Die Kunst der Reduktion

Clint Eastwood hat oft  getötet, nun versucht er, zu lieben: „Million Dollar Barby“

Dieser Mann hat oft getötet. Irgendwann begann er, darüber nachzudenken,
irgendwann war es nicht mehr selbstverständlich. Und nun ist es, als müsse
er Buße tun für dieses Leben oder Erlösung finden. Denn er soll töten, was
ihm das Liebste ist.

Der Mann hatte schon viele Namen. Er war der bleiche Reiter, der seinen Job
machte für eine Handvoll Dollar, er war der schmutzige Cop in San Francisco.
Irgendwann wurde er älter. Für die meisten starken Männer ist das ein
Problem. Für Clint Eastwood war es ein Glück.

Es gibt keinen anderen Filmkünstler, der sein eigenes Image so
thematisiert, so zum beherrschenden Sujet  macht, dass daraus ein eigenes
Alterswerkes entsteht. Eastwood schreibt über die Jahre hinweg die Biografie
einer imaginären Figur fort, die die Summe ist aus diesen Männern, die in
der Einsamkeit leben und töten. Und je älter diese Figur wird, so
problematischer wird sie sich selbst, so mehr mengt sich eine Sehnsucht in
ihre Einsamkeit, eine Sehnsucht nach Sinn, nach Nähe und Menschen. Dieses
reflexive Filmen begann mit dem Spätwestern Erbarmungslos für das Eastwood
den Regie-Oscar bekam. Für Million Dollar Baby gab es vier Oscars   bester
Film, beste Regie, beste Schauspielerin, beste männliche Nebenrolle , und in
der Tat ist dieser Film wohl eine Art von Höhepunkt des 74-jährigen.

Frankie war ein ausgezeichneter Cut Man, der Mann, der jeweils eine Minute
Zeit hat, die offenen Wunden der Boxer zu schließen. Doch damals konnte er
das Auge von Scrap nicht retten in dessen 109. Kampf und nun hat er eine
Boxschule, in der Scrap wohnt und den Boden scheurt.  Manchmal reden die
beiden alten Männer über die Löcher in den Socken von Scrap. Manchmal reden
sie über den jungen Boxer, der zu einem anderen gegangen ist, weil Frankie
ihn den entscheidenden Meisterschaftskampf verweigert. Denn Frankie hat,
seit dem 109.Kampf von Scrap, Angst vor dem einen Kampf zuviel, vor dem er
seine Boxer beschützen will. Der Mann liebt das Boxen aber er hat gelernt,
wie schmal der Grat ist zwischen der Selbsterfahrung und der
Selbstzerstörung. Dann kommt dieses Mädchen.

Es gibt kaum einen anderen Film, der eine so radikale Wendung erfährt und
es ist durchaus eine Frage, ob man  das hier besser verschweigen sollte. Da
dieser Film aber mehr ist als ein gewöhnlicher Spannungsfilm, mag es angehen
wer sich die  Überraschung erhalten wil,  muss hier aufhören. Jetzt.
Das Mädchen, dass sich aus dem Wohnwagen-Park den Weg zum Glück erkämpfte,
ist querschnittsgelähmt nach diesem einen Kampf zuviel, vor dem der Mann,
der sie liebt, wie ein Mann eine Tochter liebt, nicht bewahren konnte. Lange
hoffen wir, dass dies doch Kino ist, dass sich schon ein Weg finden ließe.
Dann sagt Maggie, die großartige Hilary Swank,  Sie wissen, was mein Daddy
für Alex getan hat. Alex war der Schäferhund der Familie, der nicht mehr
laufen konnte. Und Frankie ist jetzt der Daddy von Maggie und Maggie kann
nicht mehr laufen, nie mehr.

Der Zuschauer, der um dieses Ende weiß, gewinnt den Blick für die Qualität
des Filmes. Eastwood hat als, Schauspieler wie als Regisseur, die Reduktion
zur Kunstform erhoben, ein konzentrierter Minimalismus in Darstellung und
Regie. Die wunderbare Beziehung zu Scrap (Morgan Freeman  Oscar), die zu
Maggie (Hilary Swank   Oscar) leben von einem darstellerischen
Understatement, dass die Ursprünge schauspielerischen Erzählens erinnert:
Eine Geschichte und die Gesichter dazu. Die Farben, es ist ein Film, sind
düster, die Boxschule sieht so aus, wie sie vermutlich riecht, es ist, als
wären die Farben erbleicht; die Kämpfe werden schnell und erbarmungslos
absolviert, ohne jede Heroisierung. Einmal sagt Eastwood Ich werde nicht
ewig leben, da sieht er im Dämmerlicht, das ist inszeniert,  aus wie der
Tod, wie sein eigener Totenschädel. Es ist ein Zufall, dass dieser Film in
die Zeit fällt, da in den USA eine sterbende Komapatientin das Land teilt,
das Thema selbst ist kein Zufall. Es mag überraschen, dass der konservative
Eastwood hier seiner Figur die aktive Sterbehilfe erlaubt, doch ist auch das
Teil eines liberal-konservativen Wertekanons: Der Mensch entscheidet sein
Schicksal selbst  und hier entscheidet, bei vollem Bewusstsein, die kranke
Frau, nur sie, kein Mann, keine Eltern, kein Richter.  Wie Maggies Familie,
bösartige, primitive Schmarotzer, platt auch als Kunstfiguren platt, auf
andere Weise über ihr Schicksal entschieden hat ,  da zeigt sich, dass
Eastwood tatsächlich ein Konservativer ist. Und einer für den die Dinge, so
oder so sind, gut oder schlecht. Frankie trainiert keine Mädchen, aber wenn
er sich entschließt, dann ist Frauenboxen kein Thema mehr, dann ist es so.
Frankie will das Mädchen nicht sterben lassen, aber wenn er sich
entschließt, dann ist es so. Und so, wie er es tut, kitschfrei und tief
berührend, so kann man zuschauen und fragen, ob es richtig ist.

Es gibt keine Halbgötter sagt der Priester einmal zu Frankie. Das mag
theologisch korrekt sein, filmhistorisch indessen hat sich Clint Eastwood
diesen Status bereits jetzt unverlierbar erworben.

Autor: Henryk Goldberg

Text geschrieben  2005

Text: veröffentlicht in Thüringer Allgemeine