Schmelztiegel Klischee

Reden wir von Identität. Seit einiger Zeit läuft in den USA die Debatte, wie das zukünftige Amerika aussehen wird und was für Amerikaner darin eigentlich zu Hause sein sollen. Kürzlich erst hat eine Reihe von Stars der Informationstechnologie gefordert, Gastarbeitern der Branche die vollen Staatsbürgerrechte zu übertragen. Eine Proklamation zwischen Mehrwert und nationaler Identität: „The New Economy needs new Americans.“ Während über „neue Amerikaner“ gestritten wird, meldet sich wie gerufen die Kulturindustrie. Es folgt der Film zum Diskurs. Es geht um Identitätsfragen im aktuellen Amerika, um die Heterogenität des melting pot, vorgeführt und durchdekliniert an dem Komplex, der dem Film seinen Namen gibt: Black and White.

Unmöglich, hier all jene Figuren und Geschichten, die von James Toback geschrieben und inszeniert wurden, ausführlich vorzustellen. Außerdem geht es auch Black and White weniger um eine Vertiefung der Figuren und Geschichten als eher um deren elegantes Arrangement. Anders gesagt: Die Einzelschicksale sollen als Ober- und Projektionsfläche für sich sprechen und miteinander ein Gesamtbild ergeben, das dann als „Komplexität“ verstanden sein will. Nein, nein, ich kommentiere nicht, ich zeige nur!

Es gibt: Weiße Oberschichts-Teenager in New York, die sich Niggers nennen und rein wollen in die black community, die natürlich aus HipHop, Drogen, Sex und Kriminalität besteht, den Gangster Rich Bower (Oli „Power“ Grant vom Wu-Tang Clan), der diesen Traum vom schwarzen „Anderen“ erfüllt, der sich die weißen Mädchen nimmt und zum HipHop-Produzenten konvertieren will, den schwarzen Basketballspieler Dean (Allan Houston), der vom Undercover Cop Mark (Ben Stiller) reingelegt wird und dessen Freundin Greta (Claudia Schiffer) in ihrer Dissertation über das „Thema der Rassen“ philosophiert. Außerdem treten Mike Tyson und die weiteren Wu-Tang-Clan-Mitglieder Method Man und Raekwon auf, die zusammen mit Power auch die Musik zum Film beisteuern.

Neben-, mit- und gegeneinander entwickeln sich diese und andere Geschichten in Black and White derart schnell und sprunghaft, dass aus dem ersten Eindruck tatsächlich eine produktive Verstörung entstehen kann. Was war das, was will das? Letztlich jedoch weicht alle Irritation der Überzeugung: Black and White interessiert sich für gar nichts von dem, was er erzählt. Die Fragen um race und gender, um HipHop als kulturelle Identitätsmaschine, Macht und Sexualität, Familie und Identität – jeder halbwegs angesagte Diskurs wird von diesem Film nur aufgesaugt, um ihn dekorativ auszustellen.

Immer wieder fallen Sätze, die Auseinandersetzungen versprechen: „Der gewöhnliche Arbeiter ist immer noch ein Sklave!“ – „Du willst nicht so sein, wie es die Rasse von dir erwartet.“ Doch stets bleiben sie ohne Konsequenzen, als ob der Film sie nicht wirklich hören will. Dass sie dennoch für uns hörbar werden und als seltsam allein gelassene Momente wie Risse in der glatten Oberfläche erscheinen, hat mit der Technik dieses Films zu tun. Er fächert auf, blickt hierhin und dorthin, sammelt vorhandene Bilder und Inszenierungen. Sie werden mit der in Literatur und Film reichlich erprobten Short-Cuts-Manier angeordnet, dabei stellt sich am Ende als größte Überraschung heraus, dass keine Position im Arrangement tatsächlich überrascht. Alles ist an „seinem Platz“ – Mann/Frau, weiß/schwarz, Familie/Individuum. Und die Einzige, die diese Plätze vermeintlich überdenken will (Claudia Schiffer als Greta), erweist sich schnell als Verlogenste von allen. Kein Ausweg, nirgends.

Genau deshalb landet Black and White in der ewigen Reproduktion des rassistischen und sexistischen Immergleichen. Er liefert Bilder von Männern, Frauen und HipHop, die kaum mehr erzählen als jeder misogyne und homophobe Videoclip auf MTV. Dicks and chicks. Weiße tauchen hier in allen möglichen Berufen auf, Schwarze sind entweder Sportler, Musiker oder Gangster. Weiße ringen um Identität, Schwarze „sind“ einfach und wundern sich über das komplizierte Gegenüber: „Warum halten uns die weißen Schlangen ihre Mösen hin?“

Can it all be so simple? heißt ein im Film zitiertes Stück des Wu-Tang Clan. Solange Filme mit dem Gestus von Komplexität den Status quo reproduzieren, so lange wird sich nichts an der dominanten Fiktion ändern, die auch die rassistische (Bild-)Aufteilung von „Schwarz und Weiß“ am Leben hält.

Autor: Jan Distelmeyer

Dieser Text ist zuerst erschienen in: DIE ZEIT, 33/2000