Nach 23 Jahren geschieht es wieder: Ein Mädchen, ein Kind, wird ermordet. Wieder an jener Stelle im Kornfeld. Der Mord ist die Botschaft eines Mannes an einen anderen. Und der Film von Baran Bo Odar ist auch in sich eine Botschaft.

In diesem Film gibt es eine Szene, die, recht betrachtet, Mut erfordert. Mut, sie zu zeigen, Mut, sie zu verstehen. Ein Mann sieht einen Film, einen pornografischen Film um ein kindliches Mädchen. Der Mann, wir sehen es, kämpft gegen seine Faszination, er wehrt sich, wir sehen auch das, mit seinem Willen gegen seine Geilheit. Dann rennt er aus dem Zimmer, flüchtet vor dem eigenen Trieb, der eigenen Vergangenheit. Vor sich.

Pädophilie ist ein hoch sensibles Thema und sein vielleicht sensibelster Aspekt wurde selten so in einem massenwirksamen Medium vorgeführt: Die Neigung zur Pädophilie ist so wenig eine Wahl der Betroffenen wie Homosexualität, wie jede sexuelle Orientierung. Nur, dass von dem Pädophilen verlangt werden muss, was die Gesellschaft lange von Homosexuellen verlangte: Diesen Trieb zu unterdrücken, zu bekämpfen. Und die Akzeptanz von Pädophilie, ist anders als die der Homosexualität, keine Frage der künftigen gesellschaftlichen Entwicklung, sie kann und darf es nicht sein.

Wotan Wilke Möhring zeigt uns diesen Mann ohne jede Peinlichkeit – und dass das geht, ist eine Qualität dieses Filmes. Es ist das Langfilmdebüt des Schweizers Baran Bo Odar nach dem Roman von Jan Costin Wagner. Gewiss, Odar hat von allem etwas zu viel: zu viel schwebende Wolken und wogende Felder, zu viel Gegrummel auf der Tonspur und in den Seelen. Aber er hat vor allem eines: Talent. Dieser Regisseur hat mit seiner Fähigkeit zum atmosphärischen Erzählen, zum Stimulieren eines Ensembles auch eine Botschaft versandt: Wenn er dieses Talent zu sublimieren vermag, ohne an Substanz zu verlieren, dann wird von ihm noch zu hören sein.

 

Text: Henryk Goldberg