Michael Douglas als Gordon Gekko und Shia LaBeouf als Jacob Moore in „Wall Street: Geld schläft nicht“ (Foto: 20th Century Fox)


Makler in die Volkswirtschaft!

Es dauert etwa fünf Minuten. Und dann begründet ein Mann, dem wir sofort ansehen, dass wir ihn nie mögen könnten, warum das so ist: Es geht um das, „was jeder von uns am meisten liebt, fette Boni.“. Ein solcher Satz ermöglicht keine gute Szene und viele solcher Szenen keinen guten Film.

„Viel Glück Gekko und kommen Sie nicht wieder.“ sagt der Gefängniswärter zu dem unrasierten Mann und händigt ihn das pfundschwere Mobiltelefon aus, das Gordon Gekko mit ins Gefängnis brachte, damals. Aber jetzt kommt er doch wieder, nicht ins Gefängnis. Dorthin gelangte der Finanzhai 1987, als Oliver Stone Wall Street drehte. Aber jetzt kommt er doch wieder, in einer Zeit, die wie geschaffen scheint für diesen Mann und seinen Film. Zwei Jahre nach dem Fall des ersten und größten Domino, Lehman Brothers, inmitten der Nachrichten von gierigen Bankern und ihren in der Tat so fetten wie unmoralischen Boni. Besser kann das Timing nicht sein für einen Film über die Gier und die Amoralität des Finanzmarktes.

Damals, 1987, hielt der herausragende Michael Douglas als Gordon Gekko die zitabel gewordene Gier-ist-gut-Rede. Wie dieser charismatische Schauspieler mit dem stringent gegeltem Haar ebenso stringent die Unmoral als Tugend ausrief, das war eine Provokation, eben weil es so charismatisch, so überwältigend eindrucksvoll war. Wenn der immer noch charismatische Michael Douglas jetzt eine Gier-ist-eine-Krankheit-Rede hält, dann beeindruckt die nicht im Mindesten: Er sagt Sätze, die seit zwei Jahren in jeder Zeitung stehen. Und es ist, als spräche Oliver Stone direkt zum Publikum. Das aber weiß schon, was er ihm zu erzählen hat – und er erzählt es nicht so, dass die Kunst mehr Erkenntnis böte als die Publizistik – obgleich eben diese Fähigkeit erst Kunst legitimiert.

Die Kamera schwelgt nachgerade in den Manifestationen des Geldes – und offenbart, dass Stone wohl, neben und trotz aller rationalen Distanz, von seinem Gegenstand auch fasziniert ist. Die fiebrig-seismografischen Kurven der Börsenkurse flattern vor der Skyline von New York, projiziert an die architektonischen Demonstrationen von Macht und Reichtum. Immer wieder diese riesigen Büros, immer wieder diese Rechner mit den vielen Bildschirmen, immer wieder diese riesigen Glasfenster, durch die sie auf die Welt schauen wie die Feldherren auf das Schlachtfeld. Und mit viel Lust zeigt Stone auf einem Wohltätigkeitsball das Geschmeide an den Damen – und mit einem Hauch Zynismus zelebriert er die Ansicht der unjungen Gesichter dazu.

Dennoch, Wall Street 2 gewinnt nie eine tatsächliche, durchdringende, eindringliche Schärfe. Nirgendwo überbietet er durch seine Story das emotionale Niveau unserer Kenntnisse und Erkenntnisse – Oliver Stone wiederholt, was niemanden mehr erschüttert, der Zeitung liest. Und die Geschichte dahinter ist mäßig.

Es ist so, dass sich Jacob (Shia LaBeouf) ausgerechnet in Gekkos Tochter verliebt, die ihren Vater boykottiert. Aber weil Jacobs Ziehvater, ein alter, ehrlicher Börsenguru von einem dieser neuen, hemmungslos gierigen Finanzmanager betrogen wird, bis er sich vor die U-Bahn wirft, sucht Jacob Rache. Und verbündet sich mit Gordon Gekko, der einerseits noch ganz das alte, smarte Börsenschwein ist und andererseits doch ein wenig gelernt hat. Und diese Geschichte sahen wir schon mehrfach besser.

Shia LaBeouf und Carey Mulligan sind ein eher treuherziges, ein glattes, ein freundliches Paar, auf dessen Entwicklung schon in der Story nicht allzuviel kreative Kraft verwendet sein kann, dieses Paar ist schon im Buch so grob geschnitzt wie der ganze Film. Er, ein Broker mit grünem Gewissen, der viel Geld in alternative Energien investieren will; sie eine nette Linke, die eine alternative Website (Frozen Truth) im Dienste der Wahrheit betreibt. Die Rache, die Jacob treibt, verläuft weitgehend undramatisch, auch sie hat schließlich eine didaktische Funktion: Es genügt, im finanztechnischen Sinne, ein paar Gerüchte an der Börse zu streuen, um Werte zu schaffen oder zu vernichten, für die es in der wirklichen Welt keinerlei Entsprechung gibt. Aber es genügt nicht, im dramaturgischen Sinne, einen Mann drei, vier kurze Szenen lang anderen, in der Story unbekannten Männern etwas einflüstern zu lassen, wenn das eine spannende, eine interessante Geschichte sein soll.

Bleibt Michael Douglas, bleibt der einzige Grund, sich diesen Film anzuschauen. Der Mann hat immer noch diese überwältigende Lässigkeit, wenn er auf dem Podium eine Rede hält, er kann immer noch so aasig kalt sein. Und er kann erzählen, glaubhaft erzählen, dass er ein Mann ist, der hart um seine Tochter kämpft. Ein Schauspieler, der seine Präsenz genießt und zugleich mit ihr spielen kann. „Die Gier breitet sich aus wie ein Krebs“, sagt er einmal – und das ist der berührendste Moment dieses Filmes: Da wusste er noch nichts von seiner Krankheit.

Jacobs Mutter (sehr schön Susan Sarandon), eine erfolglos spekulierende Maklerin, arbeitet schließlich wieder in ihrem alten, ehrlichen Job. Und es ist, als riefe Oliver Stone: „Makler in die Volkswirtschaft!“

Text: Henryk Goldberg

Text erschienen in: Thüringer Allgemeine, 23.10.2010