Verfilmung verjuxt großartigen Roman

Regisseur Detlev Buck und Autor Daniel Kehlmann machen bei der Verfilmung des Bestseller-Romans „Die Vermessung der Welt“ aus Ironie Häme und aus einem sensiblen Buch einen groben Streifen.

„Diese Lehre“, schreibt Daniel Kehlmann, „nannte sich Neptunismus und wurde von beiden Kirchen und Johann Wolfgang Goethe verfochten.“ Das ist der ironische Ton dieses wunderbaren Buches, diese feine Ironie, die Technik des perfekten Understatements, ein sich gleichsam lässig anfügender Nachsatz, der dem Ganzen eine Perspektive gibt. So sanft, so filigran diese Ironie ist in der Form, so ätzend ist sie mitunter in dem, was sie erzählt.
Und jetzt der Film: „Diese Lehre hielten beide Kirchen für gottgefällig.“ Das ist der ironie-freie Ton des Filmes, der so den inneren Grund des Buches und seines Erfolges zerstört.
Denn diesem Ton muss sich der weltweite, überragende Erfolg des Buches verdanken.

 

Eine sublime Form der Schadenfreude

Der bahnbrechende Naturforscher Alexander von Humboldt (1769/1859) und der geniale Mathematiker Carl Friedrich Gauß (1777/1855) sind keine Persönlichkeiten, die a priori starkes Interesse auf sich ziehen, und ein makelloser Sprachkörper allein hat noch keinen Bestseller geschaffen. Es muss diese Perspektive sein.
Kehlmann erzählt die Geld-allein-macht-nicht-glücklich-Geschichte in ihrer Erscheinung als Geistesgeschichte. Will sagen, Ruhm und Genie machen auch nicht zwingend glücklich. Und derlei ätzende Nahaufnahmen der Großen dieser Welt lieben wohl, wie zur Selbstberuhigung, alle, die der Mediokrität verfallen sind, wir Leser, wir Käufer.
Es muss eine tiefe Befriedigung dem Umstand entspringen, dass die Größe ihren Preis hat – und Daniel Kehlmann verschafft uns dieses befriedigende Gefühl. Eine sublime Form der Schadenfreude – die doch nie den Respekt verdrängt. In dem Film von Detlev Buck allerdings schnurren diese beiden herausragenden Männer zusammen zu Albernheiten. Vor allem Alexander von Humboldt, der große Forschungsreisende, wird, da er mehr mit der Wirklichkeit konfrontiert ist, hier zur komischen Figur: Ein deutscher, ein preußischer Reisender mit Arroganz und Unverständnis. Es gibt Szenen, die könnten bruchlos in eine Klamotte geschnitten werden.
Nicht zu reden über den Herzog von Braunschweig, aus dem Michael Maertens eine, allerdings glänzend gespielte, Knallcharge macht.
So wird hämisch, was ironisch war, so macht die Vergröberung des Filmes erst recht deutlich, wie sehr Kehlmanns Geschichten von ihrem Ton leben: Denn die reine Story ist eine Art von Anmaßung gegenüber den Leistungen beider Männer.
Und das eigentlich Überraschende ist, dass Daniel Kehlmann das nicht nur mehrfach öffentlich als gelungen pries, er hat vielmehr als Mitautor des Drehbuches einen Anteil daran. Und es gelang ihm nicht, das Klima seiner indirekten Rede in Dialog zu übersetzen. Er spricht überdies den Erzähler im Off, so wie sein Freund und Regisseur Detlev Buck auch einmal einen Auftritt hat, grob und massig. Und das ist überhaupt der Eindruck: Zwei Burschen machen sich einen Jux – und verjuxen dabei eines der schönsten deutschen Bücher der letzten Jahrzehnte.

Und die 3D-Technologie hilft ihnen dabei, das ist ihr Lieblingsspielzeug. Sie hatten wohl viel Spaß im Urwald, den Humboldt und sein Begleiter durchstreifen, sie genießen jeden Zweig, den sie gleichsam in den Saal hängen können, jedes Pferd, das seinen Kopf scheinbar aus der Leinwand reckt, jeden Hintern und jede Brust, die sich dreidimensional wölben.
Derweil die Geschichte immer schmalbrüstiger wird.
Natürlich, die Story wird ordentlich abgearbeitet, beider Kindheit, die Welt, die der eine wirklich befährt und der andere im Kopf. Das wird parallel geführt, aber es hat nichts miteinander zu tun, da die Rahmenerzählung des Buches fehlt, die erste Begegnung. Die, heißt es im Buch, will Herr Daguerre auf eine Kupferplatte bannen, es misslingt. Nun sei der Moment verloren! ruft Daguerre und Kehlmann hatte so auf den Punkt gebracht, dass eine Erzählung oftmals mehr weiß über eine Situation als ein Bild.
Nach Betrachtung dieses Filmes darf man das beinahe prophetisch nennen.

 

Henryk Goldberg, Thüringer Allgemeine 26.10.2012

Bild: Warner Bros.