Die kühlen Linien der Konstruktion

Kong Kar-Wais „2046“ – eine kryptische Irrfahrt für tapfere Cineasten

Früher, so berichtet es der Erzähler, suchte ein Mann, wenn er ein Geheimnis hatte, einen Baum, in den er ein Loch schnitt, in das er sein Geheimnis sprach. So blieb es bewahrt.

Heute, so scheint es mitunter, wenn ein Mann ein Geheimnis hat, dann dreht er darüber einen Film. So bleibt es gewahrt. Wong Kar-Wais 2046, gilt als großes Kino. Indessen bekennt der Rezensent, sich gelegentlich dieses artifiziell zweifelsfrei hoch stehenden Kunstwerkes hochgradig gelangweilt zu haben. Womöglich ist es ein Problem, aber nur eines, das gleichsam Referenzmodell, In the Mood for love nicht zu kennen. Mag sein, so fehlt der erzählerische Kern, der Bezug. Der Titel meint eine Jahreszahl, das Jahr, bis zu dem China versprach, die Hongkonger Verhältnisse nicht anzutasten. Und er meint einen mythischen Ort, an dem die Erinnerungen aufbewahrt werden, gleichsam das Loch im Baum. Zu diesem Ort ist Herr Chow unterwegs in einer mentalen Irrfahrt, während der er sich an drei Frauen erinnert. Der Film visualisiert diese Irrfahrt mit Konsequenz. Und Wong Kar-Wai nimmt sich das Recht, das sich Künstler wie Proust und Joyce schon lange nahmen, nur, dass die Rezeptionsweise eines Buches eine andere ist. Der Regisseur fragmentiert Bilder, Geschichten und Figuren bis zur Unkenntlichkeit. Extreme Nahaufnahmen zerschneiden die Menschen und auch die Geschichte ist in einem Maße zerpuzzelt, dass es schwer hält, ein Minimum an Interesse zu bewahren. Es sind die kühlen Linien der Konstruktion, hinter der die Geschichte verschwindet und die Schönheit auch. Der Erzähler aus dem Off dominiert die Erzählung, die Figuren scheinen im Design der farbigen Flächen gefangen wie hilflose Insekten. Das sind Tableaus der Einsamkeit, denn in all den wirbelnden Bildern und Tönen gibt es nur. auch ästhetisch, verlorene, mit sich und der Welt unverbundene Menschen. So wird die Struktur selbst zur Erzählung, so erinnern manche Einstellungen an den Kultfilm Koyaanisqatsi, über das Leben aus dem Gleichgewicht. Aber am Ende sind es Menschen, die Interesse stiften.

Autor: Henryk Goldberg

Text geschrieben  2005

Text: veröffentlicht in Thüringer Allgemeine