dem Produzenten Jerry Bruckheimer so was wie ein cineastisches Krawall-Team bilden will: Wozu eine Geschichte erzählen, wenn man auch etwas in die Luft jagen kann? Ein Schauspieler ist so gut wie sein Zahnarzt, und Liebe ist ein tieferer Griff ins Schminkköfferchen.

Ein schlechter Film mehr ist ja zunächst nicht das größte Problem auf dieser Welt. Pearl Harbor wird zu einem kommerziellen Erfolg, egal ob sich nun Kritiker auf beiden Seiten des Ozeans in Zorn und Häme übertreffen (gerechtem Zorn und verdienter Häme wohlgemerkt) für diese „three hours of dreck“, wie es ein US-Kollege formulierte. Mit solch teurem Dreck aber handeln wir uns ein ästhetisches Entsorgungsproblem ein. Pearl Harbor darf und kann bei den eingesetzten Millionen vor, während und nach der Produktion kein wirtschaftlicher Misserfolg werden. Mit dem Kassensieg eines solchen Films aber verhält es sich ein wenig wie mit den Siegen einer gewissen deutschen Fußballmannschaft: Sie machen auf der einen Seite niemanden glücklich und scheinen auf der anderen Seite vor allem die Arroganz der Macher zu bestätigen. Und wie man sich bei einer gewissen Art Fußball einfach abgewöhnen kann, überhaupt noch Interesse für das Spiel aufzubringen, so kann ein Film wie Pearl Harbor, auch wenn er ein Erfolg wird, tödlich für das Kino sein. Denn davon abgesehen, dass er schlecht, idiotisch und dreist propagandistisch ist, ist es auch ein Film, der auf nichts mehr neugierig macht, der dem Kino die Seele nimmt, aus dem man ohne Stimmung kommt, leer und unglücklich.

Es ist gar nicht so leicht, einen solchen Film angemessen zu kritisieren. Man kann eine schlechte Maschine kritisieren, wie zum Beispiel diese national feel good-Propagandamaschine aus Hollywood, die seit geraumer Zeit Werbung, Pop und Kriegsgeilheit miteinander vermischt. Wenn man eine solche Maschine nicht kritisieren kann oder will, vielleicht weil sie einfach zur amerikanischen und ein bisschen auch zu unserer Kultur gehört, dann könnte man immerhin die Maschinisten kritisieren, die sie bedienen. Auch mit einer schlechten Maschine lassen sich, bis zu einem gewissen Grad und mit etwas Fantasie und, ja, etwas Respekt vor sich selbst, vor seinem Handwerk und vor seinen Kunden, noch akzeptable Produkte erzeugen. Die Metamaschine Hollywood besteht überdies keineswegs nur aus solchen schlechten Maschinen. Aber wie soll man ein Produkt kritisieren, das schlechte Maschinisten mit einer schlechten Maschine hergestellt haben, die nun trotzig und reich den „Dreck“ auf den Markt drücken? Michael Bay und Jerry Bruckheimer haben nicht eine Geschichte zu Pearl Harbor verfilmt, sie haben den Militär- und Weltkrieg-Boom verfilmt, sie haben einfach alles zusammengepackt, was zu einem genießbaren favourite war gehört. Und in dieser Anhäufung kommt noch etwas Letztes zum Vorschein: dass die Macher selber nicht an das glauben, was sie tun. Pearl Harbor ist nicht einmal ehrlicher Dreck. Es ist giftiger Industriemüll, entstanden bei der heftigen Verschmelzung von Militär und Entertainment, der da in die Kinos und Köpfe geschaufelt wird. Ob so etwas noch kulturell abbaubar ist? Als Gegenmittel sollte wenigstens jemand 1941 wieder aufführen.

Georg Seesslen

Text veröffentlicht in Die Zeit 24/2001