Souverän im Zölibat

Der Schauspieler Denzel Washington debütiert als Filmregisseur

Der Mann kann nicht übersehen werden. In Augenhöhe steht Denzel Washingtons Malcolm X einem weißen Polizeichef gegenüber, der ihn nur scheinbar anredet, eigentlich durch ihn hindurch befiehlt: „Und jetzt wird dieser Mob aufgelöst!“ Der Ignorierte fixiert sein Gegenüber, schweres Schweigen sinkt nieder, ehe Malcolm X sich zu den Demonstranten umwendet. Ruhig hebt er die rechte Hand, spreizt Daumen und Zeigefinger ab und senkt beide leicht nach rechts. Das genügt. Die schwarzen Demonstranten ziehen geordnet ab. Der Polizeichef sagt: „Das ist zu viel Macht für einen einzelnen Mann.“

Hier zählt nicht mehr, ob Spike Lees Malcolm X mit der Geschichte des charismatischen Bürgerrechtlers korrekt umging. Denzel Washington erhebt sich über seine Figur und führt selbst Regie: Innerer Antrieb zeigt sich gelassen, kämpferische Wut äußert sich souverän. Seit seiner Rolle als Steve Biko in Schrei nach Freiheit (1987) hat Denzel Washington die Methode, mit Ruhe Respekt zu fordern und „Macht“ zu beweisen, so perfektioniert, dass sie als seine eigene Politik gelten kann. Mit seinem Regiedebüt Antwone Fisher, in dem er selbst die Rolle eines gesetzten Ersatzvaters spielt, scheint er sein Ziel erreicht zu haben: Sein muskulöser Körper, einst in Action-Filmen erprobt, ist in Uniformen und Anzügen heimisch geworden. Seit Jahren spielt Washington mit Vorliebe Repräsentanten, Polizisten, Juristen und Offiziere, die kaum handeln müssen, um ihre Autorität zu beweisen. Er war der ideale Mann, um Julia Roberts auf ihrer Flucht in Die Akte zu beschützen.

Mit dieser Ausstrahlung stemmt sich Denzel Washington gegen das Schicksal des Unsichtbaren Mannes, von dem Ralph Ellisons epochaler Roman handelt: Symbolisierte bei Elllison der schwarze, namenlose Erzähler die Unmöglichkeit einer afroamerikanischen Identität, so will Washington mit seiner Arbeit das Gegenteil beweisen. Ellison hatte beschrieben, wie Schwarze durch Unterdrückung und rassistische Projektion in der amerikanischen Öffentlichkeit „unsichtbar“ werden; Denzel Washington dagegen ist der „sichtbare“ Schwarze. Ein Filmstreit mit einem Denzel-Washington-Charakter geht nicht ohne einen langen Blick von ihm zu Ende – geworfen mit einer so aufrechten wie entspannten Haltung. Sieh mich an, ich sehe dich! Der schwarze Star behauptet sich als Souverän seines Bildes.

Sichtbar und sehend zugleich – so agierte Washington nicht nur als Märtyrer (Malcolm X, Steve Biko, Rubin „Hurricane“ Carter), sondern auch in staatstragenden Rollen. „Mir liegt viel daran, starke, mächtige Männer zu spielen: FBI-Agenten, Armee-Befehlshaber, Ärzte. Denn wer als Schwarzer in den USA aufwächst und nur Weiße in wichtigen Positionen sieht, sagt sich eines Tages: Mit meiner Hautfarbe werde ich’s nie so weit bringen.“

„Verantwortung“, schreibt Ralph Ellison im Prolog zu seinem Roman Der unsichtbare Mann, ist „eine Form von Erkennen, und Erkennen ist eine Form von Zustimmung.“ Während Ralph Ellison daraus eine Haltung ableitet, die buchstäblich in den Untergrund führt, hat Denzel Washington sich konsequent für die Zustimmung entschieden. Sein Regiedebüt Antwone Fisher fügt sich in jene Reihe seiner Filme, in denen das amerikanische Militär zur Ersatzfamilie wird. Am Ende – vor allem in den erzkonservativen Edward-Zwick-Dramen Glory, Mut zur Wahrheit und Ausnahmezustand – sind die USA eben nicht nur die Ursache, sondern auch die Lösung aller Probleme. Denzel Washington ist immer bereit, solchen Geschichten bis an ihr patriotisches Ende zu folgen, zum Wohl seines Landes. „Ich bin sehr stolz, schwarz zu sein – aber schwarz ist nicht alles, was ich bin.“ Auf diesem Weg wurde er, mehr noch als Sidney Poitier, mit dem man ihn oft vergleicht, zur Symbolfigur, zur Verkörperung afroamerikanischer integrity.

Jedoch, auf diesem Weg hat der Schauspieler Denzel Washington zusehends seine Körperlichkeit eingebüßt. Auch der Oscar 2002 für seine Rolle als krimineller Polizist in Training Day kann darüber nicht hinwegtäuschen. Die Kamera tastet nicht mehr, wie etwa in Mo’ Better Blues und noch in der ersten Hälfte von Malcolm X, seinen nackten Oberkörper ab. Dieser Mann ist kein Verführer mehr, und in Antwone Fisher zeigt er sich als bebrillter, gesetzter Navy-Psychologe in Strickjacke, der seinem Schützling Fisher erfahren den Weg weist.

Schon 1997 gab er einen göttlichen Gesandten (Rendezvous mit einem Engel). Und wurde in Ausnahmezustand Sex noch mit dem Tod bestraft (er hatte sich mit dem muslimischen Feind eingelassen), war Washingtons Rolle in Der Knochenjäger an der Seite von Angelina Jolie vorsorglich entschärft: Bis auf einen Finger konnte er als ans Bett gefesselter Detektiv seinen Körper nicht mehr bewegen. Radikaler als jeder andere seiner Filme zeigt Der Knochenjäger die Nöte des Symbols, zu dem Washington avanciert ist: Seine Politik der Sichtbarkeit hat für Sexualität keinen Platz. Dass dieser Schauspieler dennoch sexy ist, indem er wie verschleiert ein „Dahinter“ verspricht, zeugt von seiner enormen Präsenz. Der Zölibat des „schwarzen Mannes“ aber erzählt von einer neuen Unsichtbarkeit: Körperlosigkeit ist die Bedingung, unter der Denzel Washington in einem „weißen“ System zum Star werden konnte.

Autor: Jan Distelmeyer

Dieser Text ist zuerst erschienen in: DIE ZEIT vom 12.06.2003