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Der bauende Philosoph und Lebemann

Der brasilianische Architekt Oscar Niemeyer ist ein Phänomen. Immer einen Espresso und eine Zigarette bei der Hand ging der letzte lebende Pionier der Moderne bis zum Ende seines fast 105 jährigen Lebens jeden Tag in sein Büro in Rio de Janeiro. 2007 führte Fabiano Maciel ein langes Interview mit dem damals bereits 100-jährigen Baumeister, der auch als einer der wichtigsten Intellektuellen seines Landes gilt. Seine Dokumentation zeigt wieso, das so ist: Fernab jedweder Senilität plaudert Niemeyer mit sanfter melodischer Stimme über die inspirierenden femininen Formen von Rio, die relative Unwichtigkeit von Architektur im größeren Ganzen der Gesellschaft und davon, wie man leben sollte, wenn man bedenkt, dass die Erde irgendwann einmal verglüht.

„Oscar Niemeyer – Das Leben ist ein Hauch“ ist ein klassischer Dokumentarfilm und zugleich absolut spektakulär. Ähnlich wie Niemeyer, der – noch ganz alte Schule – seine Entwurfsideen am liebsten mit wenigen Strichen per Hand skizzierte, aus denen später in gebauter Form oft die neuen Wahrzeichen einer Stadt wurden, erschafft Maciel mit einfachsten Mitteln ein eindringliches Portrait eines großen Künstlers und Denkers. Der Film ist zusammengeschnitten aus dem in Niemeyers Büro durchgeführten Interview, historischen Aufnahmen, zu den im Gespräch behandelten Zeitabschnitten und Aufnahmen der fertigen Gebäude. Maciel verzichtet auf effekthascherische Perspektiven oder Schnitte, um das Interesse des Zuschauers zu stimulieren. Stattdessen hält der Filmemacher sich an die bekannte Architekten-Maxime „form follows function“.

Niemeyer selbst hielt dieses Credo jedoch für ähnlich kleingeistig, wie das gesamte Bauhaus. Die Philosophie der klassischen Moderne kannte der ehemalige Assistent von Le Corbusier noch aus erster Hand. In seiner so bescheidenen, wie selbstbewussten Art, erklärt Niemeyer, dass zwar zuerst Le Corbusier die Moderne nach Brasilien brachte. Dort reicherte Niemeyer dessen eindimensionalen Funktionalismus jedoch um ein speziell brasilianisches, poetisches Element an. Hierbei handelt es sich insbesondere um fließende, organische Formen, wie Niemeyer sie aus seiner Heimatstadt vom Blick auf den Zuckerhut und auf die schönen Frauen an der Copacabana her kannte. Später exportierte Niemeyer diese speziell brasilianische Variante der Moderne in die gesamte Welt und beeinflusste seiner Ansicht nun seinerseits seinen einstigen Lehrer Le Corbusier, dessen Spätwerk in der Tat eine Wandlung hin zu einer expressiveren Formensprache zeigt.

All dies trägt Niemeyer jedoch nicht mit einer – gerade unter Architekten sehr verbreiteten – großspurigen Geste vor. Stattdessen verweist der weise Alte auf die Einsicht in die Nichtigkeit des menschlichen Daseins als die Ausgangslage seines gesamten Schaffens. In einer Mischung aus Existentialist und Buddha erklärt Niemeyer, das wir jetzt, wo wir schon da sind, das Beste aus unserem Leben machen sollen. Fast, wie aus der Bibel klingt es, wenn er sagt, man solle die Dinge zum Positiven hin beeinflussen, die man sie verändern kann und die negativen Dinge, die man nicht beeinflussen kann, nicht so sehr an sich heran lassen. Das geht alles besser mit ein wenig Poesie in Form von schönen Frauen und femininen Formen in der Architektur. „Das Leben ist ein Hauch“ („A vida é um sopro“). – Also machen wir einfach das Beste draus.

 

Gregor Torinus

Bilder: Salzgeber

 

 

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Oscar Niemeyer – Das Leben ist ein Hauch

von Fabiano Maciel (Brasilien 2007)

 

auf DVD bei Salzgeber & Co. Medien GmbH